Herne. Kristin Pfotenhauer ist neue Geschäftsführerin der Jugend-, Konflikt- und Drogenberatung. Die WAZ sprach mit ihr über ihre Arbeit.
Am vergangenen Dienstag wurde auf dem Buschmannshof jener Menschen gedacht, die durch den Konsum von Drogen ihre Leben verloren haben. Es war die erste Aktion, die Kristin Pfotenhauer als neue Geschäftsführerin des Vereins Jugend-, Konflikt- und Drogenberatung organisiert hat. WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann sprach mit ihr über ihre Arbeit und die Situation in Herne.
Frau Pfotenhauer, wie entwickelt sich die Drogenproblematik?
Pfotenhauer: Was sich immer weiterentwickelt, ist die Substanzvielfalt. Gerade die sogenannten Legal-High-Substanzen, die im Internet gekauft werden können, sind für Fachkräfte, aber auch für die Konsumenten schwierig einzuschätzen, weil Wirkweisen nicht vorhersehbar sind. Dies begründet sich vor allem in fehlenden „Mengenangaben“ und der kontinuierlichen Veränderung der Substanzzusammensetzung. Zusätzlich existiert der Darknet-Markt im Internet. All das verändert die Szene.
Ersetzt das Internet den Dealer?
Auf keinen Fall. Jedoch stellt es eine weitere Form des Zugangs dar. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit abseits des offenen Internets, mit virtuellen Währungen Bestellungen abzuschließen, und man bekommt ein Paket nach Hause und hat seine Substanzen.
Das heißt, das Dealen auf der Straße tritt in den Hintergrund?
Der virtuelle Zugang stellt eine weitere Beschaffungsmöglichkeit dar. Das klassische Dealen auf der Straße oder in Szenebereichen findet weiterhin statt. Beispielsweise am Buschmannshof kann man beobachten, dass es für konsumierende Menschen einfach ist, Substanzen zu beschaffen.
Wie ist denn die Situation in Herne?
Auch in Herne haben konsumierende Menschen keine Schwierigkeiten Substanzen zu kaufen. Eine „klassische“ Drogenszene, wie in Dortmund oder Essen, gibt es in Herne nicht, dennoch lassen sich zentrumsnahe Hotspots in Herne verzeichnen, wie der Buschmannshof.
Haben Sie Erkenntnisse über eine ungefähre Zahl an Konsumenten von illegalen Drogen in Herne?
Das ist schwierig zu beziffern: In die Beratungsstelle der JKD kommen jedes Jahr etwa 1000 Klienten. Und das sind „nur“ die Menschen, die den Wunsch haben, beraten zu werden. Die Dunkelziffer ist hierbei nicht außer Acht zu lassen.
Wer kommt zur Jugend-, Konflikt- und Drogenberatung?
Die Zugangswege sind sehr unterschiedlich: Mit unserer Präventionsarbeit sind wir in Schulen präsent und informieren Schüler und Lehrer über unsere Arbeit. Auch werden dadurch Hemmschwellen reduziert. In die Beratungsstelle kommen Menschen, die mit Suchtmitteln Probleme habe und nach Möglichkeiten suchen, Unterstützung zu bekommen, zum Beispiel Entgiftungsmaßnahmen oder Entwöhnungstherapien. Zusätzlich werden Angehörige und Bezugspersonen von Betroffenen bei uns beraten. Weiter gibt es diverse Kooperationspartner wie die Jugendgerichtshilfe.
Beginnt Drogenkonsum immer früher?
Es ist schwer zu differenzieren: Konsumverhalten beginnt in der Regel schon viel früher, zum Beispiel bei Smartphone-Nutzung, Essverhalten, PC-Nutzung oder Spielverhalten an Konsolen. Dabei können Verhaltensstrukturen entstehen, die später Berücksichtigung oder Behandlung erfordern. Suchtmittel wie Rauchen, Kiffen oder andere Substanzen werden heute viel früher konsumiert. Das können Sie in Ihrer Nachbarschaft oder in den Herner Schulen beobachten.
Zur Person
Kristin Pfotenhauer (32) stammt aus Weimar.
