Herne. Der NRW-Schulministerin droht neuer Ärger. Der Herner WAZ-Redaktion liegt ein Brief vor, mit dem beamtete Lehrer gegen Gebauer „remonstrieren“.

Nachdem sich die Solinger Alexander-Coppel-Gesamtschule mit der Landesregierung angelegt und trotz Verbots einen Hybrid-Unterricht getestet hat, droht NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer neuer Ärger. In den kommenden Tagen könnten zahlreiche beamtete Lehrer gegen die Maßnahmen des NRW-Schulministeriums remonstrieren. Der Herner WAZ-Redaktion liegt ein entsprechender Musterbrief vor.

Den Begriff remonstrieren muss man erklären. Dabei handelt es sich um eine Einwendung, die ein Beamter gegen eine Weisung erhebt, die er von seinem Vorgesetzten erhalten hat.

In dem Musterbrief werden verschiedene Einwendungen gegen das Agieren der Schulministerin gemacht. Die Rede ist von „schwersten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen“. Deshalb gebe es zwingende Bedarfe, gegen derzeitige Sachlagen zu remonstrieren. Der Brief ist so verfasst, dass Lehrer ihn mit Einzelheiten ihrer eigenen Situation konkretisieren können.

Vorwurf: Landesregierung folgt nicht mehr Empfehlungen des RKI

Schulministerin Yvonne Gebauer steht im Mittelpunkt der Kritik.
Schulministerin Yvonne Gebauer steht im Mittelpunkt der Kritik. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

So habe die Landesregierung spätestens nach dem Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin vom 28. Oktober beschlossen, den Empfehlungen aller führenden, wissenschaftlich orientierten und fundierten Institutionen und Behörden – zuvorderst das RKI – zum Umgang mit dem Pandemiegeschehen um COVID-19 an Schulen nicht (mehr) zu folgen. Die Empfehlungen des RKI sähen im Kern vor, dass bei einem Inzidenzwert größer als 50 die Maßnahmen „intensives Lüften der Räume“ und „Tragen von MNBs“ nicht mehr ausreichend seien. In den meisten Städten und Landkreisen liegt der weit darüber, in Herne lag er am Sonntag, 8. November, bei fast 300. Die Vorgaben des RKI blieben nun unberücksichtigt.

Ein Vorwurf, der im Musterbrief formuliert ist: Die Vorgaben der Landesregierung setzten Lehrer, Schüler, deren Angehörige und die Gesamtbevölkerung einem hohen Infektionsrisiko aus - und damit einer unzulässigen Gesundheitsgefährdung. Sie widersprächen dem Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie der Fürsorgepflicht. Im Brief wird gefordert, Abhilfe zu schaffen. So würden die Abstandsregeln nach den Vorgaben der Landesregierung nicht eingehalten. Auch tauchten erste Fälle auf, in denen eine Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter nicht mehr gewährleistet werden konnte.

Herner GEW-Chef: Viele Anfragen von Kollegen aus ganz NRW

Gefordert wird in dem Brief eine Verkleinerung der Klassen durch Teilung und Wechselunterricht, und lokale Schulschließungen mit Distanzunterricht zu prüfen. Die Argumentation der Landesregierung stehe im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. So behaupte die Ministerin, dass Schulen keine Hotspots für Infektionen seien und es kein unkontrolliertes Infektionsgeschehen gebe. Das RKI geht jedoch davon aus, dass die Ansteckungsumstände in 75 Prozent der Fälle unklar sind. Mehrere Studien kämen zu dem Ergebnis, dass die Schließung von Schulen eine effektive Maßnahme zur Eindämmung seien. Auch das RKI spreche davon, dass Schulen und Kitas Orte sind, die eine Rolle beim Infektionsgeschehen spielen.

