Herne. Knapp 10 Jahre Chefin der Herner CDU, fast 20 Jahre im Bundestag: Was Ingrid Fischbach über ihre Partei, Krieg und Frauenquote zu sagen hat.

Die Christdemokratin Ingrid Fischbach (65) blickt auf eine lange politische Karriere zurück, die sie in den Rat, den Bundestag und in ein Ministerium führte. Mit der WAZ spricht sie über den Zustand der Herner Union, die Frauenquote, Abtreibungsgesetze, den Krieg in der Ukraine und einiges mehr.

Der russische Überfall auf die Ukraine, Pandemie, Energiekrise … - sind Sie froh, dass Sie sich zumindest politisch als Bundestagsabgeordnete damit nicht mehr auseinandersetzen müssen?

Ingrid Fischbach: Diese Frage kann ich weder mit ja noch mit nein beantworten. Auf der einen Seite finde ich es wichtig, dass Politiker Verantwortung übernehmen. Und ich hätte mich davor auch nicht gedrückt. Aber wenn ich aktuell einige Diskussionen verfolge, bin ich froh, dass ich nicht mehr dabei bin.

Sie standen selbst knapp zehn Jahre an der Spitze der Herner CDU. Wie haben Sie zuletzt die Turbulenzen im Kreisverband wahrgenommen?

Es ist eine Binsenwahrheit, gilt aber nach wie vor: Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt. Das verstehen einige in der Herner CDU allerdings nicht.

Was meinen Sie damit?

Ich habe das auch schon als Vorsitzende erlebt: Sie müssen zum Beispiel vor der Kommunalwahl Reservelisten für den Rat und die Bezirke aufstellen – das macht nicht immer alle glücklich. Und einige, die nicht gewählt wurden, machen dann intern ihrem Unmut Luft. Das kann ich bei denen verstehen, die fleißig ihre Arbeit gemacht haben. Aber es gibt leider auch andere, die da die Öffentlichkeit suchen… Diese Situation geht immer zu Lasten des Vorsitzenden, der ja letztlich dem Parteitag den Vorschlag für die Reserveliste macht.

Bedauern Sie, dass Timon Radicke nicht mehr CDU-Vorsitzender in Herne ist und durch Christoph Bußmann abgelöst worden ist?

Timon Radicke hatte gute Ideen und hat frischen Wind in die Partei gebracht. Er hatte sich wohl insgesamt mehr Unterstützung erhofft, aber Veränderungen brauchen auch Zeit. Christoph Bußmann hat es jetzt sicher nicht so leicht, ich wünsche ihm viel Glück und Ausdauer. Und dass er es schafft, die Arbeit auf viele Schultern zu verteilen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Die Arbeit bleibt oft an einer oder einigen wenigen Personen hängen.

Christoph Bußmann (li.) löste Timon Radicke im April 2022 an der Spitze der Herner CDU ab.
Christoph Bußmann (li.) löste Timon Radicke im April 2022 an der Spitze der Herner CDU ab. © loc

Ist die Herner CDU gespalten?

Ich sage es mal so: Es gibt unterschiedliche Auffassungen, die wieder enger zusammengehören.

Wie beurteilen Sie die Rolle und Arbeit der CDU-Ratsfraktion in der Kooperation mit der SPD?

Ich glaube, SPD und CDU kooperieren ganz gut …

Geht es konkreter?

Ich habe mal gelernt: Die Partei kann Wadenbeißer sein, während die Fraktion in einer Kooperation natürlich auch den Partner bei Laune halten muss. Diese Rollenverteilung vermisse ich etwas. Ich sehe aber, dass das eine oder andere im Rat durchaus CDU-Handschrift trägt.

Im Bundestag ist die CDU nach 16 Jahren nicht mehr in der Regierung, sondern in der Opposition. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit?

Ganz ehrlich: Der CDU tut die Opposition gut. Es war nicht mehr gut, wie es teilweise in den vergangenen Jahren gelaufen ist. Die Fraktion setzt in Berlin bereits Akzente und bringt die Ampel mit dem einen oder anderen Antrag ins Schwitzen.

Erfüllt denn Ihr einstiger Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz Ihre Erwartungen?

Ich bin sehr zufrieden mit ihm.

Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz (Bild), Angela Merkel und Volker Kauder hießen von 1998 bis 2017 die CDU-Bundestagsfraktionsvorsitzenden von Ingrid Fischbach. Der beste Fraktions-Chef sei für sie Merz gewesen, verriet die Hernerin 2017 im Interview mit der WAZ.
Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz (Bild), Angela Merkel und Volker Kauder hießen von 1998 bis 2017 die CDU-Bundestagsfraktionsvorsitzenden von Ingrid Fischbach. Der beste Fraktions-Chef sei für sie Merz gewesen, verriet die Hernerin 2017 im Interview mit der WAZ. © dpa | Nicolas Armer

Er will als Parteivorsitzender die Frauenquote in der CDU durchsetzen, muss aber mit Widerständen kämpfen.

Ich bin nach wie vor für die Frauenquote. Es hat sich ja nicht viel geändert.

Das auch von Frauen in der Union vorgebrachte Gegenargument lautet: Gute Politikerinnen setzen sich auch ohne Quote durch.

Ja, solange es um die Kreisebene geht, selbst im Bezirk wird die Luft schon dünner. Wenn es um Mandate auf Landes- und Bundesebene geht, wird es noch schwieriger für Frauen, es sei denn, es sind Wahlkreise mit geringen Chancen auf einen Wahlerfolg. Ich wäre damals nicht in den Bundestag gekommen, wenn Männer eine echte Chance gehabt hätten. Der damalige CDU-Bezirksvorsitzende Norbert Lammert suchte Frauen für die Liste. Hernes damaliger Parteivorsitzender Friedhelm Müller hat die Chance erkannt und Frauen benannt.

