Herne. Die Zahl der Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind, ist gestiegen. Erschreckend: Es gibt immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch.

Immer mehr Menschen in Herne werden Opfer von Straftaten. Das geht aus den Zahlen des Weissen Rings in Herne für 2022 hervor. 170 Menschen wurden im vergangenen Jahr von den ehrenamtlichen Mitgliedern der Herner Außenstelle des Weissen Rings betreut. Zum Vergleich: 2021 lag die Zahl bei 137.

Besonders auffällig: Allein Sexualdelikte mit 67 Fällen machten knapp 40 Prozent der betreuten Fälle aus, außerdem hat sich die Zahl der Körperverletzungen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt.

Viele Frauen melden sich erst Jahre später

Bei den Sexualdelikten sei jedoch zu beachten, dass es sich dabei nicht nur um aktuelle Fälle handele, sagt Brigitte Grüning, Leiterin der Herner Außenstelle. „Es haben sich im vergangenen Jahr auch Frauen gemeldet, die sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erlebt haben, sich aber bisher nicht getraut haben, sich zu melden.“ Außerdem, vermutet Grüning, hätten Betroffene inzwischen – nach der Corona-Pandemie – wieder mehr Möglichkeiten, sich Menschen anzuvertrauen: „Es ist alles wieder offen, es finden wieder mehr Begegnungen statt.“ Viele Kinder trauten sich beispielsweise nicht, ihren Eltern etwas zu erzählen, „weil sie ihren Eltern keinen Kummer machen wollen“, so Grüning. Diese Kinder könnten sich nun wieder an Vertrauenslehrer oder andere Bezugspersonen zum Beispiel im Verein wenden.

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Die Menschen würden zudem offener über ihre Erlebnisse sprechen: „Das ganze Thema ist nicht mehr so schambesetzt, wie es mal war.“ Kinder lernten heutzutage früh, dass sie niemals Schuld an Übergriffen seien. Das sei früher anders gewesen: „Es kommen immer mal wieder Frauen zu uns, die früher Angst hatten, etwas zu sagen, weil sie dachten, die Schuld habe bei ihnen gelegen.“ Dass offener über sexuelle Übergriffen gesprochen wird, sei ein großer Erfolg.

Die Opfer von sexueller Gewalt seien 2022 ausschließlich weiblich gewesen, bei häuslicher Gewalt habe es ein männliches Opfer gegeben. Bei der körperlichen Gewalt hingegen seien die Opfer überwiegend männlich, sagt Grüning. Nach Disco-Besuchen komme es bei ihnen beispielsweise öfter zu körperlichen Auseinandersetzungen.

55 Beratungsschecks wurden an Opfer von Kriminalität ausgegeben

„Wir hoffen, dass sich dieser beunruhigende Trend in den nächsten Jahren nicht fortsetzt“, so Grüning. Insgesamt seien im Falle von Bedürftigkeit und finanzieller Notlage in Folge einer Straftat knapp 13.000 Euro ausgezahlt worden. Zudem seien in 55 Fällen Beratungsschecks an Opfer von Kriminalität ausgegeben worden. Neben den Neufällen müssten auch viele bestehende Opferfälle versorgt werden.

„Wir hoffen, dass sich dieser beunruhigende Trend in den nächsten Jahren nicht fortsetzt“: Brigitte Grüning, Leiterin des Weissen Rings in Herne.
„Wir hoffen, dass sich dieser beunruhigende Trend in den nächsten Jahren nicht fortsetzt“: Brigitte Grüning, Leiterin des Weissen Rings in Herne. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Trotz der gestiegenen Opferzahlen gibt es auch positive Nachrichten: Die Außenstelle Herne konnte eine weitere ehrenamtliche Mitarbeiterin für sich gewinnen. „Das ist nicht so einfach“, sagt Grüning. Interessierte müssten mehrere Seminare absolvieren und hospitieren. „Außerdem schreckt die Arbeit einige ab.“

Der Weisse Ring finanziere sich fast ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, Spenden, Nachlässe und Bußgeldzuweisungen der Gerichte. Auf öffentliche Mittel werde bewusst verzichtet, so dass die politische Unabhängigkeit gewährleistet werden könne. „Mehr als 50 Prozent der Einnahmen kommen den Opfern zugute. 30 Prozent der Einnahmen werden für Prävention und öffentliches Eintreten ausgegeben, der Verwaltungsaufwand beträgt nur rund 15 Prozent“, erklärt Brigitte Grüning.

Zudem bestehe eine gute Vernetzung zu weiteren Beratungsstellen, an die Hilfesuchende bei Bedarf vermittelt würden. Die Zusammenarbeit mit der Polizei werde seit vielen Jahren intensiviert.

Den Weg zum Weissen Ring finden die Opfer durch die Polizei, andere Institutionen, die zentrale Opfernummer 116 006, die Herner Telefonnummer 02323/944335 oder über die Internetseite www.weisser-ring.de. Auch eine anonyme Kontaktaufnahme und Beratung ist möglich.