Herne. Die Cranger Kirmes ist zum zweiten Mal abgesagt worden. Wolfgang Lichte, Vorsitzender der Herner Schausteller, spricht über die Folgen.
Mit der Absage der Cranger Kirmes - und einer angedachten Alternativveranstaltung - bricht den Herner Schaustellern zum zweiten Mal die zentrale Veranstaltung des Jahres weg. Wolfgang Lichte (71), Vorsitzender der Schausteller-Vereinigung Herne, spricht im Interview mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann über seine und die Situation der Kollegen und über Hoffnungen.
Herr Lichte, Sie als eingefleischter Schalke-Fan. Was schmerzt Sie mehr? Der Abstieg des S04 oder die Absage der Cranger Kirmes?
Lichte: Beides schmerzt sehr. Bei der Cranger Kirmes habe ich ja Hoffnung, dass sie im nächsten Jahr wieder stattfindet, aber bei Schalke weiß ich nicht, ob wir im nächsten Jahr sofort wieder aufsteigen.
Die Absage von Crange wird Sie nicht unvorbereitet getroffen haben...
...natürlich. Wir hatten das schon vermutet, wir sind ja nicht blauäugig. Es war zu uns ja schon durchgesickert, dass München das Oktoberfest absagen wird. Es war schon relativ klar, dass Crange mit seinen Millionen Besuchern nicht stattfinden kann. Aber wir können die Entscheidung der Stadt verstehen.
Wie schwer wiegt die Absage für die Herner Schausteller?
Das trifft uns hart, aber es ist ja nicht nur Crange, es sind ja alle Großveranstaltungen abgesagt. Wir werden wahrscheinlich bis zum Weihnachtsmarkt keine Großveranstaltung durchführen können. Ich nehme an, dass Sebastian Küchenmeister versucht, den Weihnachtszauber zu planen und hofft, dass sich die Situation mit dem Impfen bessert.
Nach der Absage der Stadt Herne: Können Sie sich vorstellen, dass es kurzfristig eine Veranstaltung gibt, wenn sich die Infektionslage bis zum August sehr deutlich ändert?
Es ist schwer, wir haben ja mit der Stadt zusammen überlegt, ob wir mit 150 Geschäften oder nur mit 50 Geschäften stehen. So was ist schwer zu planen. Aber dann wären vielleicht nur 2000 Menschen gleichzeitig auf dem Platz erlaubt gewesen. Aber so etwas rechnet sich dann nicht. Es hat ja im vergangenen Jahr in ganz Deutschland diese eingezäunten temporären Freizeitparks gegeben. Manche waren wirtschaftlich in Ordnung, viele aber auch nicht. Das war in manchen Fällen nur so eine Art Geldwechseln. Die Kosten sind zu hoch: Einzäunung, Sicherheitsdienst, Hygienekonzept.
Sie selbst und ihre Kollegen haben ja an verschiedenen Stellen ihre Stände aufgebaut. Welche Erfahrungen machen Sie?
In der Herner Innenstadt hat es einigermaßen funktioniert, so lange die Geschäfte noch geöffnet waren. Aber viele Läden sind jetzt geschlossen, da ist die Frequenz zu gering. Die Kollegen und wir lassen trotzdem geöffnet, damit man was zu tun hat und nicht zu Hause hockt. Da wird man ja wahnsinnig. Ich selbst bin jeden Freitag in unserem Stand an der Dorstener Straße in Unser Fritz. Dort feiern wir jetzt ein kleines Jubiläum. Dort stehen wir seit genau einem Jahr. Als kleinen Dank bieten wir in der kommenden Woche die Fischfrikadelle im Brötchen für einen Euro an. Aber für all diese Standorte gilt: Viel verdienen kann man nicht. Andere stehen vor Einkaufszentren auf dem eigenen Betriebsgelände. Aber das macht man nur, um das Gefühl zu haben, dass man irgendwas gemacht hat.
Gibt es denn Herner Kollegen, die ganz andere Sachen machen?
Ja. Die Frauen haben eine Stelle in verschiedenen Berufen, und die Männer fahren meistens Lkw, wir haben ja meist alle den Führerschein Klasse 2, und Lkw-Fahrer werden gesucht. Jeder rettet sich, wie er kann. Der Staat hilft ein wenig, aber das reicht bei Weitem nicht aus. Es muss ja irgendwie weiter gehen. Manche haben auch Rücklagen geschaffen, aber die verschwinden langsam, manche gehen an die Lebensversicherung. Gerade die älteren Schausteller müssen an die Rücklagen, die sie eigentlich fürs Alter beiseite gelegt haben. Wir sind jetzt seit fast eineinhalb Jahren ohne Einkommen. Und wenn im Herbst und Winter nichts geschieht, geht es erst im Frühjahr 2022 wieder los.
Wie sehen Sie die Aussichten für den Herbst und den Winter?
Im vergangenen Winter durften die Weihnachtsmärkte schon bei einer Inzidenz von 35 nicht stattfinden. Jetzt sind wir immer noch weit über 100.
Wenn der Großteil der Bevölkerung geimpft ist und die Inzidenz ist nahe Null: Können Sie sich dann trotzdem ein unbeschwertes Crange 2022 vorstellen?
Ohne Masken wird es wohl auch im nächsten Jahr noch nicht gehen. Man hat keine Vorstellung, wie das normale Leben dann aussieht. Wir hoffen, dass demnächst zumindest mal kleinere Veranstaltungen stattfinden können, vielleicht mit Hygienekonzept. An der frischen Luft ist die Ansteckungsgefahr ja sehr gering. Es ist ja nicht nur Crange. Es gibt im Herbst eine Reihe von traditionsreichen Veranstaltungen in der Region. Vielleicht können die mit Hygienekonzept stattfinden. Uns bleibt im Moment nur die Hoffnung.
>> KLEINE ZEREMONIE 2020
■ Als im vergangenen Jahr die Cranger Kirmes zum ersten Mal ausfiel, organisierte Timo Lichte auf einem Teil des Kirmesplatzes einen keinen Rummel-Gastro, um den Herner Schaustellern eine Möglichkeit zu geben, Einnahmen zu generieren.
■ Am ersten Freitag im August - dem eigentlichen Eröffnungstags der Cranger Kirmes - fand eine kleine Zeremonie mit Schaustellern und einem symbolischen Fassanstich statt. Auch einige Kirmesfans kamen an diesem Freitag mit Bollerwagen zum Kirmesplatz.