Das Herner Frauenhaus ist 40 Jahre alt geworden. 2850 Frauen haben in der Zeit dort mit 3164 Kindern gelebt. Vier Frauen haben wir getroffen.

2850 Frauen haben seit dem 1. Mai 1981 Zuflucht im Herner Frauenhaus gefunden. Junge und ältere, Mütter, Alleinstehende, in Deutschland geborene und immer mehr zugewanderte. So unterschiedlich ihr Leben war, bis sie dort ankamen, so unterschiedlich setzten sie ihren Weg danach fort. Zum 40. Geburtstag haben wir drei ehemalige Bewohnerinnen und eine aktuelle Bewohnerin gefragt: „Wie hat dich die Zeit im Frauenhaus verändert?“

Karina (52)

Karina hat vor 30 Jahren im Frauenhaus gelebt. Sie genoss damals besonders die Gemeinschaft.
Karina hat vor 30 Jahren im Frauenhaus gelebt. Sie genoss damals besonders die Gemeinschaft. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Karina war 22 Jahre alt, als sie vor 30 Jahren ins Frauenhaus zog. Ihre Töchter waren anderthalb und knapp drei, sie war mit ihnen auf der Flucht vor ihrem Mann, der schon in Polen getrunken hatte und sie schlug. Als die Situation wieder einmal eskalierte, „hat mir meine Nachbarin 20 Mark gegeben und mich in ein Taxi gesetzt“. In der Nacht traf sie im Frauenhaus ein. Karina sprach damals noch kein Deutsch. „Ich war verzweifelt und wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Das Frauenhaus war meine Rettung.“

Das war im Januar. Karina blieb die nächsten Monate und lebte sich ein. „Das war so eine tolle Gemeinschaft“, schwärmt sie noch heute von den anderen Frauen und der Mitarbeiterin, die sie betreute. Im Sommer, nach ein paar Monaten, fand sie eine Wohnung in Crange. Mit vielen Frauen aus der Frauenhaus-Zeit hat sie heute noch Kontakt. „Ich stehe dazu“, sagt sie. „Ohne das Frauenhaus wäre ich nicht, was ich heute bin.“ Karina ist wieder verheiratet und arbeitet in einer Bäckerei.

Nadia (35)

Nadia (Name geändert) lebt seit Januar mit ihrer einjährigen Tochter im Frauenhaus. Vor zwei Jahren ist sie aus Marokko nach Deutschland gezogen, zu einem Mann, den sie über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt hatte und der sich als gewalttätig erwies. „Ich wollte nicht, dass meine Tochter damit aufwächst“, sagt sie. Die hoch qualifizierte 35-Jährige führt das Gespräch in perfektem Englisch, sie hat in ihrer Heimat einen Bachelor in Englisch und einen Master in Interkulturellen Studien absolviert, im Ministerium und der Botschaft gearbeitet und unterrichtet.

Doch zurückkehren kann sie nach dem Gesetz mit dem gemeinsamen Kind nach Marokko nur, wenn ihr Mann es erlaubt, was nicht der Fall ist. Auf Umwegen kam sie ins Herner Frauenhaus, das sie demnächst wieder verlässt: Nadia hat eine Wohnung gefunden. „Ich habe hier Zeit zum Nachdenken gehabt“, resümiert sie. „Es war immer jemand da, den ich fragen konnte. Das hat mich psychisch entlastet.“ Trotzdem: Sie will es jetzt allein mit ihrer Tochter versuchen und freut sich darauf.

Hanife (46)

Hanife war Bewohnerin des Frauenhauses, heute ist sie festangestellte Mitarbeiterin, zuständig für den Hauswirtschaftsbereich.
Hanife war Bewohnerin des Frauenhauses, heute ist sie festangestellte Mitarbeiterin, zuständig für den Hauswirtschaftsbereich. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Zwei kleine Kinder, ein drogenabhängiger Mann, der sie schlug: Das war Hanifes Leben, als sie 2009 ins Frauenhaus kam. In der Türkei aufgewachsen, sprach sie kein Deutsch. Die Nachbarn in Dortmund griffen ein, als wieder einmal ein Streit eskalierte und riefen die Polizei. „Auf dem Präsidium wurde ich gefragt, ob ich zurück wollte, in die Türkei oder in ein Frauenhaus“, erinnert sich Hanife. „Ich wusste nicht, was ein Frauenhaus ist.“ Trotzdem wählte sie diese Möglichkeit. Raffte ein paar Sachen für die Kinder zusammen und landete ein paar Stunden später im Herner Frauenhaus.

„Wo bin ich? Was mache ich? Schaffe ich das? Ich hatte 1000 Fragen im Kopf.“ Ganz allein, aber mit Unterstützung der Frauenhausmitarbeiterinnen, von den zwei Türkisch sprachen, schaffte sie es. Und lernte nebenbei sogar Deutsch: „Ich hatte mein Wörterbuch mitgenommen. Und wenn die Kinder geschlafen haben oder beschäftigt waren, habe ich die Sprache gelernt.“ Acht Monate blieb sie, dann zog sie aus, hielt aber den Kontakt - und kehrte 2017 als Mitarbeiterin zurück. Inzwischen ist Hanife allseits anerkannte Hauswirtschaftskraft, mit voller Stelle.

