Herne. Ein Brief zwischen Kritik und Appell: 119 Herner Lehrer wenden sich an NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. Der Grund: ihre Corona-Politik.
- Die Kritik an der Corona-Politik von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer reißt nicht ab. Jetzt melden sich 119 Lehrerinnen und Lehrer aus Herne zu Wort.
- In einem offenen Brief kritisieren die Lehrenden Schulministerin Yvonne Gebauer deutlich und richten zugleich einen Appell an sie, den Institutionen vor Ort mehr Kompetenzen einzuräumen.
- Denn: Das Corona-Infektionsrisiko sei weiterhin sehr hoch und die Gesundheit gefährdet, schreiben die Herner Lehrerinnen und Lehrer.
Bereits vor einigen Tagen haben beamtete Lehrer mit sogenannten Remonstrationsschreiben gegen die Marschrichtung von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) protestiert. Ein Vorwurf: Die Vorgaben der Landesregierung setzten Lehrer, Schüler, deren Angehörige und die Gesamtbevölkerung einem hohen Infektionsrisiko aus - und damit einer unzulässigen Gesundheitsgefährdung. In den kommenden Tagen erhält Gebauer erneut Post: 119 Lehrer von sieben Herner Schulen haben einen offenen Brief des Herner Stadtverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterzeichnet. Er enthält harsche Kritik.
Darin richten die Lehrer diverse Frage an die Ministerin: „Wie kann es sein, dass Sie immer und immer wieder den Satz wiederholen: ,Die Schulen sind sichere Orte’? Machen Sie sich keine Gedanken über die besorgniserregenden Zahlen der geschlossenen Schulen, die Zahl der Klassen, die in Quarantäne müssen und die Kinder, die infiziert wurden?“
Herner Lehrer: Ministerin Gebauer soll eingestehen, dass sich die Situation zugespitzt hat
Rund 100 Remonstrationsschreiben eingegangen
Der Musterbrief , mit dem beamtete Lehrer gegen die Anweisungen des Schulministeriums „remonstrieren“ können, ist offenbar auf ein breites Echo gestoßen.
Die Bezirksregierung Arnsberg teilt auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion mit, dass rund 100 Remonstrationsschreiben eingegangen sind. Die Bezirksregierung Düsseldorf teilt mit, dass keine Schreiben eingegangen seien. Die Bezirksregierungen Münster schätzt, dass zirka zehn Schreiben eingegangen sind. Die Bezirksregierung Köln hat keine Angaben gemacht.
Allerdings teilt der Herner GEW-Vorsitzende Carsten Piechnik mit, dass er aus Recklinghausen und Castrop-Rauxel, aus Duisburg sowie aus dem Kölner Raum Nachfragen von Lehrern zu diesem Musterbrief erhalten habe.
Die Unterzeichner weisen darauf hin, dass viele Lehrkräfte erkrankt oder in Quarantäne seien, ebenso Angehörige aller schulischen Gruppen. „Jede Infektion ist eine zu viel. Es sollte doch so sein, dass eine Ministerin das Geschehen verfolgt und ehrlicherweise eingesteht, dass sich die Situation zugespitzt hat“, heißt es in dem Brief.
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Es müsse doch möglich sein, sinnvolle Vorschläge von Schulen, Gewerkschaften, Eltern sowie Schülern und Schülerinnen mit dem Stab an Mitarbeitern und Ministerkolleginnen und -kollegen zu besprechen, zu überdenken und zu sinnvollen Lösungen zu kommen.
Inzidenzwert an einer Herner Schule lag in der Spitze bei 1420
Der Brief endet mit deutlichen Worten: „So kann Schule nicht mehr weiterlaufen. Die Infektionszahlen sind in einigen Städten immens hoch“, heißt es. Die Lehrer fragen, warum Schulämter vor Ort beziehungsweise die Bezirksregierungen nicht entscheiden könnten, welche Modelle – Teilung der Klassen, Wechsel von Präsenzunterricht und Lernen auf Distanz – gerade sinnvoll seien, abhängig davon, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt.
Der Appell der Lehrer: „Haben Sie Vertrauen! Wir wissen alle, dass Präsenzunterricht für die Schülerinnen und Schüler wichtig ist. Aber dann bitte unter Einhaltung der Hygienevorschriften. Wir Kolleginnen und Kollegen fordern dringend eine flexible Gestaltung von Unterrichtsmodellen, eventuell differenziert nach Schulform. Und eine Ausstattung aller Lehrerinnen und Lehrer mit FFP2-Masken . Dann erkranken auch nicht so viele und müssen in Quarantäne.“
GEW-Vorsitzender: Mit nur drei Jahrgängen ist Distanzunterricht nicht zu organisieren
In einem zweiten Brief wird das Beispiel einer Schule genannt, die etwa 1000 Schülerinnen und Schüler und 100 Lehrerinnen und Lehrer hat. Laut des Briefs sind etwa 100 Schüler in Quarantäne, 35 Lehrkräfte nicht einsatzfähig. Übertrage man die 7-Tage-Inzidenz auf diese Schule, läge sie bei 655. Auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion teilt der Herner GEW-Vorsitzende Carsten Piechnik mit, dass der Inzidenzwert an einer Herner Schule in den vergangenen Tagen in der Spitze bei 1420 gelegen habe.
Gerade vor diesem Hintergrund lässt Piechnik kein gutes Haar an den Maßnahmen, die am Mittwoch zwischen Bund und Ländern für das Vorgehen in den Schulen vereinbart wurden: Bei einen Infektionsgeschehen über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche sollen „weitergehende Maßnahmen“ für den Unterricht ab Jahrgangsstufe 8 (außer Abschlussklassen) „schulspezifisch“ umgesetzt werden, zum Beispiel mit „Hybridunterricht, bei dem Kinder teils daheim lernen, teils in der Klasse.“
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„Die Schulministerin hält immer das Plakat hoch, auf dem Präsenzunterricht steht, doch in der Realität findet der doch gar nicht mehr statt“, sagt Piechnik mit Blick auf die Zahlen an einigen Schulen. Der Inzidenzwert von 200 sei viel zu hoch, um erst dann weitere Maßnahmen zu ergreifen.
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Auch dass diese Maßnahmen ab der Klasse 8 gölten, wobei die Abschlussklassen wiederum herausfallen, sei unsinnig und gar nicht umsetzbar. Denn reduzierten sich die Jahrgänge, die in Frage kommen, auf die Stufen 8, 9 und 11. So sei Distanzunterricht aber gar nicht zu organisieren, weil es zu wenig Lehrer gebe. Piechniks Erklärung: Sie könnten beispielsweise in einer achten Klasse nicht sowohl Präsenz- als auch Distanzunterricht geben, weil sie zur gleichen Zeit normalen Unterricht in einer anderen Jahrgangsstufe erteilen müssten.
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