Herne. Ein Kind stirbt nach der Geburt im Marienhospital Herne. Das Gericht kritisiert die Klinik. Wurde die verantwortliche Ärztin alleine gelassen?

Muss sich auch das Marienhospital eine Mitschuld am Tod eines Babys nach einer Geburt in Herne vorwerfen lassen? Das Kind war nach der Verlegung ins ebenfalls zur St.-Elisabeth-Gruppe gehörende gleichnamige Marienhospital in Witten gestorben. Die verantwortliche Ärztin wurde jetzt zu 15.000 Euro Geldstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung gab es aber auch Kritik an einer nicht ausreichenden Aufarbeitung im Marienhospital. Klinik-Geschäftsführer Theo Freitag weist den Vorwurf auf WAZ-Nachfrage zurück.

  • Die Ärztin wird nach dem Tod eines Kindes nach der Geburt zu einer Geldstrafe verurteilt
  • Richter und Staatsanwaltschaft kritisieren auch das Krankenhaus
  • Die Klinik wehrt sich gegen die Vorwürfe
  • Hintergrunddienst im Krankenhaus ist nach dem Vorfall verbessert worden
  • Kein Todesfall mehr nach dem Vorfall im Jahr 2018

Kritik von Richter und Staatsanwalt: Ärztin wurde alleine gelassen

Der „tragische Tod“ des Kindes sei „umgehend intern im Marien Hospital Herne unter Beteiligung verschiedener Berufsgruppen aufgearbeitet worden“, sagt Freitag. Richter Thorsten Fülber von der 1. Strafkammer des Bochumer Landgerichts hatte vergangene Woche in der Urteilsbegründung kritisiert, dass die Ereignisse des 2. August 2018 nicht ausreichend aufgearbeitet worden seien. „Insoweit ist die Ärztin auch ein stückweit allein gelassen worden“, sagte Fülber. Auch Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann hatte zuvor kritisiert, dass in der Nacht auf den 3. August niemand der Ärztin geholfen habe: „Sie ist einfach alleine gelassen worden“, hieß es in einer Verhandlung.

Die 34-Jährige war verurteilt worden, weil sie schon vier Stunden vor der Geburt hätte erkennen müssen, dass das Kind unter einer Sauerstoffunterversorgung leide. Statt auf Bitten der Mutter abzuwarten, hätte sie einen Kaiserschnitt einleiten müssen. Selbst bei einem zwei Stunden später stattfindenden Kaiserschnitt hätte das Kind noch überleben können, hieß es vor Gericht. Der Chefarzt sei nicht hinzugerufen worden. Das Kind wurde mit einer Saugglocke geholt, hatte nur 33 Grad Körpertemperatur, keine eigene Atmung, kein Herzschlag. Es wurde reanimiert, verstarb aber kurz darauf in Witten.

Marienhospital-Geschäftsführer: Hintergrunddienst steht zur Verfügung

Geschäftsführer Theo Freitag will nicht stehenlassen, dass die Klinik nach dem Todesfall tatenlos geblieben sei: „Der gesamte Prozess der Geburtsbegleitung ist nach dem Vorfall umfassend überprüft und um detaillierte Vorgaben ergänzt worden. Hierzu hat es intensive Team- und Einzelgespräche zur Aufarbeitung gegeben.“

Theo Freitag, Geschäftsführer der St.-Elisabeth-Gruppe und der Katholischen Kliniken Rhein-Ruhr, weist die Vorwürfe des Gerichts und der Staatsanwaltschaft zurück.
Theo Freitag, Geschäftsführer der St.-Elisabeth-Gruppe und der Katholischen Kliniken Rhein-Ruhr, weist die Vorwürfe des Gerichts und der Staatsanwaltschaft zurück. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Ärztinnen und Ärzte könnten genauso wie Hebammen in Akutsituationen Hilfe rufen, sagt Freitag: „Bereits vor diesem tragischen Todesfall stand den diensthabenden Ärzten und Hebammen jederzeit ein fachärztlicher Hintergrunddienst zur Seite, wenn sie Unterstützung benötigten. Wie dies in diesen Fällen üblich ist, wurde der Hintergrunddienst telefonisch kontaktiert und die Situation beschrieben.“

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Änderung ab 2018: Hintergrunddienst hat auch bei nicht-kritischen Fällen Zugriff auf CTG

Mittlerweile reagiere man nicht mehr nur in Notfällen sondern präventiv: „Dieses Prinzip wurde 2018 erweitert“, sagt Freitag. „Diensthabende Ärzte und Hebammen informieren den fachärztlichen Hintergrunddienst zusätzlich immer zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geburt, das heißt auch bei einem normalen Verlauf der Geburt.“ Der fachärztliche Hintergrunddienst habe außerdem „zu jeder Zeit ergänzend Zugriff auf die Echtzeit-Werte des CTGs“. Freitag betont: „Dies ist eine Vorgehensweise, die weit über den normalen Standards von Geburtshilfen liegt.“

Zu genauen Zahlen, wie der Kreißsaal personell ausgestattet ist, äußert sich Freitag nicht. Er schildert aber, dass der Bereich „immer mindestens entsprechend der gesetzlichen Vorgaben besetzt“ sei.

Elisabeth-Gruppe: Keine Todesfälle seit 2018 mehr bei oder nach der Geburt in Herne

Dass es im Zusammenhang mit Geburten häufiger als gemeinhin angenommen, immer wieder zu Todesfällen komme, bestätigt die St.-Elisabeth-Gruppe an konkreten Zahlen nicht: „Seit 2018 hat es keine weiteren Todesfälle im Marien Hospital Herne während und nach der Geburt gegeben“, sagt Freitag.

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Allgemein ist die Sterblichkeit im Zusammenhang von Geburten statistisch nicht exakt erfasst. Das Landesamt für Daten und Statistik vermeldet einmal jährlich die sogenannte Säuglingssterblichkeit – unabhängig von Erkrankungen oder einer möglichen Schuld Dritter. Damit sind alle Kinder gemeint, die innerhalb des ersten Lebensjahres verstarben. Im vergangenen Jahr kam es in Herne zu sieben Todesfällen bei unter Einjährigen. In den 15 Jahren davor pendelte die Zahl der Fälle zwischen zwei und elf Fällen jährlich. Erfasst ist auch die Zahl der Totgeburten. Im vergangenen Jahr gab es in Herne fünf Fälle. In den 20 Jahren zuvor pendelte die Zahl zwischen null und zwölf Fällen im Jahr.