Herne. Viertklässler mussten den Großteil ihres letzten Grundschuljahres in „Distanz“ verbringen. Dies führe nun zu Defiziten, berichten Herner Lehrer.

Diese Sorge kam vor den Sommerferien auf: Wie werden Kinder, die während ihres letzten Grundschuljahres wegen Corona die meiste Zeit zu Hause lernen mussten, den Sprung auf eine der weiterführenden Schulen meistern? Nun hat die Herner WAZ mit einigen Lehrern von fünften Klassen und Schulsozialarbeitern gesprochen. Deren Befund nach den ersten Monaten ist eindeutig: Im Vergleich zu Fünftklässlern der Vor-Coronazeit gebe es eine Reihe von Auffälligkeiten.

Es gebe definitiv Rückstände, zahlreiche Kinder hätten bei der Leistungsfähigkeit im Unterricht bei weitem nicht den Stand wie frühere Fünftklässler, sagt einer der Gesprächspartner, die nicht mit Namen genannt werden möchten, damit keine Rückschlüsse auf Schulen oder gar Kinder gezogen werden können. Den Grundschullehrern könne angesichts der Rückstände kein Vorwurf gemacht werden, weil diese auch im Lockdown gewesen wären und bei der Digitalisierung am schlechtesten aufgestellt seien.

Probleme treten verstärkt bei Kindern in sozialen und familiären Problemlagen auf

Ein Lehrer spricht davon, dass die Auffälligkeiten noch dramatischer seien als in der Vergangenheit. Schon Rückwärtsgehen sei nicht mehr selbstverständlich. Auch Mitgefühl und Streitlösungen bereiteten Probleme. Diese Dinge träten verstärkt bei Kindern auf, die in sozialen und familiären Problemlagen aufwachsen. „Da ist es manchmal wichtiger zu schauen, ob es dem Kind gut geht, als zu fragen, ob es die Matheaufgaben gemacht hat“, so der Lehrer.

Die Viertklässler des vergangenen Schuljahres mussten die meiste Zeit mit Homeschooling verbringen. Dies bringt jetzt Probleme in der fünften Klasse.
Die Viertklässler des vergangenen Schuljahres mussten die meiste Zeit mit Homeschooling verbringen. Dies bringt jetzt Probleme in der fünften Klasse. © FUNKE Foto Services | Symbolbild: Svenja Hanusch

Ein Kollege berichtet, dass wohl noch nie so viele Etuis heruntergefallen seien, wie in den vergangenen Monaten. Das sei vielleicht ein Mittel, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Vielen Kindern falle es schwer, einen Schultag in seiner Länge - teilweise bis zu neun Stunden - zu überstehen, weil der Distanzunterricht wesentlich kürzer gewesen sei. Für die Kinder sei schwer, so lange die Konzentration zu halten.

Der Lernstand der Kinder ist sehr unterschiedlich

Manchen Kindern falle es nach der langen Zeit im Distanzunterricht nicht nur schwer, überhaupt wieder zur Schule zu gehen. Für die Fünftklässler käme erschwerend hinzu, dass sie nun an einer unbekannten, viel größeren Schule seien. Diese Unsicherheit äußere sich in vielen Fehltagen. Zu normalen Zeiten gebe es Kennenlerntage, bei denen man das Eis brechen, Ungewissheit nehmen und Freude auf das Kommende wecken konnte. Die seien wegen Corona aber ausgefallen.

Ein weiteres Problem: Bei Übungen habe sich herausgestellt, dass einige Schüler bestimmten Lernstoff in der Grundschule durchgenommen hätten, andere wiederum nicht. Es gebe große Schwierigkeiten diese „Black Box“ mit den bestehenden Problemen zu öffnen, weil sie so differenziert seien - zumal auch ein Tag Corona zum Opfer gefallen sei, an dem sich Lehrer der Grund- und weiterführenden Schulen über die Kinder austauschen. Dieser Austausch sei in diesem Jahr eingeschränkt gewesen. Viele Lehrer der aufnehmenden Schulen hätten nicht gewusst, welche Kinder sie bekommen.

Vorwurf: Das System Schule reagiert zu wenig auf die Probleme

Ein Vorwurf der Lehrer und Schulsozialarbeiter: Schule reagiere zu wenig auf diese Probleme. Es gebe zwar das Programm „Aufholen nach Corona“, aber oft fehle es an Ideen, um es zu nutzen. Manche Lehrer flüchteten sich in die fachlichen Dinge, um Dinge auf dem Lehrplan abhaken zu können, die Probleme der Kinder blieben so auf der Strecke. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen dem, was schulisch aufgeholt werden müsse und dem, was sozial und motorisch fehle. Beides dürfe aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das Problem sei, dass die Pläne zum Ende der fünften Klasse einen bestimmten Kenntnisstand bei den Kindern vorsehen.

Die Lehrer und Schulsozialarbeiter weisen auf einen Fehler im System hin. Zwar habe das Ministerium gesagt, dass die Kinder nach den Ferien erstmal in der Schule ankommen sollen, aber alle Lehrpläne seien komplett erhalten geblieben. Da die Fünftklässler jedoch teilweise mit Rückständen kommen, müsste das Aufholtempo sogar noch schneller sein. Außerdem sei es ein Widerspruch gewesen, dass die verordnete Ankommens-Phase bis zu einem bestimmten Tag im September terminiert gewesen sei. „Ankommen kann man nicht terminieren.“

>>> AUCH SCHULLEITER SEHEN PROBLEME

■ Auch Herner Schulleiter registrieren Defiziten beim Schulübergang. So berichtet Stefan Lindemann, Leiter der Realschule an der Burg, von Problemen, die man früher nicht gesehen habe. Angesichts der Tatsache, dass die Fünftklässler nach so langer Pause nun in Präsenz an einer unbekannten Schule unterrichtet würden, gebe es teilweise eine „Schulangst“.

■ Lothar Heistermann, Leiter der Hans-Tilkowski-Schule, berichtet, dass man merkt, dass die Schüler ein Jahr lang weniger Kontakte gehabt hätten. Bei manchen Schülern sei die Sprachentwicklung gehemmt, auch das Kopfrechnen bereite Probleme. Daneben müssten viele Routinen wieder eingeübt werden.