Herne. Beratungen am Telefon und keine Spenden: Die Herner Beratungsstelle „Schattenlicht“ erlebt eine schwere Zeit. Ein Gespräch mit Antonie Brieske.

Die Fenster sind weit geöffnet, die Sessel stehen in gebührendem Abstand voneinander. Antonie Brieske (55) öffnet die Tür von „Schattenlicht“ mit Mundschutz. Ein Interview in der Corona-Krise, die auch die Herner Beratungsstelle für Frauen und Mädchen erreicht hat.

Frau Brieske, es war viel die Rede von den Umsatzeinbrüchen bei Kulturveranstaltungen, in der Gastronomie und bei den Friseuren. Wie erleben Sie die diese Zeit?

Antonie Brieske: Wir sind ja als Beratungsstelle auf Spenden angewiesen, und da ist überhaupt nichts mehr gekommen. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt, Firmen und Künstler haben selbst Verluste und dadurch keine Spendenmöglichkeit. Es fehlen uns auch die Bußgelder, die wir als gemeinnützige Einrichtung schon mal von den Gerichten bekommen, denn die meisten Gerichtsverhandlungen finden nicht statt. Auch die Kirchengemeinden denken viel an uns, aber Gottesdienste gab es auch nicht. Alle unsere zusätzlichen Einnahmequellen sind also weggebrochen.

Sie sind „Schattenlicht“: v.l. Antonie Brieske, Annelie Ringmann-Gogolla und Susanne Wormuth.
Sie sind „Schattenlicht“: v.l. Antonie Brieske, Annelie Ringmann-Gogolla und Susanne Wormuth. © Funke Foto Services GmbH | Rainer Raffalski

Haben Sie Corona-Hilfen bekommen?

Wir sind im Dachverband der autonomen Frauen- und Mädchen-Beratungsstellen NRW, der hat das Problem an das Ministerium herangetragen. Ich habe bei dem Bürgertelefon der SPD-Landtagsabgeordneten Alexander Vogt und Serdar Yüksel angerufen, da wir doch ziemlich verzweifelt waren und unsere Perspektive nicht klar war. Das war ein sehr gutes Gespräch. Sie haben mir versichert, dass sie sich auch in Herne bemühen werden, unsere Situation zu verbreiten und Firmen auf Spenden anzusprechen. Das hat auf jeden Fall sehr gut getan. Wir sind stark systemrelevant, weil wir jetzt viel auffangen. Die Gewalt nimmt durch das Aufeinanderhocken zu Hause zu, gegenüber Kindern wie Erwachsenen, auch durch ältere Kinder.

Wie finanzieren Sie sich in normalen Zeiten?

Wir bekommen vom Land eine Förderung für insgesamt zwei Stellen, aber nur prozentual, zurzeit etwa 75 Prozent. Wir sind immer auf Spenden angewiesen. Wir haben außerdem ein paar treue Raumpaten und hätten gerne noch mehr, die uns ab 5 Euro monatlich oder mehr für einen symbolischen Quadratmeter sponsern, und es gibt Vereinsmitglieder. Die finanzielle Situation ist immer mit Kampf verbunden. Alle Kosten steigen, parallel dazu gibt es nicht entsprechend mehr Förderung.

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Konnten Sie in der Coronazeit den Kontakt zu Ihren Klientinnen halten?

Wir haben uns entschieden, online und telefonisch zu beraten, und haben dann feste Telefontermine eingeplant. Am Anfang war es etwas stiller, aber mit den Lockerungen merken wir deutlich, dass mehr betroffene Frauen anrufen, die während des Lockdowns viel zu Hause waren und viel mehr Gewalttaten ausgesetzt waren. Wir gehen davon aus, dass jetzt der Mut wieder etwas größer wird und haben auch gerade sehr viel zu tun. Für viele sonst berufstätige Frauen war es auch eine Belastung, alleine zu sein, besonders wenn sie sowieso schon mit Depressionen und Ängsten zu tun hatten. Was fehlt, ist der persönliche Kontakt, die körperliche Nähe.

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Warum beraten Sie nur Frauen und Mädchen?

Wir hatten von 1992 bis 2001 eine Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern, da haben wir auch mit Jungen gearbeitet. Aber es gab dann keine Geldgeber mehr außer die Stadt Herne. Das hätten wir nicht überlebt. Frauen und Mädchen liegen uns von unserer Grundhaltung natürlich besonders am Herzen. Wir sind dann noch in einen Fördertopf für Frauen und Mädchen reingekommen. Nach wie vor sind sexualisierte Gewalt und häusliche Gewalt unsere Schwerpunkte.

