Herne. Im April ist eine Hernerin festgenommen worden, die zwei ihrer Kinder erstickt haben soll. Das sagen die beiden Mordermittler über ihren Fall.

In Herne ist am 12. April eine 33-jährige Hernerin festgenommen worden. Sie wird verdächtigt, zwei ihrer leiblichen Kinder bereits 2011 und 2012 vorsätzlich getötet zu haben. 2018 soll sie versucht haben, das dritte Kind ebenfalls zu ersticken. Die leitenden Ermittler, Kriminalhauptkommissarin Stefanie Lienemann und Kriminalhauptkommissar Arndt Mallepree, haben mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann über die Ermittlungen gesprochen.

Frau Lienemann, Herr Mallepree, Sie haben bereits viele Ermittlungen mit der Mordkommission durchgeführt. Wie ungewöhnlich ist dieser Fall für Sie?

Lienemann: Für mich ist er ungewöhnlich, weil die Taten schon so lange zurückliegen. Auch die Art der Aufklärung ist ungewöhnlich, weil sie so langwierig war und wir so extrem tief in den Fall eingestiegen sind. Die Tatsache, dass Kinder getötet werden, auch von den eigenen Eltern, ist für uns zwar immer etwas Besonderes, aber leider nicht unbedingt ungewöhnlich.

Mallepree: Wir sind ja in die Ermittlungen mit einem Geschehen 2018 eingestiegen, bei dem ein drittes Kind betroffen war. Bei der Sichtung der Akten ist klar geworden, dass es auch 2011 und 2012 Sterbefälle gegeben hat. Diese Altfälle haben wir uns in der Gesamtschau noch einmal angeschaut. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir noch einmal ermitteln wollen und müssen.

Unser Misstrauen war geweckt: Arndt Mallepree und Stefanie Lienemann im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.
Unser Misstrauen war geweckt: Arndt Mallepree und Stefanie Lienemann im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Sie haben sich ja erst in die Akte eingelesen. Hat das sofort Ihr Misstrauen geweckt?

Lienemann: Der Fall kam zunächst ganz normal mit einer recht offenen Aufgabe von der Staatsanwaltschaft. Die ersten beiden Fälle waren abgeschlossen worden. Auch beim dritten Fall haben wir zunächst keine strafbare Handlung ermitteln können. Aber mit dem Abstand, mit dem wir jetzt aus einer anderen Perspektive auf den Fall schauen konnten, haben wir beschlossen: Da möchten wir gerne tiefer nachgraben. Das Misstrauen war in der Tat schnell geweckt.

Eine persönliche Frage: Was ist in Ihnen als Eltern vorgegangen, als Sie die Akte gelesen haben?

Mallepree: Das ist unser Arbeitsalltag. Wir sind mehrfach im Jahr mit dem Versterben von Kindern beschäftigt. Ob es eine natürliche Ursache war oder nicht. Man hat in diesen Fällen eine besondere Sorgfaltspflicht. Natürlich hat man einen Kloß im Hals als Vater oder Mutter.

Lienemann: Wir bearbeiten auch ganz normale Sterbefälle. Es gibt aber unterschiedliche Situationen, etwa, wenn man in eine Familie kommt, in der gerade das eigene Kind verstorben ist und diese dadurch gerade mit dem schlimmsten Schrecken konfrontiert worden ist. Das sind Gänsehautmomente, weil man natürlich selbst nie in einer solchen Situation sein möchte. Trotzdem muss man auch dort immer ganz genau hinschauen, weil viele Straftaten innerhalb der Familie passieren. Es darf aber keinen Ausschlag bei den Ermittlungen geben, ob man selbst Kinder hat. In diesem konkreten Fall war es eine etwas klinische Situation, weil wir zunächst keinen Kontakt zur Familie, zur Beschuldigten oder den Opfern hatten. Da bestand nicht die Gefahr, emotional zu sehr involviert zu sein.

Mallepree: Es ist auch aus einer anderen Perspektive wichtig, emotional Abstand zu wahren. Gerade in der Rolle als Vater oder Mutter stellt sich die Frage: Wann wirft man jemandem vor, dass da etwas komisch ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich gerade mein Kind verloren habe, und dann kommt die Polizei und wirft mir vor, dass ich mit dem Tod aktiv etwas zu tun habe. Da muss man sich als Ermittler fragen, wann man einen Tatvorwurf äußert.

