Herne. Maja Beckmann ist die „Schauspielerin des Jahres“. Im Interview spricht sie über Sehnsucht nach dem Ruhrpott und Frauen in der Theaterszene.
Bei unserem Treffen im Herner Café Extrablatt fühlt sich Maja Beckmann sofort wie zu Hause. An einem weiter hinten gelegenen Tisch sitzt eine Gruppe älterer Frauen, die lebhaft in breiter Ruhrpott-Manier plaudern, rauchen und Currywürste essen. Die Schauspielerin ist in Herne geboren, hat ihre Kindheit und Jugend hier verbracht. Mittlerweile gehört sie zum Ensemble des Schauspielhauses Zürich. Jetzt ist die 44-Jährige in einer Kritiker-Umfrage zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt worden. Im Interview mit der WAZ spricht sie über die Sehnsucht nach dem Ruhrgebiet, Sinnkrisen während des Lockdowns und Frauen in der Theaterbranche.
Sie haben das Ruhrgebiet 2014 verlassen, um am Staatstheater Stuttgart zu spielen. Gibt es etwas, das Sie vermissen?
Solche Tische wie den hinter uns vermisse ich extrem, diesen Damenverein. Irgendwann möchte ich auch in so einen Verein eintreten und dann mit meiner Dauerwelle irgendwo sitzen und rauchen. Eine Wurst würde ich nicht unbedingt essen, aber bei mir gäbe es dann Tofu-Würste (lacht). Ich vermisse vor allem die Direktheit, ein bisschen auch dieses Gefühl des Geborgenseins.
Was verbinden Sie mit der Kulturszene des Ruhrgebietes?
Dass die Leute Bock haben, zuzuschauen. Die sind überhaupt nicht distanziert. Außerdem gibt es viele tolle Künstler. Ich denke da zum Beispiel an den Schriftsteller Ralf Rothmann. Er sieht in dieser ganzen Untertage-Mentalität eine ganz zarte Poesie. Das ist mir auch ganz wichtig. Hier ist nicht alles nur „Komm mal her“ und „Lass mal machen“ und „Na, Keule?“.
Drei Ihrer vier Geschwister sind auch Schauspieler, mit denen sie häufig zusammen arbeiten. Läuft das immer harmonisch oder knallt es auch manchmal?
Erst einmal ist es wahnsinnig chaotisch und wir haben oft alle keinen Plan (lacht). Meistens sind wir unter extremem Zeitdruck, dann finden wir die Texte nicht mehr und keiner weiß genau, was wir gemacht haben. Dann lachen wir uns über uns selbst schlapp. Es ist anstrengend bis wunderschön. Am liebsten würde ich nichts anderes machen. Das ist aber schwierig umzusetzen, weil wir alle in unterschiedlichen Städten leben – ich in Zürich, meine Schwester in Hamburg, mein Bruder in Dortmund, mein anderer Bruder in Witten.
Sie sind gerade zur Schauspielerin des Jahres gewählt worden. Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?
Sie sind sind etwas Schönes, weil sie mir zeigen: Meine Arbeit wurde gesehen und wird wertgeschätzt. Das wünsche ich mir für alle Menschen. Denn für mich ist es gleichzeitig ein bisschen traurig zu wissen, dass ich die Auszeichnung bekommen habe und viele andere nicht. Ich finde, viel mehr Menschen sollten solche Standing Ovations bekommen.
Gibt es eine Rolle, die Sie gerne einmal spielen würden?
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Robin Hood, darauf hätte ich Lust. Ich finde es eine schöne Vorstellung, ein Unrecht bekämpfen und denen, die ganz viel haben, etwas wegzunehmen, um es zu verteilen.
Ihnen kommt also als erstes eine Männerrolle in den Kopf.
Ich würde ihn dann als Frau spielen, Rubina Hood zum Beispiel (lacht). Aber ja, das stimmt. Darüber muss ich mal nachdenken.
Ist es für Frauen schwieriger, eine vielschichtige, interessante Theaterrolle zu finden?
