Herne. Impfpflicht: Warum sich Michelle Müntefering nicht festlegt, eine Herner Ärztin vor einem Desaster warnt und was ein Dezernent und die FDP sagen.

Die Diskussion über einer allgemeine Impfpflicht schlägt in Deutschland hohe Wellen. Wo stehen Herner Politiker und Experten? Die WAZ hat nachgefragt.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete

Michelle Müntefering wird die einzige Hernerin sein, die über eine allgemeine Impflicht voraussichtlich Ende März im Bundestag mitentscheidet. Auf Anfrage der WAZ hält sich die SPD-Bundestagsabgeordnete derzeit zur I-Frage noch bedeckt. Sie habe einer einrichtungsbezogen Impfpflicht zugestimmt, „insbesondere weil ich von der besonderen Sorgfaltspflicht des Personal gegenüber den zu Pflegenden überzeugt bin“. Auch eine allgemeine Impfpflicht könne helfen, die Pandemie insgesamt zu überwinden und einen weiteren Corona-Winter zu vermeiden: „Wir müssen endlich raus aus den Einschränkungen, die uns alle treffen - und deswegen ist eine Entscheidung für das Impfen immer auch eine Entscheidung der Solidarität für die gesamte Gesellschaft“, so Müntefering.

Keine klare Kante: Michelle Müntefering (SPD) will erst den Verlauf der Diskussion abwarten.
Keine klare Kante: Michelle Müntefering (SPD) will erst den Verlauf der Diskussion abwarten. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

In der Gesetzgebung brauche es dafür aber eine genaue Ausgestaltung und eine Einschätzung der Entwicklung im März: „Es gibt in den nächsten Wochen noch viele Fragen zu klären.“ Das Verfassungsgericht und auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kämen zu dem Schluss, dass eine Verfassungskonformität oder -widrigkeit einer Impflicht „nicht per se gegeben ist.“ Sie werde ihre Entscheidung davon abhängig machen, wie die Diskussion verlaufe.

Die Impfärztin und Grüne

Auf den Zeitfaktor weist auch Dorothea Schulte hin, allerdings verbunden mit einer deutlichen Botschaft: „Ich bin für eine allgemeine Impflicht, aber zum jetzigen Zeitpunkt wäre sie ein Desaster“, sagt die Grünen-Ratfrau und Ärztin, die in Herne unter anderem Geflüchtete und psychisch Kranke impft. Gleich mehrere Gründe sprächen gegen eine zeitnahe Einführung der Impfpflicht.

Die Herner Ärztin und Grünen-Ratsfrau Dorothea Schulte warnt vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft.
Die Herner Ärztin und Grünen-Ratsfrau Dorothea Schulte warnt vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. © Grüne | Hartmut Bühler

Die Datenlage sei derzeit viel zu unklar, das weitere Infektionsgeschehen nicht absehbar, so Schulte. Und: Der aktuelle Impfstoff schütze vor schweren Verläufen, aber nicht vor Infektionen. Zudem seien auf dem Tisch liegende Vorschläge wie zum Beispiel verpflichtende Beratungsgespräche „unausgegoren und nicht praktikabel“. Und: „Wir wissen gar nicht, wer bereits geimpft ist.“ Eine verfrühte Einführung der allgemeinen Impfpflicht würde zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen, „ohne dass es nennenswerte Vorteile bringen würde“, erklärt Schulte.

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Der Gesundheitsdezernent

Der städtische Gesundheitsdezernent Johannes Chudziak spricht sich persönlich für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren aus, die aufgrund der derzeit offenen Fragen aber zeitlich befristet werden sollte. „Das ist nicht mehr nur eine private Entscheidung. Impfen schützt die Allgemeinheit“, sagt er.

Die Impfung sei mehr als eine private Entscheidung, sagt Hernes Gesundheitsdezernent Johannes Chudziak.
Die Impfung sei mehr als eine private Entscheidung, sagt Hernes Gesundheitsdezernent Johannes Chudziak. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Die Impfquote müsse möglichst hoch gehalten werden, um die Belastungen für die Gesellschaft und insbesondere des Gesundheitssystems zu minimieren. Impfen schütze vor schweren Verläufen, so Chudziak. Der Dezernent warnt allerdings davor, den Kommunen eine Überwachung der allgemeinen Impfpflicht zu übertragen, so lange es kein Impfregister oder andere Dokumentationsmöglichkeiten gebe, auf die die Stadt Zugriff habe. „Das könnten wir nicht leisten.“

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Der FDP-Politiker

Innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion wird eine Impfpflicht besonders kontrovers diskutiert. Auch der Herner FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Nückel tut sich schwer, kommt aber letztlich zu diesem Schluss: „Stand heute wäre ich für eine allgemeine Impfpflicht.“ Ihm gehe es vor allem um den Schutz des Gesundheitssystems und der Krankenhäuser vor einer Überlastung, so der Liberale. Und: Die Historie zeige, dass Krankheiten durch Impfungen letztlich ausgerottet worden seien.

Setzt auf den Faktor Zeit und hofft auf Medikamente gegen Corona: der Herner FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Nückel.
Setzt auf den Faktor Zeit und hofft auf Medikamente gegen Corona: der Herner FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Nückel. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Er würde die Impflicht wegen zahlreicher Unklarheiten und Unwägbarkeiten aber unbedingt zeitlich befristen, betont er. Und er habe die Hoffnung, dass es einer Impflicht gar nicht mehr bedürfe, weil möglicherweise schon bald antivirale Medikamente mit hoher Wirksamkeit verfügbar seien. Stichwort Impfgegner: „Die sind nicht alle durchgeknallt.“ Es gebe auch zahlreiche Menschen, die sich durch die Masse an Informationen - „zu zwei Dritteln Fake News“ - verunsichern ließen. Das werde von der AfD und anderen rechten Kräften ausgenutzt.