Herne. „In jeder Stufe haben wir mehrere Schüler mit Sozialphobien“, mahnt ein Herner Schulleiter. Er fordert dringend mehr Unterstützung für Schulen.

Depressionen, Zwänge und Ängste: Ein Schulleiter schlägt Alarm, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler in Herne mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. „Wir haben deutlich mehr Kinder, die krank sind, die psychische Probleme haben und deshalb auch in Behandlung sind“, sagt Volker Gößling, Schulleiter des Pestalozzi-Gymnasiums. Er fordert mehr Unterstützung für die Schulen.

„Während Sozialphobien bei Schülerinnen und Schülern früher eher punktuell aufgetreten sind, haben wir jetzt in jeder Stufe mehrere Fälle“, beobachtet Gößling. Zwar spiele Corona selbst keine große Rolle mehr in den Schulen, die Nachwehen seien aber durchaus spürbar: Zum einen seien das die schulischen Probleme durch Lockdown und Homeschooling. Zum anderen schlügen immer häufiger persönliche Schwierigkeiten der Kinder zu Buche.

Kürzlich hatte die Schulleiterin einer Herner Gesamtschule ihre Sorge über eine zunehmende Gewaltbereitschaft von Schülerinnen und Schülern geäußert, über eine Verrohung im Umgang. „Auch wir haben das Problem, dass Kinder nicht sprachfähig sind und dann rüpelig werden“, sagt Gößling. „Aber glücklicherweise lange nicht in dem Maße.“

Herne: Schulsozialarbeiterin völlig ausgelastet

Am Gymnasium zeige sich aber eine andere Thematik: „Viele Kinder kommen mit psychischen Problemen zu mir“, erzählt Schulsozialarbeiterin Gaby Wichmann, die seit 2017 am Pestalozzi tätig ist. „Drei Viertel der Fälle kommen mit psychisch-sozialen Problemen, und das hat sich durch Corona potenziert.“ Die Probleme seien an allen Schulen gleich, sie zeigten sich nur anders.

Gaby Wichmann, Schulsozialarbeiterin am Pestalozzi-Gymnasium in Herne, sowie Schulleiter Volker Gößling. Sie beobachten eine deutliche Zunahme der psychischen Probleme bei Schülerinnen und Schülern.
Gaby Wichmann, Schulsozialarbeiterin am Pestalozzi-Gymnasium in Herne, sowie Schulleiter Volker Gößling. Sie beobachten eine deutliche Zunahme der psychischen Probleme bei Schülerinnen und Schülern. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Aktuell betreut Wichmann 35 bis 40 Kinder. Die meisten treffe sie etwa einmal in der Woche für meist 45 Minuten. „Insgesamt sind es aber deutlich mehr Kinder, die in Betreuung sind, aber in anderer professioneller“, ordnet der Schulleiter die Zahlen ein. Es gebe nur eine Schulsozialarbeiterin an der Schule, die nicht einmal eine volle Stelle hat und völlig ausgelastet sei.

„Die Ursache für die Probleme der Kinder ist klar“, ist sich Gößling sicher. „Zu den normalen Problemen, die es in allen Familien gibt, die es in der Entwicklung von Kindern in der Pubertät gibt, kommen jetzt noch Sorgen um Corona und nun auch mit der Kriegssituation sowie die randvollen Klassen.“ Dabei seien Klassen mit mehr als 30 Kindern inzwischen die Regel. Das erschwere die persönliche Betreuung – im Unterricht, aber auch im persönlichen Umgang mit jedem einzelnen Jugendlichen.

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„Die Lehrkräfte geben alles, aber haben bei Klassen mit 30 Kindern kaum noch Chancen“, bedauert Gößling. „Sie nehmen verstärkt Probleme der Kinder wahr, können diesen aber nicht ausreichend gerecht werden.“ Die schulischen Leistungen und das persönliche Wohlergehen hingen aber unmittelbar zusammen.

Die Anforderungen seien durch das Zentralabitur zwar nicht deutlich gestiegen, werden aber als deutlich belastender wahrgenommen. „Die Kinder auf ein gemeinsames Level zu bringen ist sinnvoll, aber es führt auch zu mehr Druck“, so Gößling. Insgesamt werde aber mehr geleistet als früher, weil auch mehr gefordert werde. Das erhöhe den Stress für jene, die es nicht schafften, mitzuhalten. Den Druck spürten nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrer und Eltern.

Schulleiter fordert: Externes Personal soll helfen

Corona habe die Sache noch verstärkt: „Wir haben Eltern, die sich kümmern.“ Und diese wüssten auch, dass bei den Kindern durch Corona Lücken klafften. „Die Eltern machen sich Sorgen. Zurecht. Und das projiziert sich auf die Kinder. Hinzu kommt noch der Erwartungsdruck von den Kindern selbst. Dementsprechend ist der Stress bei den Kindern größer geworden.“

Bei dieser Gemengelage sei externes Personal sehr wichtig. Studenten, die im Rahmen von „Aufholen nach Corona“ an den Schulen waren, Sprachförder-Lehrer und Schulsozialarbeiter. „Das sind gute Ansätze“, betont Gößling. Er müsse aber auch klar sagen: „Das reicht nicht. Das reicht nicht in der Summe. Und das reicht nicht, weil außer unserer einen Schulsozialarbeiterin niemand langfristig im System ist.“ Die Probleme, die sich jetzt zeigten, seien nicht in einem halben Jahr weg. Corona-Maßnahmen wie „Aufholen nach Corona“ liefen dann aber aus.

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„Wir brauchen mehr Lehrpersonal und mehr nicht-lehrendes Personal – und das langfristig“, so der Schulleiter. Derzeit würde zu kurzfristig gedacht werden, durch Verträge, die auf nur drei oder fünf Monate begrenzt seien. Befristete Verträge sind in der Schulsozialarbeit ein bekanntes Problem. Rund zehn Jahre hatten Politik und Verwaltung in Herne um eine Entfristung von Stellen in der Schulsozialarbeit gerungen, bis sie diese vor rund einem Jahr für 15 Stellen garantieren konnte.

„Da hat die Stadt einen super Job gemacht“, lobt Gößling. „Aber das reicht nicht. Wir bräuchten für Herne doppelt so viele Stellen.“ Nur so könne Schulsozialarbeit perspektivisch auch präventiv arbeiten und nicht nur als Feuerwehr im Einsatz sein.

>>>WEITERE INFORMATIONEN: Schulsozialarbeit in Herne

  • Derzeit gibt es laut Angaben der Stadt in Herne 54 Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter, die vom Stundenumfang 46,7 Vollzeitstellen entsprechen. Hinzu kommt eine halbe Stelle an der Hibernia-Schule und eine an der Quinoa-Schule. Neben Stellen bei der Stadt und beim Land gibt es auch welche über die freien Träger Gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft Herne und die Gesellschaft freie Sozialarbeit.
  • „Die Stadt Herne schreibt der Schulsozialarbeit eine große Rolle zu“, sagt Stadtsprecher Patrick Mammen auf WAZ-Anfrage. Dennoch: „Die Einrichtung weiterer Stellen wird aktuell nicht geplant, da die finanziellen Möglichkeiten der Stadt Herne ausgereizt sind.“ Die Stadt setze sich aber bei den zuständigen Landesministerien für eine zusätzliche Finanzierung für die Schaffung weiterer Stellen ein. „Der Bedarf für weitere Stellen wird auch von der Stadtverwaltung gesehen.“
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