Sie ist staatlich anerkannte Sozialarbeiterin (Bachelor) und hat einen Master in Sozialer Arbeit und Forschung.
Sie ist seit 2013 bei der Kadesch gGmbH beschäftigt, der Gesellschaft zur Förderung der Jugend- und Suchtkrankenhilfe. Seit dem 1. Juli ist Pfotenhauer Geschäftsführern des Vereins Jugend-, Konflikt- und Drogenberatung (JKD), der Bestandteil des Kadesch-Verbunds ist.
Wie erreichen Sie die Betroffenen?
Hilfe und Beratung müssen immer bedarfsorientiert sein. In der Regel kommen die Menschen als Erstkontakt in die Beratungsstelle. Wenn wir eine längerfristige Beratung durchführen, suchen unsere Mitarbeiter die Klienten auch außerhalb der Beratungsstelle auf. Wir haben mit unserem niedrigschwelligen Angebot sehr gute Erfahrungen gemacht. Für jeden Klienten müssen eigene Zugangswege gestaltet werden. Die Suchthilfe ist sehr komplex, von akzeptierender Hilfe bis zur sozialen und medizinischen Rehabilitation.
Sie kennen die Diskussionen um den Buschmannshof. Jetzt scheint Bewegung in die Problematik zu kommen. Ein Streetworker hat seine Arbeit aufgenommen, die Raumfrage scheint gelöst werden zu können...
...ein Streetworker ist natürlich ein zusätzliches Instrument. Aber die Frage, die sich für uns stellt ist: Was soll ein Mitarbeiter allein am Buschmannshof erreichen können? Unsere Idee, die wir vor etwa fünf Jahren der Stadt Herne vorgestellt haben, war, einen Raum in der Innenstadt anzumieten, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, versorgt zu werden und eine menschenwürdige Begleitung zu erfahren. Für die Betroffenen sollte eine Tagesstruktur geschaffen werden, bei der sämtliche Existenzbedürfnisse abgedeckt werden können. Mit der Aktion am vergangenen Dienstag haben wir versucht, auf die Situation aufmerksam zu machen. Das ist vor allem von den Betroffenen sehr dankbar angenommen worden. Wie gesagt, wir haben in 2015 ein Konzept eingereicht. Es ist schade, dass wir bisher leider keine Resonanz bekommen haben, obwohl die Aktion gezeigt hat, dass der Bedarf besteht.
Inwieweit nehmen die Betroffenen die Hilfe an? Oder wollen einige gar nicht mehr ins System zurück?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jeder Betroffene Hilfe annimmt. Aber jeder Mensch muss für sich die Entscheidung treffen, ob er eine ausgestreckte Hand annimmt oder nicht.
Sie arbeiten zwar schon einige Jahre bei Kadesch, nun sind Sie seit wenigen Wochen auch Geschäftsführerin des JKD. Was möchten Sie in der neuen Funktion erreichen oder anstoßen?
Tatsächlich haben der JKD und ich einige Ziele und Wünsche. So sind die städtischen Zuschüsse seit 15 Jahren nicht erhöht worden. Und ich stelle mir als neue Geschäftsführerin die Frage: Wie kann ich angesichts von steigenden Kosten ein lukrativer Arbeitgeber sein? Wir bewegen uns in einem anspruchsvollen Arbeitsfeld, wie kann ich da - auch finanziell - ein lukratives Arbeitsumfeld bieten? Da sehe ich meine Chance, in der Suchthilfeplanung, die gerade begonnen hat, auf die Situation nachdrücklich aufmerksam zu machen, um für meine Mitarbeitenden und den Verein etwas erreichen zu können. Außerdem wollen wir sichtbarer werden und zum Beispiel Instagram nutzen, um über diesen Kanal Vernetzungen herzustellen und für Jugendliche noch besser erreichbar zu werden. Für Betroffene in unserer Stadt setze ich mich zukünftig für mehr Offenheit in stigmatisierten Themen ein und werde versuchen Entstigmatisierung zu unterstützen. Gleichzeitig lege ich in meiner Arbeit Wert auf zielführende Vernetzung und Kooperation sowie Transparenz.