Es gibt nicht viele große Frauenrollen in den Klassikern. Um als Frau eine größere Strecke zu spielen, muss man meist auf die Hosenrollen zurückgreifen. Auf die Wilhelm Tells, Per Gynts und Richards. Ich finde die Idee spannend, eine Frauenfigur zu finden, die man neu erzählen kann. Man müsste der Amme von Romeo und Julia eine Geschichte geben. Über die gab es ja noch nie was, was war das eigentlich für eine Frau?
In der Corona-Zeit mussten auch Sie eine Pause einlegen. Konnten Sie mit der erzwungenen Tatenlosigkeit gut umgehen?
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Eine gewisse Leere habe ich schon gespürt. Wenn man nicht durch die Arbeit abgelenkt ist, dann ist man auf einmal mit vielen Fragen konfrontiert, die gar nicht mal so angenehm sind. Fragen wie: Was mache ich jetzt? Was ist meine Aufgabe? Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite? Das betrifft Künstlerinnen und Künstler besonders. Deswegen war ich froh, dass ich nicht ganz alleine war, sondern erst einmal zu meiner Schwester nach Hamburg gezogen bin – bis sie irgendwann gesagt hat: „Maja, wenn das jetzt drei Jahre lang geht, müssen wir uns was anderes überlegen“ (lacht). Zurück in Zürich konnten wir dann aber auch noch ein schönes Projekt umsetzen.
Welches Projekt war das?
Wir haben „Dekalog“ von Krzysztof Kieślowski gespielt, ein Werk über die zehn Gebote. Daraus haben wir mehrere Folgen gemacht, die man streamen konnte. Im Chat konnte das Publikum live darüber abstimmen, was wir Schauspieler machen sollen.
Solche Formate haben viele Theater während des Lockdowns entwickelt. Glauben Sie, dass Corona das Theater in dieser Hinsicht nachhaltig beeinflusst hat – wird es künftig digitaler und partizipativer?
Auf jeden Fall. Wir haben da in Zürich ganz viel Zeit und Aufwand reingesteckt, haben überlegt: Wie kann man die Stücke zugänglich machen, ohne sie nur abzufilmen? Was bedeutet es, Live-Theater im digitalen Raum zu spielen? Wie kreiert man ein gemeinsames Erlebnis, auch wenn man voneinander getrennt ist?
Auf der anderen Seite war der Lockdown für viele Künstlerinnen und Künstler existenzbedrohend.
Mir ist bewusst, dass ich in einer sehr privilegierten Situation bin. Uns als fest angestellte Schauspielerinnen hat die Frage sehr beschäftigt, wie wir die freie Szene unterstützen können. Als Einzelperson fühlte man sich da oft etwas hilflos. Ich glaube, am wichtigesten ist es, dem Publikum jetzt zu sagen: Es gibt wieder Angebote, bitte nehmt sie wahr. Geht ins Theater, ins Konzert, ins Kino.
Welche Projekte stehen bei Ihnen als nächstes an?
Unser aktuelles Stück „Einfach das Ende der Welt“ hatte in Zürich Premiere, kommt aber bald auch ins Schauspielhaus Bochum. Danach werden wir „Der Ring“, überschrieben von Necati Öziri, spielen. Im November fangen die Proben dafür an. Außerdem steht „Wilhelm Tell“ auf dem Plan. Ich freue mich auf alles sehr.
>>> Zur Person
- Maja Beckmann wurde 1977 in Herne geboren. Über zehn Jahre lang war sie im Ensemble des Bochumer Schauspielhauses engagiert. Seit 2019 ist sie Ensemblemitglied des Schauspielhauses Zürich.
- Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie durch die Fernsehserie „Stromberg“ bekannt, wo sie die Rolle der Sabine „Sabbel“ Buhrer spielte.
- Mit ihren Geschwistern Lina, Nils und Till Beckmann, ebenfalls Schauspieler, gründete sie das Ensemble „Spielkinder“. Regelmäßig treten sie gemeinsam mit Mitspielerinnen und Mitspielern auf – auch im Ruhrgebiet.