Herne. Viele Menschen mit Migrationshintergrund lassen sich nicht impfen, beobachtet eine Ärztin. Vertreter Herner Moscheegemeinden bestreiten das.

Viele Menschen mit Migrationshintergrund in Herne scheinen dem Impfen sehr skeptisch gegenüberzustehen. Dr. Anja Schulenburg, Obfrau der Herner Kinderärzte, stößt bei ihrer Arbeit als Impfärztin im Impfzentrum sowie in der Praxis auf viel Ablehnung aus dieser Bevölkerungsgruppe.

„Aus einem nicht ersichtlichen Grund gibt es in der muslimischen Bevölkerungsgruppe massive Vorbehalte gegen die Impfung sowohl mit Astrazeneca, aber auch mit Biontech“, sagt sie. Neben Migranten seien es auch Deutsche mit niedrigem Bildungsniveau, die schlecht zu erreichen seien.

Bei ihrer Arbeit im Impfzentrum habe sie an einem Tag nicht einen einzigen Menschen mit Migrationshintergrund unter den Impfwilligen gehabt. Und auch bei den Eltern der schwerstkranken Kinder machte sie diese Erfahrung. Ihnen hat sie eine Impfung mit Biontech angeboten. „Bei den muslimischen Eltern hat von zehn Familien nur eine das Angebot angenommen“, bedauert die Kinderärztin. Und das, obwohl die Eltern die Praxis kennen und Vertrauen hätten. „Ansonsten haben neun Familien von zehn das Angebot angenommen und sich gefreut.“

Migranten zählen häufig zur Risikogruppe

Dr. Anja Schulenburg beobachtet als Impfärztin in Herne eine starke Ablehnung einer Corona-Impfung in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
Dr. Anja Schulenburg beobachtet als Impfärztin in Herne eine starke Ablehnung einer Corona-Impfung in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Gründe für diese Beobachtung weiß Schulenburg nicht. „Auch die muslimischen medizinischen Fachangestellten mussten massivst überzeugt werden, beziehungsweise ließen sich nicht impfen, und das war noch vor der Diskussion mit den Sinusvenenthrombosen“, so Schulenburg. Sie kann sich vorstellen, dass auch mangelnde Informationen Ursache sein können. „Die Informationen müssten in andere Sprachen übersetzt werden.“ Deshalb hat sie sich an die Stadt gewandt mit der Bitte, Kontakt zu dieser Bevölkerungsgruppe aufzunehmen – etwa über Moscheevereine.

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„Wenn wir langfristig die Zahlen runter haben wollen, müssen wir gerade diese Familien erwischen, die häufig in beengten Wohnungen, häufig in großen Familien leben“, sagt die Obfrau der Herner Kinderärzte. Nur so könne Herne von einer Inzidenz um 200 wieder runterkommen. Zudem sei es wichtig, diese Bevölkerungsgruppe zu erreichen, da sie eher übergewichtig sei und zu Bluthochdruck neige und deshalb „Kandidaten sind, um die Intensivstationen zu füllen“, sagt die Kinderärztin.

Ditib-Gemeinde Herne: Keine Impf-Vorbehalte

Sefer Ucar, Vorstandsvorsitzender der Ditib-Moschee Herne-Merkez-Came. Bereits im Mai 2020 (Bild) wurden die neuen Abstandsmarkierungen auf dem Boden der Moschee angebracht.
Sefer Ucar, Vorstandsvorsitzender der Ditib-Moschee Herne-Merkez-Came. Bereits im Mai 2020 (Bild) wurden die neuen Abstandsmarkierungen auf dem Boden der Moschee angebracht. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Dass türkische Familien grundsätzlich Vorbehalte gegen das Impfen hätten, bestreitet Sefer Ucar, der Vorsitzende der Ditib-Gemeinde in Herne. Natürlich gebe es auch bei den Gemeindemitgliedern den einen oder die andere, die noch lieber abwarten wollten, aber das sei „eine von 100 Familien“. Er selbst habe erst kürzlich einen Impftermin für seine Eltern besorgt, und wenn jemand Hilfe brauche beim Buchen eines Termins, finde er in der Gemeinde Unterstützung.

Dort würden die Corona-Regeln auch eingehalten. „Wir treffen uns weiter, aber beschränkt“, sagt Sefer Ucar. Wenn alltags nicht mehr als 20 Personen da seien, verteilten sich beim Freitagsgebet etwa 150 Menschen über drei Etagen und das Außengelände. Die Gebetsstellen seien markiert, es werde nicht direkt nebeneinander gebetet und jede zweite Reihe bleibe frei. Während des Ramadan seien vor Corona 100 bis 150 Menschen in die Moschee zum Fastenbrechen gekommen, was heute natürlich nicht mehr möglich sei. Ob die Empfehlung, sich auch privat nicht abends zum Fastenbrechen zu treffen, eingehalten werde, sei nicht zu kontrollieren, aber fest stehe: „Jeder hat Angst.“

Islamische Gemeinde: Mitglieder sind gut informiert

Tuncay Nazik, Vorstand der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen: „Niemanden stigmatisieren.“
Tuncay Nazik, Vorstand der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen: „Niemanden stigmatisieren.“ © Ralph Bodemer

„Die Familien halten Abstand“, kann auch Tuncay Nazik für die Islamische Gemeinde Röhlinghausen feststellen. „Wir sind hier sehr gut informiert“, sagt der Vorstand der Gemeinde, die ihre Freitagsgebete ins Volkshaus Röhlinghausen verlegt hat. „Jede Änderung der Vorschriften wird per Whatsapp an die Gemeindemitglieder weitergeleitet.“ Diese hielten sich auch im Ramadan an die Regeln und lüden nicht zum Fastenbrechen nach Hause ein. Auch die syrischen Mitglieder der Gemeinde würden in ihrer Sprache informiert.

Eine Impfskepsis kann Nazik überhaupt nicht bestätigen: „Ich war gestern beim Hausarzt, da sind viele türkische Patienten. Jeder hat nach der Impfung gefragt.“ Diese sei übrigens den Gläubigen auch im Ramadan erlaubt, sagt Nazik. Dass eine Impfung nicht das Fasten bricht, hätten die Al-Azhar-Universität und die oberste Religionsbehörde Diyanet kürzlich in einem Gutachten erklärt. Dass es auch einige wenige „Querdenker“ in der türkischen Community gebe, schließt Nazik nicht aus.

Eine Aufklärungskampagne findet er grundsätzlich nicht verkehrt, aber: „Man muss zusehen, dass man niemanden stigmatisiert.“ Dazu sei Feingefühl gefragt.

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