Carsten Piechnik, Herner GEW-Vorsitzender, berichtet von zahlreichen Anfragen von Kollegen aus denen Fassungslosigkeit und Wut über der Situation hervorgehe.
Carsten Piechnik, Herner GEW-Vorsitzender, berichtet von zahlreichen Anfragen von Kollegen aus denen Fassungslosigkeit und Wut über der Situation hervorgehe. © Archivbild: Ralph Bodemer

Auch der Lehrergewerkschaft GEW in Herne liegt dieser Musterbrief vor. „Und wir weisen auf die Möglichkeit des Remonstrierens hin“, so der Herner GEW-Chef Christian Piechnik im Gespräch mit der WAZ-Redaktion. Die GEW erreichten zahlreiche Rückmeldungen und Anfragen aus dem Kollegenkreis aus ganz NRW, aus dem Fassungslosigkeit und Wut über die Anordnungen des Ministeriums hervorgingen. „Wir teilen diese Auffassung und haben auf allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die Brisanz der Lage Richtung Ministerium zu kommunizieren“, so Piechnik.

Piechnik sieht die Gefahr, dass das System Schule zusammenbricht

Er wisse aus Schilderungen, dass die Zustände teilweise unzumutbar seien. Von manchen Kollegien seien 30 Prozent nicht mehr vor Ort. Die Folge: Lehrer müssten Kollegen in Fächern vertreten, für die sie gar nicht ausgebildet sind. Das Infektionsgeschehen wechsele innerhalb von Stunden und Schüler, die noch zu Beginn des Schultags an einer Schule gewesen seien, seien mittags in Quarantäne. Müssten Lehrer in Quarantäne, bestünde die Gefahr, dass Lehrer Leitungsfunktionen übernehmen müssten, für die sie nicht vorbereitet seien.

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Ebenfalls sehr problematisch aus Piechniks Sicht: Alles was jetzt in den zwölften Jahrgängen an Klausuren geschrieben werde, sei abiturrelevant. Es gebe Schüler, die sich gegen eine Quarantäne wehrten, weil sie fürchten, wichtigen Stoff zu verpassen.

Die Lehrer wollten zwar zum Wohle der Kinder so lange wie möglich den Präsenzunterricht aufrecht erhalten - aber unter sicheren Bedingungen. Setzte sich das Infektionsgeschehen weiter so fort, sieht Piechnik die Gefahr, dass das System Schule zusammenbricht.

NRW-Schulministerium verteidigt seinen bisherigen Kurs

Das Schulministerium verteidigt auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion seinen bisherigen Kurs. Vor dem Hintergrund der Empfehlungen des RKI seien sich für den Bereich Schule alle Regierungen von Bund und Ländern einig: Das Recht aller jungen Menschen auf schulische Bildung und Erziehung habe bei allen Entscheidungen über Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens in der Corona-Pandemie oberste Priorität. Offene Schulen, also Präsenzunterricht, hätten für die schulische, die soziale und die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen höchste Bedeutung.

Die Vorgaben für den Infektionsschutz würden greifen. Das Schulministerium habe zusammen mit dem Gesundheitsministerium, den Kommunen sowie der Unfallkasse NRW ein Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmenpaket erarbeitet, das dazu beitrage, das Infektionsgeschehen an den Schulen weiterhin gering zu halten. Eine generelle Abstandsregel sei darin nicht vorgesehen, wenn sie durch das Tragen einer Maske ersetzt werden kann. In NRW gölten daher zum Beispiel mit die strengsten Regeln in Bezug auf das Tragen von Alltagsmasken in Schule und im Unterricht. Dadurch und durch weitere Maßnahmen und strikte Regeln zum Infektionsschutz seien die Schulen im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen sichere Orte. Auch die Zahlen aus den Abfragen bei den Schulen belegten, dass das Infektionsgeschehen dort im Verhältnis zu anderen Bereichen relativ gering sei.

Trotzdem könne eine Teilschließung oder die vollständige Schließung einer Schule aus Gründen des örtlichen Infektionsgeschehens in einer konkreten Schule notwendig werden. Eine solche Entscheidung sei für eine einzelne Schule in NRW schon jetzt möglich und durch die örtliche Ordnungs- und Gesundheitsbehörde zu treffen. In solchen Fällen könne auch auf ein Wechselmodell mit Distanzunterricht umgestellt werden.

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