Herne. Das Handwerk sucht dringend Nachwuchs, doch das Interesse bei Jugendlichen ist überschaubar. Wie es Herner Kreishandwerksmeister wecken will.

Das alte Sprichwort lautet: Handwerk hat goldenen Boden. Doch offensichtlich hat es keinen goldenen Ruf mehr. Immer weniger junge Menschen zieht es ins Handwerk. Diesem Trend will Hernes Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath mit einem neuen Ansatz entgegenwirken.

Drath hat selbst den Nachwuchsmangel in seinem eigenen Betrieb erlebt. Er führt seit mehr als 27 Jahren einen eigenen Dachdeckerbetrieb. In all den Jahren sei es ihm immer gelungen, Auszubildende zu gewinnen, doch 2021 sei er zum ersten Mal leer ausgegangen. Dabei habe sich auch Corona eine Rolle gespielt, so Drath. Der Kontakt zu den Schulen sei abgebrochen, Praktika, bei denen Jugendliche das Handwerk hätten kennenlernen können, seien nicht möglich gewesen. Drath sieht aber auch einen weiteren Grund: Den Kindern werde früh vermittelt, dass sie möglichst einen akademischen Weg einschlagen sollten, sprich: erst Abitur, dann Studium. Drath: „Hier müssen wir massiv gegensteuern. Wir müssen es schaffen, die Jugendlichen für das Handwerk zu begeistern.“

Lehrlinge sollen ihren eigenen Bildungsweg schildern

Seine Analyse: Bei der Berufswahl spielen sowohl Eltern als auch Lehrer eine entscheidende Rolle. Draths Ansatz: Lehrlinge sollen in den weiterführenden Schulen ihren eigenen (Aus)-Bildungsweg Lehrern und Eltern vorstellen, um das negative Bild des Handwerks aus den Köpfen zu bekommen und die Chancen aufzuzeigen - zum Beispiel die hohe Arbeitsplatzgarantie angesichts des immer dramatischeren Kräftemangels.

Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath will verstärkt Eltern und Lehrer ansprechen, um das negative Bild vom Handwerk aus den Köpfen zu bekommen.
Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath will verstärkt Eltern und Lehrer ansprechen, um das negative Bild vom Handwerk aus den Köpfen zu bekommen. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Bei den Schulen zeigt man sich offen für diesen Vorstoß. „Ich halte sehr viel von dieser Idee, weil es genau dem Ansatz entspricht, den wir seit eineinhalb Jahren verfolgen“, so Lothar Heistermann, Leiter der Hans-Tilkowski-Schule. Man müsse die Schüler sensibilisieren, dass sie nach dem zehnten Schuljahr auch mit einer Ausbildung supergut bedient seien. Hauptschulleiter Heistermann räumt aber auch ein, dass es nicht einfach sei, die Eltern zu gewinnen. Die Lehrer seien für dieses Thema längst sensibilisiert, gerade auch deshalb, weil die Hans-Tilkowski-Schule am 24. Januar zum ersten Mal einen Berufsorientierungstag veranstalte.

Schulen zeigen sich offen für den Vorstoß des Handwerks

Sylke Reimann-Pérez, Leiterin der Mont-Cenis-Gesamtschule, bestätigt, dass die Eltern ein großer Faktor bei der Suche nach einer Ausbildung sind. Deshalb würde auch bei Elternabenden thematisiert, wie es nach der zehnten Klasse weitergehen kann. Dennoch würden an der Schule in erster Linie die Jugendlichen selbst beraten. Dabei habe sich offenbart, dass die jungen Menschen oft noch nicht genau wüssten, in welche Richtung sie selbst streben wollen. Deshalb sei in den Jahrgängen 9 und 10 ein Wahlpflichtunterricht für berufliche Orientierung eingerichtet worden. So könnten Schülerinnen und Schüler schon mit Betrieben Kontakt aufnehmen.

Außerdem gebe es seit 2019 an der Schule den sogenannten Ausbildungspakt, um schon mit Beginn der Klasse 9 mit der Vorbereitung auf eine Ausbildung zu beginnen. Bei diesem Pakt können die Jugendlichen Betriebe kennenlernen. Allerdings sei die Zahl der teilnehmenden Schüler noch überschaubar. Reimann-Pérez schätzt, dass drei Viertel der Schüler nicht den Weg Richtung Abitur wählen, bei ihnen setze die Schule auf berufliche Orientierung.

Aus Sicht von Reimann-Peréz sind die Lehrer gute Ansprechpartner für das Handwerk, weil ihnen daran gelegen sei, die Schülerinnen und Schüler in Lohn und Brot zu bringen. Allerdings gebe es mit Blick auf die Eltern noch Verbesserungsbedarf. Bei Elternabenden, etwa zum Ausbildungspakt, habe es wenig Resonanz gegeben. Deshalb sei der Ansatz der Kreishandwerkerschaft einen Versuch wert.

Auch an Gymnasien ist das Handwerk ein Thema

Auch die Gymnasien sind offen für die Idee, auch wenn sie darauf hinweisen, dass ihr „Kerngeschäft“ die Vorbereitung auf Abitur und Studium sei. Deshalb sei der Weg zu einer Ausbildung im Handwerk eher die Ausnahme, so Antje Fehrholz, Schulleiterin des Gymnasiums Eickel. Vielleicht ändere sich das wieder mit der Rückkehr zu G9 und damit zur Rückkehr zum Abschluss der „mittleren Reife“ nach der 10. Klasse. Die war bei G8 weggefallen. Fehrholz ist bewusst, dass es einen Mangel in den Handwerksberufen gibt, deshalb begrüßt sie Draths neuen Ansatz.

Auch am Pestalozzi-Gymnasium falle das Handwerk keineswegs unter den Tisch, so Leiter Volker Gößling. Unter anderem würden in der Jahrgangsstufe 11 Praktika durchgeführt, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Er sei auf jeden Fall bereit, sich dem Handwerk zu öffnen, es komme auf die Form an. Gößling kann sich angesichts der Tatsache, dass sich das Gymnasium in unmittelbarer Nachbarschaft zu zwei Berufskollegs und der Realschule Strünkede befindet, eine Handwerksmesse vorstellen.