Lienemann: Wir sind es den Opfern aber auf jeden Fall schuldig, dass wir die ganze Geschichte zu Tage fördern. Egal, wie sie aussehen mag.

Wie haben Sie die eigentlichen Ermittlungen aufgebaut?

Lienemann: Wir haben in diesem Fall sozusagen von außen nach innen ermittelt, da wir die Beschuldigte erst am Ende mit den Taten konfrontieren wollten. Daher mussten wir uns natürlich anfänglich Gedanken zu der Frage machen, wie wir es vermeiden, dass die Beschuldigte erfährt, dass ermittelt wird.

Mallepree: Es gibt offene Ermittlungen, bei denen jeder weiß, dass die Polizei unterwegs ist, und es gibt verdeckte Ermittlungen. Dazu gehörte auch, dass Telefongespräche mitgehört werden. Über die genaue taktische Vorgehensweise können wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht sprechen. Aber es war auch ganz viel akribisches Aktenstudium dabei. Wir haben rechtsmedizinisch alles noch mal auf links gedreht.

War das in den eineinhalb Jahren der Ermittlungen der einzige Fall, den Sie bearbeitet haben?

Lienemann: Dadurch, dass ich den Fall geleitet habe, konnte ich mich gerade in den letzten Monaten ausschließlich darum kümmern. Aber es drückt eben auch der Alltag. Wir bearbeiten zum Beispiel auch Brandermittlungen.

Mallepree: Ich war kurz vor der Festnahme der Beschuldigten als Mordkommissionsleiter beim Todesfall am Ruhrcongress eingesetzt. Der Fall lief direkt in die Vorbereitungen des finalen Zugriffs bei der Mutter hinein. So etwas kann in unserem Arbeitsgebiet passieren. Daher wurden die Maßnahmen auch im Team geplant.

Sie haben rund eineinhalb Jahre in dem Fall ermittelt. Inwiefern nimmt man das mit nach Hause?

Lienemann: Da ich mich sehr intensiv mit diesem Fall beschäftigt habe, hört das auch zu Hause nicht auf. Ich stand im Urlaub zur Verfügung, selbst, als ich krank war. Weil ich auf dem Stand der Dinge bleiben wollte und meine Arbeit vernünftig machen will.

Der Fall war für Sie auch deshalb so kompliziert, weil die ersten beiden Fälle so lange zurückliegen. Wie konnte nach so langer Zeit festgestellt werden, dass die Mutter ihre beiden Kinder mutmaßlich mit einem weichen Gegenstand erstickt hat?

Lienemann: Wir haben uns die drei verschiedenen Situationen angeschaut. Und in allen drei Fällen passten die Symptome, die die Mutter selbst geschildert hat, die in den medizinischen Unterlagen zu sehen waren und die bei der Obduktion herausgekommen sind, zum Ersticken durch eine weiche Bedeckung. Als dieses Ergebnis kam, wurde für uns die Ermittlung konkret. Das Fehlen von Spuren eines Erstickungstodes lässt sich durch eine mögliche Tathandlung mit weicher Bedeckung erklären oder durch den Umstand, dass der Säugling bei der Tat einen Schnuller im Mund gehabt haben soll und das Kleinkind zunächst noch zehn Tage im Krankenhaus behandelt wurde.

Mallepree: Außerdem wurden beide Kinder intubiert. Was eben mögliche Spuren verschleppt.

Wie verlief eigentlich der erste Kontakt zur Beschuldigten?

Lienemann: Wir haben die Mutter nicht vernommen, sondern sofort festgenommen. Das liegt daran, dass bei einer Vernehmung bei sogenannten Kapitalstraftaten zwingend ein Rechtsanwalt dabei sein muss.

Mallepree: Wir hatten beim Zugriff einen Untersuchungshaftbefehl, das verbietet die Vernehmung durch die Polizei.

>>> ZUFALL FÜHRTE ZU DEN ERMITTLUNGEN

Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft hat ein Zufall zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt. Nachdem das dritte Kind im April 2018 zur Behandlung in ein Bochumer Krankenhaus gebracht worden war, recherchierte eine dortige Ärztin in den Krankenhäusern, in denen die Geschwisterkinder verstorben waren.

Darüber hinaus schaltete sie das Herner Jugendamt ein, das im Rahmen eines Verfahrens wegen Kindeswohlgefährdung ein neues rechtsmedizinisches Gutachten zu den beiden Todesfällen einholte. 2019 holte auch die Staatsanwaltschaft ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten ein. Die daraus resultierenden Erkenntnisse führten zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens.