Herne. Er trat in die Herner SPD noch vor der Gründung der Bundesrepublik ein: Genosse Willi Hesse (90) hat nicht nur über die Partei viel zu erzählen.

1. Januar 1948: Der 16-jährige Willi Hesse tut es dem Vater und dem Großvater gleich und tritt der Herner SPD bei. Gut 75 Jahre danach feiert er mit der Partei ein seltenes Jubiläum. Anlässlich der 75-jährigen Mitgliedschaft erhält er einen Ehrenbrief mit einem standardisierten Spruch, der wohl nur auf wenige Genossinnen und Genossen so zutrifft wie auf den Altenhöfener.

„Mit deiner Arbeit hat Du beispielhaft die sozialdemokratischen Ideale Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit Leben gefüllt“, heißt es in der von den SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil unterzeichneten Urkunde. Insbesondere in Sachen Gerechtigkeit und Solidarität hat sich Hesse für „sein“ Viertel in Herne-Süd verdient gemacht. Als „Kümmerer“ galt er dort über Jahrzehnte. Und auch als „Bürgermeister von Altenhöfen“ sei er gerne mal bezeichnet worden, wie der „richtige“ Bürgermeister (und SPD-Ortsvereins-Chef) Kai Gera berichtet.

Ausgezeichnet: Für die 75-jährige Treue zur SPD wurde Willi Hesse (2.v.li.)  geehrt von (v. re.) Parteichef Hendrik Bollmann, dem Landtagsabgeordneten und Vize Alexander Vogt sowie Ortsvereins-Chef Kai Gera. In der Herner SPD blicken nur zwei Mitglieder auf eine noch längere Parteizugehörigkeit zurück: Eine Genossin ist seit 78 Jahren Mitglied, ein weiterer Genosse seit 77 Jahren.
Ausgezeichnet: Für die 75-jährige Treue zur SPD wurde Willi Hesse (2.v.li.) geehrt von (v. re.) Parteichef Hendrik Bollmann, dem Landtagsabgeordneten und Vize Alexander Vogt sowie Ortsvereins-Chef Kai Gera. In der Herner SPD blicken nur zwei Mitglieder auf eine noch längere Parteizugehörigkeit zurück: Eine Genossin ist seit 78 Jahren Mitglied, ein weiterer Genosse seit 77 Jahren. © SPD

Willi Hesse ist ein Spätberufener: Erst nach einem bewegten Berufsleben übernahm er in seiner Partei Mandat und Verantwortung. Als 62-jähriger Frischling zog er 1994 als Bezirksverordneter in die Bezirksvertretung Herne-Mitte ein, die er erst 2020 im Alter von 88 Jahren wieder verließ. „Das ist mir nicht leicht gefallen“, bekennt er.

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Die Frage, warum er sich erst im reifen Alter zur Wahl stellte, ist schnell beantwortet. „Er hatte vorher einfach keine Zeit“, sagt seine Tochter Heike Piotrowski und verweist vor allem auf die unzähligen Vereinsaktivitäten des Vaters. Bei den Geflügelzüchtern übernahm er beispielsweise ebenso Aufgaben und Ämter wie bei den Kaninchenzüchtern und nicht zuletzt in seinem Herzensverein BV Herne-Süd. Vom Schüleralter an schnürte er für den Fußball-Club die Stiefel. Später war er sogar Vereinsvorsitzender. Und auch beim Fußball sorgte er schon viele Jahre vor seiner „Kümmerer“-Karriere in der SPD für Gerechtigkeit: als Schiedsrichter, der auch über Hernes Stadtgrenzen hinaus im Einsatz war.

Jürgen Marcus trat mit Band in Willi Hesses Kneipe auf

Einige Berufsstationen schlossen ebenfalls ein politisches Engagement aus. So übernahm Hesse Anfang der 60er-Jahre die Kneipe „Zum Sommerbad“ und führte sie über zehn Jahre. Bereits um 10 Uhr öffnete die Lokalität auf der Altenhöfener Straße: „Als ich morgens in die Kneipe kam, standen einige Gäste bereits an der Theke: Die Putzfrau hatte sie reingelassen“, erinnert sich der Ruheständler, der dann später bis zu seiner Rente beim städtischen Grünflächenamt gearbeitet hat. Ebenfalls unvergesslich: Der Herner Jürgen Marcus („Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“) sei vor seinem Durchbruch als Schlagersänger mit Band im Saal seiner Kneipe aufgetreten.

Und was waren die Hits in Hesses politischer Zeit? Der Erhalt der Grün- und Erholungsfläche am Ententeich steht in seinen persönlichen Charts ganz oben. „Dort sollten Wohnhäuser gebaut werden. Das geht gar nicht“, echauffiert sich der Vater, dreifache Großvater und dreifache Urgroßvater noch heute über die Pläne. Die Grünanlage sei doch unverzichtbar für die Menschen im Viertel. Nicht zuletzt dank Hesses Engagement konnte eine Bebauung verhindert werden. Ein weiterer Höhepunkt: Hesse gab den entscheidenden Anstoß zur Verbesserung der Nahversorgung in Herne-Süd. Nach seiner Klage in der WAZ über die Situation nahm die Bäckerei Brinker Kontakt zu ihm auf und eröffnete schließlich an der Ecke Flottmannstraße/Straße des Bohrhammers eine Filiale mit angeschlossenem Mini-Markt.

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„Die SPD und der Stadtteil haben ihm sehr viel zu verdanken“, sagt Kai Gera. Und auch das würdigt der Herr Bürgermeister: Auf unzähligen Festen habe Hesse als Grillmeister Tausende Würstchen und Koteletts an den Mann und die Frau gebracht.

Federvieh vor Flottmann-Hallen: Auch bei zahlreichen Kleintierausstellungen brachte sich Willi Hesse aktiv ein - so wie hier im Jahr 2006.
Federvieh vor Flottmann-Hallen: Auch bei zahlreichen Kleintierausstellungen brachte sich Willi Hesse aktiv ein - so wie hier im Jahr 2006. © Hanjo Schumacher/press image

Vom Bezirk Herne-Mitte und der Kommunalpolitik hat sich der Anhänger des früheren SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt verabschiedet, von seiner Liebe zu Tieren nicht: Hinter dem Haus hält Willi Hesse nach wie vor Hühner und anderes Federvieh wie Wellensittiche und Diamanttauben. Im Viertel haben aber offenbar noch nicht alle Menschen realisiert, dass der „Kümmerer“ altersbedingt kürzer tritt. Ob Ärger beim Parken und mit der Müllabfuhr oder bei anderen Alltagsproblemen – „einige sprechen mich immer noch an.“