Herne. In Tagebüchern geht es oft um die Liebe. Im Stadtarchiv Herne schlummert das Tagebuch der jungen Margarethe. Was diese 1909 bis 1911 erlebt hat.
Im Stadtarchiv in Herne schlummert mancher Schatz – auch über die Liebe. Der schönste ist vermutlich das Tagebuch der Schülerin Margarethe Niemann aus den Jahren 1909 bis 1911. Es ist grün, hat einen dicken Einband und ein Schloss, und auf rund 50 Seiten berichtet die damals vermutlich 15- bis 17-Jährige über ihre Schwärmerei für Jungs und ganz, ganz viel Liebeskummer. Getrocknete Blumen liegen zwischen den Seiten, auch mal Zettelchen und, ganz klein, das Bild eines jungen Mannes.
Alina Gränitz (28), Mitarbeiterin der Stadtarchivs, hat das Tagebuch gelesen. Allein das dürfte nicht einfach gewesen sein, ist doch alles mit schwarzer Tinte in Sütterlin geschrieben, und die schon leicht vergilbten Seiten sind meist eng beschrieben. Der Inhalt, sagt Gränitz, sei typisch für das Alter der Verfasserin. Viele Jungs tauchten in dem Büchlein auf und noch viel mehr Schwärmerei erst für den einen, dann für den anderen. Vieles habe sich in den vergangenen 100 Jahren verändert, aber eines nicht: die Suche der Jugendlichen nach der Liebe.
Herne: Herren in der Tanzstunde stehen im Mittelpunkt
Margarethe Niemann lernt die Liebe in der Tanzschule kennen, erzählt die Stadtarchiv-Mitarbeiterin. Mit ihren Freundinnen ist sie dort, und in ihrem Mittelpunkt stehen nicht etwa Tänze oder Lieder, sondern: Jungs (oder wie man damals sagte: Herrn). „Margarethe und ihre beste Freundin Anna nutzen jede Gelegenheit, den Herrn beim Tanzen zuzusehen und somit ihnen in der Tanzschule zu begegnen“, erzählt die 28-Jährige schmunzelnd.
Einen bestimmten Herrn hatte Margarethe zunächst nicht im Blick, dafür gab es mehrere Kandidaten. Etwa einen Herrn Hergens. Dieser sei in der Tanzstunde auf sie zugekommen, habe sie ihrem Tagebuch anvertraut: „ich wurde natürlich ganz rot, u. sie sagten alle, er hätte mich so verliebt angeguckt“, heißt es da. Aber auch Willi aus der Nachbarschaft, einen 15-jährigen Obertertianer, kann sie demnach gut leiden. Er begleitet sie oft durch die Siedlung und kommt sogar mit zur Tanzstunde, wo er von der Galerie aus zuschaue, heißt es im Tagebuch.
Auf und Ab in der Gefühlswelt der Jugendlichen
Und dann taucht in der Tanzstunde der Neuling Eduard Meyer auf. Er wird sie über die Jahre nicht mehr loslassen. Meyer fordert sie zum Tanzen auf. Am 25. September 1909 berichtet Margarethe, dass sie für ihn schwärme und mit ihm zum Kramermarkt gegangen sei. Am 6. November sind die Tanzstunden dann leider vorbei – „und der Kummer von Margarethe wächst, da Eduard nicht mehr mit ihr spricht und sie das Gefühl hat, er kann sie nicht mehr leiden“, sagt Gränitz. Von nun an gebe es ein Auf und Ab in Margarethes Gefühlswelt.
Am 29. Dezember geht Margarethe mit ihren Freundinnen in den Kinematografen, wo sie Eduard trifft. Werden sie jetzt ein Paar? Im Tagebuch spricht sie von „Ersten Hoffnungsstrahlen“: In der Vorstellung sitzen sie nebeneinander, auf dem Weg nach Hause nimmt er ihre Hand – und lässt „ihr Herz höherschlagen“. Auf der Tagebuch-Seite mit dieser Beschreibung, so Gränitz, befindet sich das kleine Bild eines jungen Mannes, vermutlich Meyer. Am Silvesterabend 1909 muss es dann hoch her gegangen sein: Margarethe schreibt, dass sie nach sieben Gläsern Bowle auf den Stühlen tanzte und nach Mitternacht Eduard einen Kuss gab. „Das Foto von ihm hatte sie bereits in ihrem Medaillon, weshalb ein Kuss ihrer Meinung nach angebracht war“, erzählt Gränitz.
Tanz auf den Stühlen nach Mitternacht
Leider, leider: Mehr passiert nicht. Die beiden sehen sich zwar noch gelegentlich: mal im Kino, mal auf der Rollschuhbahn, dann auf einem Fest der Primaner. Einmal begleitet Eduard sie nach einem Treffen wieder nach Hause und habe ihr dabei sogar seinen Arm angeboten Margarethe schwärmt: „Och wie war das herrlich! Es war blendender Mondschein u. der Himmel sternenklar und ich durfte am Arm des Mannes, den ich so unsagbar aber unglücklich liebe, dahingehen. Ach! Warum kann er mich nicht lieben, nicht leiden, u. ich bin ihm doch so gut. Ja bei mir gilt vielleicht der Spruch: Wer Glück im Spiel hat, hat Unglück in der Liebe.“
Im April 1911 zieht Eduard nach Göttingen.
Weitere Informationen über Margarethe Niemann hat das Stadtarchiv nicht. Wie die Frau aussah, ja wie das Tagebuch in den Besitz des Stadtarchivs kam, das sei nicht bekannt, sagt Alina Gränitz. Auch nicht, ob Margarethe ihn dann doch noch fand, den Mann fürs Leben.
Übersicht „Bei aller Liebe“: So lieben sich die Herner
„Bei aller Liebe“ - in unserer Serie geht es um das Thema Liebe in Herne in all ihren Facetten. Wir haben uns mit ganz unterschiedlichen Menschen getroffen, die Mann oder Frau, jung oder alt, hetero- oder homosexuell, single oder vergeben sind und uns ihre ganz persönliche Geschichte erzählt haben.
Hier eine Übersicht mit allen bisher veröffentlichten Texten:
Teil 1:
Teil 2:
Teil 3:
Teil 4:
Teil 5:
Teil 6:
Teil 7:
>> WEITERE INFORMATIONEN: Tagebuch soll ein Denkmal sein
„Es soll dies Buch ein Denkmal sein / für heitere u. für trübe Stunden, / Für Freunde, die das Herz gefunden, / Den Lebenspfad mit Blumen zu bestreun“, heißt es auf der ersten Seite des Tagebuchs von Margarethe Niemann.
Und weiter: „Oft führt er uns durch Irrgewinde, / von Frühlingsaun durch Wüsteneien, / Nur dessen Name Platz hier finde, / Der treu im Missgeschick auch bleibt,/ Der nicht mit schönen Worten spielet, / Sondern tief im Herzen fühlet, Was seine Hand hier niederschreibt“.