Herne. Die Hernerin Anke Nellesen ist Professorin für Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung. Nebenbei engagiert sie sich bei Fridays for Future.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz rücken immer stärker in den Fokus der Gesellschaft. Mittlerweile ist das Thema auch in den Hörsälen der Hochschulen angekommen. Anke Nellesen aus Herne ist Professorin an der Hochschule Bochum im Fach Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung. Über ihren Weg dorthin, ihren Studiengang und die Schwierigkeiten des nachhaltigen Lebens hat sie im Interview mit WAZ-Redakteurin Lea Wittor gesprochen.

Wie sind Sie darauf gekommen, das Fach „Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung“ zu unterrichten?

Auch interessant

Ich hatte schon immer Interesse an naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fächern in der Schule. Da ich einen guten Chemielehrer hatte, habe ich mich dazu entschlossen, ein Chemiestudium zu beginnen. Schon während der Zeit habe ich mich für Politik und Umweltschutz interessiert. Aber mir war von Anfang an klar, dass ich mit der Chemie-Ausbildung etwas Gutes für die Gesellschaft tun kann – und das war mir schon immer wichtig.

Wie ging Ihr Weg dann weiter?

Nach einigen Stationen – unter anderem habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Frauenhofer Institut in Oberhausen gearbeitet – habe ich 2010 nach Fachholschulprofessuren gesucht. Die Stelle, auf der ich jetzt sitze, war die erste, auf die ich mich beworben hatte. Die Stellenanzeige hat mich sehr interessiert, weil ich wusste, dass das Fach für mich breit genug aufgestellt ist. Es gibt nicht nur Technik, nicht nur Naturwissenschaften – da sind ganz viele Aspekte mit drin

Was genau kann man sich unter „Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung“ vorstellen? Welche Kurse unterrichten Sie?

Was ich recht stark mache in den Vorlesungen ist die Lebenszyklusanalyse. Das kennt man auch unter dem Stichwort „Ökobilanz“. Also die Frage: Wie kann man ermitteln, wie viel Treibhausgas-Emissionen ein Produkt in seiner ganzen Lebenszeit verursacht? Dann mache ich die Systemtheorie. Da geht es um die Frage: Wie genau kann man eigentlich ein System analysieren? Zum Beispiel das Mobilitätssystem: Was können wir ändern, um das besser verträglich für die Umwelt zu machen? Und ich unterrichte Methoden nachhaltiger Technikgestaltung. Da geht es darum, wie man Produkte von Anfang an so gestalten kann, dass sie der Umwelt nicht zur Last fallen. Und wie kann man Produkte konzipieren, sodass sie direkt in den Kreislauf geführt werden? Und zwar so, dass nicht nur die biologischen Materialien, sondern auch die technischen Materialien in einer guten Qualität weiterverwenden werden können.

Seit 2011 unterrichtet Anke Nellesen an der Hochschule Bochum im Fach Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung.
Seit 2011 unterrichtet Anke Nellesen an der Hochschule Bochum im Fach Nachhaltigkeit mit technischer Ausrichtung. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wie viele Studentinnen und Studenten sind in dem Studiengang?

Jetzt zum aktuellen Semester haben ungefähr 90 angefangen. Das ist auch die Zahl, die wir pro Semester zulassen. Wir haben aber meistens weitaus mehr Bewerbungen. Deutschlandweit ist das das einzige Angebot in diesem Bereich, soweit ich weiß.

Ist die Nachfrage in den vergangenen Jahren gestiegen – jetzt, wo die Generation Fridays for Future anfängt zu studieren?

Auch interessant

Ich könnte mir vorstellen, dass der Studiengang für viele der jungen Leute interessant ist. Das denke ich mir auch immer, wenn ich mir den Studienplan angucke – ich hätte das auf jeden Fall gemacht, wenn es das damals schon gegeben hätte. Weil es eben viele Elemente umfasst, die wichtig für die Nachhaltigkeit sind.

Haben Sie denn jetzt das Gefühl, ihr Bedürfnis „Ich möchte etwas für die Gesellschaft tun“ stillen zu können?

Das ist schwierig einzuschätzen. Ich finde es schön und befriedigend, weil ich merke, wie viele junge Leute da hinterher sind, etwas über Nachhaltigkeit zu lernen. Aber ich glaube, ich muss wieder mehr in der Forschung aktiv werden. Das habe ich etwas schleifen lassen in den vergangenen Jahren.

Wie ist es im Alltag: Achten Sie stark auf Nachhaltigkeit?

Ich versuche es, so gut es geht. Aber das ist manchmal nicht so einfach. Zuhause versuche ich, öfter mal die Treppe und nicht den Aufzug zu nehmen. Ich wohne im 9. Stock, das ist also auch gesundheitlich nicht so verkehrt. Dann achte ich darauf, dass nirgendwo unnötig Licht brennt. Aber es ist einfach schwierig, in einer Gesellschaft wie unserer sich völlig korrekt zu verhalten. Denn alles, was man kauft, hat ja schon den ganzen Ballast an den Füßen. Und man kann ja nicht jedes Gemüse selbst ziehen.

Bringt es denn etwas, wenn man als Einzelperson auf solche Dinge achtet oder sehen Sie große Unternehmen in der Verantwortung?

Meine tiefe Überzeugung ist: Einer ist alle. Jeder einzelne von uns ist die Gesellschaft. Und wenn jeder einzelne von uns stark genug sagt, wir wollen das, dann müssen die Unternehmen reagieren. Denn die sind auch Teil der Gesellschaft. Meine stille Hoffnung ist, dass es über den Weg gelingt, sowas wie eine Weltgesellschaft zu bekommen. Fridays for Future gibt es in fast allen Nationen, wenn die an einem Strang ziehen, können wir das vielleicht schaffen.

Den Grünen wurde im Wahlkampf vorgeworfen, nur mit Verboten zu arbeiten. Was sagen Sie dazu?

Es ist die Frage, ob man überhaupt darum herumkommt. Das denke ich nämlich nicht. Es wird nicht reichen, technologische Innovationen zu fördern und darauf zu hoffen, dass die Wissenschaft uns retten wird. Wir müssen an unserer Einstellung, unserem Verhalten und unserer Gesellschaft arbeiten. Aber das möchte kein Politiker anfassen.

>> ZUR PERSON

Anke Nellesen kommt aus Dinslaken und wohnt mittlerweile in Herne.

1999 machte sie ihr Diplom. 2008 beendete sie ihre Promotion in organischer Chemie an der Universität Duisburg-Essen.

Sie ist 48 Jahre alt und hat einen Sohn. Seit 2011 unterrichtet sie an der Hochschule Bochum. Sie ist Mitglied bei den Grünen in Herne.