Sarah (22)

Sarah konnte sich zu Hause nicht entfalten, weil ihre Vorstellungen nicht denen der Familie entsprachen.
Sarah konnte sich zu Hause nicht entfalten, weil ihre Vorstellungen nicht denen der Familie entsprachen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Sarahs Familie stammt aus dem Irak. „Ich bin vor meinem Stiefvater geflüchtet“, erzählt die 22-Jährige. „Wir haben uns nicht verstanden, ich wurde unterdrückt.“ Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, „ich hatte aber die Freiheiten nicht, die andere hatten.“ Ihr Weg sei ihr vorgeschrieben worden. „Ich sollte mich auf die Familie und die Schule konzentrieren.“ Mitten im Abi wechselte Sarah 2017 die Schule und zog ins Herner Frauenhaus. „Das war eine lehrreiche Erfahrung“, sagt sie heute. Im Frauenhaus fand sie die Orientierung, die ihr fehlte. Ihr Dilemma: „Ich wollte meine eigenen Entscheidungen treffen, aber mich nicht komplett lösen.“

Nach sieben Monaten zog sie aus, zu einer ihrer Schwestern. Heute lebt sie wieder bei ihrer Mutter, diese ist vom Stiefvater getrennt. Sie studiert Geschichte und Germanistik und arbeitet als Integrationshelferin an einer Schule. „Mit Freiheiten umzugehen, ist nicht so einfach“, weiß Sarah heute. „Entscheidungen zu treffen, habe ich im Frauenhaus gelernt“. Auch die Gemeinschaft mit den Frauen, die alle ihre Geschichten mitbrachten, gab ihr viel: „Ich wusste danach, welche Männer ich nicht kennenlernen wollte.“

Das Frauenhaus in Corona-Zeiten

Um von ihren Erfahrungen zu erzählen, schauen Karina und Sarah das erste Mal im neuen Haus vorbei. Ein paar Stücke Kuchen stehen auf dem Tisch, aber aber von Geburtstagsparty kann keine Rede sein. Das Herner Frauenhaus ist im Corona-Modus, seit Monaten.

Einzelgespräche finden zwar statt und Hausversammlungen, „aber wir achten darauf, dass die Frauen in ihren Wohnungen bleiben“, sagt Beate Kaupen, seit 1987 Mitarbeiterin. „Wir tragen Masken und es wird regelmäßig getestet.“ Ein Coronafall wurde ausquartiert und blieb so ohne Folgen. Neun Frauen und sieben Kinder leben aktuell in dem 2020 bezogenen komfortablen Haus mit Garten.

Gartenpädagogin eingestellt

Die Gartenfee Ulrike Witzel, 2. von links, und Carolin Fuhrmann vom Frauenhaus, legen mit den Kindern Stroh um Erdbeerpflanzen im Garten des Frauenhauses in Herne.
Die Gartenfee Ulrike Witzel, 2. von links, und Carolin Fuhrmann vom Frauenhaus, legen mit den Kindern Stroh um Erdbeerpflanzen im Garten des Frauenhauses in Herne. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Der Garten nimmt inzwischen Gestalt an. Die Hochbeete sind bepflanzt, im Holzhaus sollen bald Kreativangebote stattfinden. Mit der Waldorfpädagogin Ulrike Witzel ist sogar eine Fachkraft eingestellt. Bei den Bewohnerinnen komme der Garten unterschiedlich an. Während die einen Spaß am Wühlen in der Erde haben, müssten manche erst „lernen, sich schmutzig zu machen“, berichtet Beate Kaupen. Geerntet wird später. „Im Herbst wollen wir dann die Früchte auch zu Marmelade verarbeiten.“

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Zehn Betten hat das Frauenhaus zu vergeben und meistens sind alle belegt. „Die Nachfrage steigt“, sind sich Beate Kaupen und ihre Kollegin Olga Kornev einig. „Wir könnten auch 15 Plätze belegen.“ So viele entsprächen nach der Istanbul-Konvention der Einwohnerzahl Hernes. Nicht nachvollziehen können sie das jüngste Statement der NRW-Gleichstellungsministerin: Ina Scharrenbach hatte von ausreichend Frauenhausplätzen in NRW gesprochen.

Nicht zusammen passen will die in Herne sinkende Zahl der Polizeieinsätze mit der steigenden Nachfrage: 290 Einsätze waren es 2020, gegenüber 317 im Vorjahr. Auch die ausgesprochenen Rückkehrverbote für gewalttätige Männer sanken von 160 auf 147. Eine Erklärung hat das fünfköpfige Herner Frauenhaus-Team dafür nicht, zumal NRW-weit dieZahl der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt im ersten Coronajahr um 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist.

JAHRESBERICHT 2020

Im Herner Frauenhaus haben 38 Frauen und 40 Kinder gelebt.

31 Frauen waren zwischen 19 und 40 Jahre alt, eine jünger und sechs Frauen zwischen 41 und 60.

19 Frauen blieben bis zu einem Monat, sechs bis zu drei Monaten und sieben bis zu sechs Monaten. Vier Frauen wohnten bis zu einem Jahr im Frauenhaus. Zwei leben immer noch dort (über sechs Monate).

Nach dem Auszug bezogen zwölf Frauen eine eigene Wohnung. Zehn kehrten zurück in ihr altes Umfeld, zehn weitere fanden eine andere Möglichkeit.