Herne. Die Initiative Foodsharing hat längst auch in Herne Fuß gefasst. Botschafterin Laura Paweletz erzählt, was die Lebensmittelretter antreibt.
Der Urlaub steht bevor, und der Kühlschrank ist noch randvoll. Stellt sich die Frage: Wohin mit den ganzen Lebensmitteln, um die es doch wirklich schade wäre? Die Antwort: Foodsharing, also Lebensmittel an andere abgeben, um zu verhindern, dass sie in der Tonne landen. „Fairteilen“, nennt sich das.
Das Konzept ist in Deutschland längst zum Trend geworden, der auch in Herne Fuß gefasst hat. Die hiesige Foodsharing-Community umfasst mittlerweile über 100 Mitglieder, von denen rund 70 regelmäßig aktiv sind. Laura Paweletz ist eine von ihnen. Über einen Kochtreff hat die 29-Jährige, die in Bochum Biochemie studiert, Foodsharer kennengelernt und sich fürs Lebensmittel retten begeistern lassen. Als Foodsharing-Botschafterin in ihrer Heimatstadt Herne vertritt sie den Bezirk und spricht mit der WAZ darüber, was sie und ihre Mitstreiter antreibt.
Laut einer Studie des Thünen-Instituts landen in Deutschland jährlich rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Wie viele Tonnen haben die Foodsharer in Herne bisher gerettet?
43,5 Tonnen. Das sind aber natürlich nur Schätzwerte, weil wir selber festhalten, wie viel wir abholen.
Und die bekommen Sie immer alle weiterverteilt?
Ja. Wir spenden zum Teil auch größere Mengen an die Suppenküche, aber jeder Foodsharer hat sich mittlerweile ein Netzwerk aufgebaut, das funktioniert gut. Wir können stolz sein, dass wir nichts wegschmeißen. Und jeder hat seine Einkoch-Kapazitäten erhöht und kann jetzt Marmeladen kochen. (lacht)
Wird die Marmelade auch „fairteilt“ oder ist die zum Eigengebrauch gedacht?
Tatsächlich geben wir eingekochte oder verarbeitete Lebensmittel aufgrund der Hygiene nicht weiter.
Es gibt also gewisse Vorschriften für die geretteten Lebensmittel?
Absolut. Wichtig ist, dass man die Lebensmittel noch selbst prüfen kann. Bei trockenen Produkten wie Reis oder Nudeln geht das gut, da können auch mal angebrochene Packungen privat abgegeben werden. Auch ungeöffneten Käse, Joghurt oder Milch nehmen wir an. Wir dürfen aber Produkte nicht mehr weitergeben, wenn sie über dem Verbrauchsdatum liegen. Das ist im Gegensatz zum Mindesthaltbarkeitsdatum vor allem bei Fleisch oder eihaltigen Produkten wichtig, die hygienisch bedenklich sind. Das wollen wir auf keinen Fall riskieren, deshalb muss man schon ein kleines Grundwissen aufbauen.
Wenn ich das alles weiß, was muss ich noch tun, um Foodsharer zu werden?
Wir sind organisiert über die Seite www.foodsharing.de. Da meldet man sich an und schon kann man sich mit anderen Foodsharern privat vernetzen und gegenseitig beieinander Lebensmittel retten.
Sie selbst sind nicht nur Foodsharer sondern Foodsaver, also Lebensmittelretterin.
Genau, wenn man Foodsaver werden möchte, also auch bei Kooperationsbetrieben Lebensmittel abholen möchte, muss man ein kleines Quiz machen. Das kann man sich wie eine Führerscheinprüfung vorstellen. Danach begleitet man wie eine Art Azubi andere Foodsaver und lernt die Abläufe kennen. Wenn man das dreimal gemacht hat, wird man verifiziert und kann selbst Lebensmittel retten. Dafür hat man dann einen Stammbezirk, das ist meistens der Wohnort.
Foodsharing gibt es in Herne seit 2015, Ihre Mitbotschafterin Gaby Greiner hat die Community aufgebaut. Was hat sich seither getan?
Ohne Gabys Vorarbeit wäre das hier nie so groß geworden. Seit 2019 sind wir so viele, dass wir Kooperationen mit Betrieben aufbauen konnten. Mittlerweile sind es sechs Betriebe, entsprechend wächst auch die Zahl der Abholungen. In Herne haben wir täglich Abholungen. Dabei ist uns Zuverlässigkeit sehr wichtig. Da darf keine Lieferung ausfallen, deshalb müssen wir einen Grundstock an Foodsavern haben, die bereit sind, Lebensmittel abzuholen.