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Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer haben sich komplett aus der Politik verabschiedet. Wenn ich aktuell an Hoffnungsträgerinnen in der CDU denke, fällt mir nur Karin Prien, die stellvertretende Bundesvorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, ein. Können Sie mit weiteren Namen dienen?

Ja, kann ich. Mir fallen da zum Beispiel die NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach oder die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler ein.

Ganz harter Schnitt: Das Oberste Gericht in den USA hat das Recht auf Abtreibung gekippt und damit Entsetzen ausgelöst. Auch bei Ihnen?

Das Urteil hat mich in seiner Härte überrascht. Ich bin nicht für Abtreibung, aber es muss in gewissen Fällen Möglichkeiten geben, Frauen und Familien zu helfen. Das muss nicht immer nur im Falle von Vergewaltigungen sein. Mich bekümmert aber auch die Frage: Was kommt denn in den USA noch?

Das Oberste Gericht der USA hat das Abtreibungsrecht drastisch eingeschränkt. Das empörte nicht nur Frauen in den USA (im Bild: eine Demonstration in Washington).
Das Oberste Gericht der USA hat das Abtreibungsrecht drastisch eingeschränkt. Das empörte nicht nur Frauen in den USA (im Bild: eine Demonstration in Washington). © dpa | Andrew Harnik

In Deutschland ist fast zeitgleich zum US-Urteil der Paragraph 219a abgeschafft worden, also das Verbot für Ärztinnen und Ärzte, für Abtreibungen zu „werben“. Im nächsten Schritt wollen vor allem SPD und Grüne nun auch den Paragrafen 218 kippen und damit Abtreibungen komplett aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen. Was sagen Sie dazu?

Das lehne ich ab. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, den Schutz des ungeborenen Lebens im öffentlichen Bewusstsein zu erhalten. Die aktuelle Regelung des straffreien Schwangerschaftsabbruchs nach Beratung ist für mich ein guter Kompromiss.

Zum Angriff Russlands: Seit fast fünf Monaten herrscht in der Ukraine Krieg. Glauben Sie an ein baldiges Ende?

Wenn alles stimmt, was man liest, treffen die Sanktionen Russland inzwischen doch härter als zu Beginn. Ich hoffe, dass der Krieg bald beendet ist.

Die CDU übt harsche Kritik am Kurs der Bundesregierung und an Bundeskanzler Olaf Scholz. Können Sie das nachvollziehen?

Auf jeden Fall. Das Rumgeeiere des Bundeskanzlers und auch der Verteidigungsministerin zum Beispiel in Bezug auf die Waffenlieferungen habe ich nicht verstanden. Bei diesem Thema haben die Grünen und insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock bei mir punkten können. Sie ist mutig und spricht im Ausland auch unbequeme Dinge offen an.

Die CDU fordert mehr Waffen für die Ukraine. Haben Sie nicht Angst davor, dass dies zu einer Eskalation und zu einer Ausweitung des Kriegs beitragen könnte?

Wir wollen ja nicht, dass endlos Waffen geliefert werden. Man muss auch weiterhin das Gespräch suchen. Aber die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, sich vernünftig verteidigen zu können.

Schlussrunde: Von Kanzlerkandidaten, Grünen und Atomkraftwerken

Der nächste Kanzlerkandidat der CDU heißt …

… (überlegt) keine Ahnung.

Ich mache mal zwei Angebote: Hendrik Wüst oder Daniel Günther?

Also, ich wäre wieder für eine Frau.

Ein künftiger CDU-Kanzlerkandidat? Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther.
Ein künftiger CDU-Kanzlerkandidat? Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. © dpa | Marcus Brandt

Richtig oder falsch: Schwarz-Grün wird 2025 auch im Bund regieren.

Richtig.

Keine Angst davor, dass die Grünen die CDU in drei Jahren überholen und selbst den Kanzler stellen?

Nein, davor habe ich keine Angst. Aber ich hätte auch keine, wenn ein Grüner das Land regiert – dann weiß man vieles besser zu schätzen ...

Ein Tempolimit fände ich …

Zwei Herzen schlagen in meiner Brust. Ich fahre gerne auch mal schnell (lacht). Aber mittlerweile überwiegt die Vernunft: Ich könnte mit einem Tempolimit leben.

Ingrid Fischbach - hier 2009 bei einem Termin im Herner Autohaus Tiemann - fährt gerne mal schnell, spricht sich aber für ein Tempolimit aus.
Ingrid Fischbach - hier 2009 bei einem Termin im Herner Autohaus Tiemann - fährt gerne mal schnell, spricht sich aber für ein Tempolimit aus. © WAZ | Ehlert, Felix

Den befristeten Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke …

… kann ich mir zurzeit sehr gut vorstellen.

>>> ZUR PERSON: Zweifache Großmutter

Nach fünf Jahren im Herner Rat zog Ingrid Fischbach 1998 in den Bundestag ein, dem sie bis 2017 angehörte. In ihrer letzten Legislaturperiode war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.

Ingrid Fischbach bekleidet aktuell mehrere Ehrenämter: Sie ist unter anderem Vorsitzende der Gesellschafterversammlung der Universitätskliniken Bochum, gehört dem Beirat des Bundesverbandes Kindertagespflege an und hält Vorträge für die Frauen-Union.

Vor dem Einzug in den Bundestag lehrte sie Deutsch und Geschichte an der Erich-Fried-Gesamtschule. Die Eickelerin ist verheiratet, hat eine Tochter (41) und zwei Enkelkinder (8 und 5).