Herne. Es fanden nicht nur Wahlen beim Parteitag der Herner CDU statt. Kritik und Selbstkritik wurden geübt. Und es gab sogar eine Entschuldigung.

Fünf Jahre lang war Timon Radicke Kreisvorsitzender der Herner Christdemokraten und trat nun nach immer stärkeren Gegenwind nicht mehr an. Auch bei der Neuwahl des CDU-Vorstandes am Samstag im Volkshaus Röhlinghausen gab es offen sowie zwischen den Zeilen Kritik an dem 36-Jährigen. Die deutlichsten Worte fand allerdings Radicke: Er übte nicht nur Selbstkritik, sondern sprach auch eine Art Entschuldigung aus.

Selbstkritisch in seiner Abschiedsrede als Vorsitzender der CDU Herne: Timon Radicke am Samstag im Volkshaus Röhlinghausen.
Selbstkritisch in seiner Abschiedsrede als Vorsitzender der CDU Herne: Timon Radicke am Samstag im Volkshaus Röhlinghausen. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Diese galt Bettina Szelag, seiner Vorgängerin an der Spitze der CDU-Ratsfraktion. „Ich habe dir das Leben an der einen oder anderen Stelle schwer gemacht“, sagte Timon Radicke. Bei manchen Dingen komme er heute zu einer anderen Bewertung: „Das nennt man dann ,lernen’.“ Zur Erinnerung: Direkt nach der Kommunalwahl war Szelag vorläufig und ohne Gegenstimme zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, um dann einige Wochen später bei der formellen Bestätigung von der Fraktionsmehrheit ohne Vorwarnung abgewählt zu werden.

Timon Radicke räumt eigene Fehler ein

„Ich war nicht immer einfach“, gestand Radicke im Volkshaus ein. Nicht jede Entscheidung sei richtig, nicht jeder Ton angemessen gewesen. Und: Dass er im Bundestagswahlkampf für die CDU im Berliner Adenauer-Haus gearbeitet habe, habe die Lage für die Union in Herne sicherlich nicht einfacher gemacht.

Der Lehrer setzte aber auch einige Nadelstiche gegen innerparteiliche Gegner. Nach der schweren Kommunalwahl-Niederlage für die CDU und für ihn als OB-Kandidat habe er am Wahlabend in den Gesichtern einiger Parteifreunde Genugtuung gesehen. Dass sich das Gefühl der persönlichen Enttäuschung nach der Kommunalwahl – auch Bußmann war als Ratskandidat durchgefallen – bei einigen in ein „Gefühl der Wut“ auf den Vorsitzenden verwandelt habe, bedauere er sehr. Aber: „Das liegt in der Natur der Sache.“

Ukraine-Krieg: Christoph Bußmann schämt sich für die Bundesregierung

Harsche Kritik am Parteivorstand übte in der anschließenden Aussprache der frühere Stadtverordnete Michael Musbach. Der Rollstuhlfahrer beklagte, dass die neue Geschäftsstelle an der Bahnhofstraße nicht barrierefrei und für ihn nicht ohne fremde Hilfe erreichbar sei. Radicke versprach hier Abhilfe. Auf Nachfrage Musbachs räumte er zudem ein, dass er die Räume der alten CDU-Geschäftsstelle an der Wilhelmstraße in Wanne gekündigt habe, ohne dafür vorher den dafür notwendigen Vorstandsbeschluss eingeholt zu haben.

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Und was sagte Christoph Bußmann? „Die Partei ist keine One-Man-Show, es funktioniert nur gemeinsam“, erklärte der spürbar nervöse Eickeler in seiner Bewerbungsrede und zielte damit offenbar auf Radicke. Direkter Kritik enthielt sich der Mitarbeiter des Gelsenkirchener Jobcenters, sondern sagte nur allgemein: „Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Partei mehr kann.“ Erfolge müssten besser kommuniziert werden, Vertrauen zurückgewonnen werden. Und er versprach, dass es mit der CDU in Herne keine weiteren Steuererhöhungen geben werde. Aus sich heraus ging der 34-Jährige nur beim Thema Krieg. „Ich schäme mich für diese Bundesregierung. Olaf Scholz duckt sich weg“, sagte Bußmann und forderte mehr militärische Unterstützung für die Ukraine.

Der neue geschäftsführende CDU-Vorstand: (von links) Schatzmeister Markus Schlüter, erste stellvertretende Vorsitzende Bettina Szelag, Vorsitzender Christoph Bußmann, zweite stellvertretende Vorsitzende Katrin Rickert und Schriftführerin Denise Fräbel. Nicht auf dem Bild: Mitgliederbeauftragter Björn Wohlgefahrt, der bei der konstituierenden Vorstandssitzung für die engere Parteispitze kooptiert werden soll.
Der neue geschäftsführende CDU-Vorstand: (von links) Schatzmeister Markus Schlüter, erste stellvertretende Vorsitzende Bettina Szelag, Vorsitzender Christoph Bußmann, zweite stellvertretende Vorsitzende Katrin Rickert und Schriftführerin Denise Fräbel. Nicht auf dem Bild: Mitgliederbeauftragter Björn Wohlgefahrt, der bei der konstituierenden Vorstandssitzung für die engere Parteispitze kooptiert werden soll. © loc

Aufbruchstimmung erzeugte er mit seiner Rede nicht, was sich zunächst im zurückhaltenden Applaus und anschließend im mäßigen Wahlergebnis von 76,3 Prozent ausdrückte. Ebenfalls in Grenzen hielt sich der Beifall für Timon Radickes Abschiedsrede als Parteivorsitzender der CDU. Seine letzten Worte im Amt: „Es war mir eine Ehre, ihr Kreisvorsitzender sein zu dürfen.“

Wie Radicke hatte auch die stellvertretende Vorsitzende Andrea Oehler nicht mehr kandidiert. Ausgeschieden aus den CDU-Vorstand sind zudem Michael Lewburg, Angelika Groß, Jürgen Hausmann sowie Sven Rickert. In letzterem Fall bleibt das Vorstandsamt allerdings in der Familie: Die neue stellvertretende Parteivorsitzende Katrin Rickert ist seine Gattin.

Nicht alles lief bei diesem 93. Kreisparteitag reibungslos, was nicht zuletzt der Corona-Erkrankung des Kreisgeschäftsführers Kai Wahler geschuldet war. Schatzmeister Markus Schlüter konnte immerhin in seinem Finanzbericht eine positive Botschaft vermitteln: Die CDU Herne stehe finanziell auf „soliden Füßen“, sagte der Beigeordnete beim Regionalverband Ruhr. Trotz Verlusten in den Wahljahren 2020 und 2021 von rund 20.000 und 30.000 Euro habe das Reinvermögen der Partei zum 1. Januar 2022 insgesamt 193.947,77 Euro betragen.

>>> WEITERE INFORMATIONEN: CDU-Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren

In seinem schriftlichen Geschäftsbericht für die Jahre 2019 bis 2022 fordert Timon Radicke, dass in Zukunft mehr junge und mehr weibliche Mitglieder gewonnen und in die Verantwortung genommen werden müssten. Das Durchschnittsalter der Herner CDU liegt aktuell bei 63 Jahren; der Anteil der Frauen beträgt nur etwas mehr als ein Drittel.

Wenn es der Union nicht gelinge, neue Zielgruppen politisch zu aktiveren, werde die CDU künftig bei der Aufstellung der Kandidaten „nachhaltige Schwierigkeiten“ bekommen werden, wenn sie als Volkspartei weiterhin den Querschnitt der Bevölkerung abdecken wolle, so Radicke.