2020 haben Sie in Herne den ersten „Fairteiler“ eingerichtet, also eine zentrale Stelle, an der Foodsharer Produkte abgeben oder abholen können. Gibt es mittlerweile mehr davon?
Noch nicht, aber wir arbeiten daran, dass wir bald mehr übers Stadtgebiet verteilt sind. Ansonsten geht viel über die Website, von privat zu privat oder über die Sozialen Medien.
Stichwort „sozial“: Ist Foodsharing auch ein soziales Anliegen? Kommen - gerade mit Blick auf die Pandemie oder die Inflation - auch Menschen zu Ihnen, weil sie sich keine Lebensmittel leisten können?
Seit der Pandemie sind wir auf jeden Fall mehr geworden, es ist allerdings schwer zu sagen, warum: Ob es daran liegt, dass das Umweltbewusstsein wächst, ob die Leute mehr Zeit fürs Ehrenamt haben oder vielleicht auch weniger Geld für Lebensmittel. Wir haben viele Foodsharer, die Lebensmittel zur Suppenküche bringen oder auch zu Geflüchtetenunterkünften. Von daher merken wir schon, dass die Nachfrage besteht. Wir wollen den Aspekt nicht vernachlässigen und sind froh, wenn ein sozialer Ausgleich geschieht. Deshalb stehen wir auch in keinerlei Konkurrenz zur Tafel, die hat immer Vorrang. Wir sind froh, wenn Betriebe, bei denen wir anfragen, bereits mit der Tafel kooperieren. In erster Linie richten wir uns nicht an die Bedürftigkeit, sondern wir sind eine Umweltinitiative. Unser Hauptziel ist es, dass Lebensmittel nicht weggeschmissen werden.
Was genau hat denn Foodsharing mit Umweltschutz zu tun?
Es gibt einen enormen Ressourcenverbrauch durch die Herstellung der Lebensmittel, die Lagerung, den Transport, auch die Arbeitskosten. Und wenn das dann alles im Müll landet, ist es einfach eine riesige Verschwendung. Deshalb sehen wir das als Umweltanliegen. Auch, wenn man überlegt, wie die Ressourcen in der Welt verteilt sind.
Umweltschutz ist immer auch politisch. Was wünschen Sie sich von der Politik?
Wenn es um unser Hauptanliegen geht, dann, dass Lebensmittel nicht mehr weggeschmissen werden dürfen. In Frankreich gibt es schon solche Wegwerfstopp-Gesetze. Es wäre toll, wenn auch in Deutschland der Zwang bestünde, dass das, was noch essbar ist, gespendet wird. Manchmal ist es eben wichtig, dass die Politik eingreift und sich da nicht nur auf das Ehrenamt verlässt, das zusätzlich noch Aufklärung leistet.
Noch ein gutes Stichwort: Aufklärung. Wo setzt man da an?
In den Schulen, damit Schülerinnen und Schülern ein gesunder Umgang mit Lebensmitteln beigebracht wird. Das ist auch ein großer Teil unserer Arbeit. Wir freuen uns immer über Anfragen, halten Vorträge, um Foodsharing bekannter zu machen. Wenn wir Infostände haben, erklären wir den Leuten, wie man Dinge richtig im Kühlschrank lagert, wie man Lebensmittel wertschätzt. Ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum heißt nicht, ich muss den Joghurt direkt wegschmeißen. Wir sind leider noch lange nicht da angekommen, dass wenig weggeschmissen wird.
>>> Weitere Informationen: Foodsharing in Herne
- Wer sich in Herne als Foodsaver engagieren möchte, kann über die E-Mail Adresse herne@foodsharing.network Kontakt zum Orgateam aufnehmen. Die Herner Foodsharer sind außerdem über die Facebookgruppe „Foodsharing Herne“ organisiert.
- An jedem zweiten Dienstag im Monat trifft sich das Orgateam für ein Foodsharing-Plenum in den Räumen der Gesellschaft für Integration im „Ort der Kulturen“ (Overwegstraße 32). Neue Mitglieder und Interessierte sind jederzeit willkommen.
- Der „Fairteiler“ – ein Kühlschrank, in dem Foodsharer Lebensmittel deponieren und so anderen zur Verfügung stellen können – ist im Café Desaster (Mont-Cenis-Straße 26) zu finden.