Sind Mädchen häufiger von Gewalt betroffen als Jungen?

Jungen wie Mädchen sind gleichermaßen betroffen. Jungen waren als Geschwisterkinder schon immer mit betroffen, das fand nur weniger Beachtung. Manchmal hängt es davon ab, wer verfügbar ist, ob sich Täter einen Jungen oder ein Mädchen aussuchen. Meistens werden Beziehungen aufgebaut, die die größte Möglichkeit der Manipulation bieten.

Mehr Infos zu „Schattenlicht“

Die Beratungs- und Kontaktstelle „Schattenlicht e.V.“ an der Straßburger Straße 39 ist telefonisch unter HER 981198 zu erreichen oder über info@beratungsstelle-schattenlicht.de.

Die Mitarbeiterinnen beraten in Konflikt- und Krisensituationen, bei körperlicher oder seelischer Gewalt, bei sexualisierter Gewalt, begleiten zum Gerichtsprozess und mehr. Die Beratung ist kostenlos und vertraulich.

Zwei Mitarbeiterinnen sind in der Einzelberatung tätig, Antonie Brieske und Susanne Wormuth. Annelie Ringmann-Gogolla hat eine halbe Stelle mit Schwerpunkt Prävention.

„Schattenlicht“ freut sich über Spenden: IBAN DE24 4325 0030 0001 0406 09 BIC WELADEDIHRN

www.beratungsstelle-schattenlicht.de

Wie ist es möglich, dass Missbrauch - wie jetzt wieder in Münster - über so lange Zeit unentdeckt bleibt und die Kinder sich nicht an jemanden wenden?

Wir gehen davon aus, dass Kinder immer etwas mitteilen, wenn etwas nicht stimmt. Wenn sie das - oft unter starken Androhungen - nicht erlaubt bekommen vom Täter, müssen sie davon ausgehen, dass das Angedrohte passiert. Deswegen müssen sie andere Formen des Erzählens finden. Das kann durch sehr unterschiedliche Auffälligkeiten passieren, von aggressivem Verhalten bis zur übertriebenen Anpassung. Die Kinder teilen sich mit auf die ihnen mögliche Weise, das ist für andere Erwachsene nicht immer klar ersichtlich. Manchmal wenden sie sich an Außenstehenden, weil bei nahe stehenden Personen das Risiko zu hoch ist, sie zu verlieren. Es gibt kein Kind, das nicht versucht, gegen sexuelle Übergriffe etwas zu tun. Aber die Täter haben große Macht. Sie können ständig die Drohungen auffrischen.

Wie kann man Kinder stark machen für solche Situationen?

Es gibt zum Beispiel die Theaterpädagogische Werkstatt Osnabrück, die machen Kinderprävention. Wir arbeiten mit älteren Mädchen ab 14. Eine Kollegin geht seit zwei Jahren in die Schulen, weil wir festgestellt haben, dass schon junge Mädchen in Gewaltbeziehungen geraten. Es geht darum, in praktischen Übungen die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zu stärken. Wenn ich auf meine Gefühlen vertraue und sie ernst nehme, dann erlebe ich in Situationen, wo mir etwas merkwürdig erscheint, das starke Gefühl „Das geht so nicht“.

US-Filmproduzent Harvey Weinstein (M.): Er wurde wegen Sexualverbrechen zu 23 Jahren Haft verurteilt. Sein Fall löste  # MeToo aus.
US-Filmproduzent Harvey Weinstein (M.): Er wurde wegen Sexualverbrechen zu 23 Jahren Haft verurteilt. Sein Fall löste # MeToo aus. © dpa | Mark Lennihan

Hat die #Me-Too-Debatte, in der Frauen sexistische Übergriffe öffentlich gemacht haben, etwas verändert?

Das war der Sache schon deshalb dienlich, weil die Vorfälle öffentlich geworden sind. Wenn eine Frau es schafft, einer anderen davon zu erzählen, ist das ihr größter Schutz. „Me too“ hat anderen betroffenen Frauen deutlich gemacht, dass es vielen so geht wie ihnen. Das Solidarische macht sie auch stark, den nächsten Schritt zu gehen, um aus der Gewaltbeziehung rauszukommen.

Wann geht es denn mit der Arbeit von „Schattenlicht“ wieder richtig los?

Unsere Kollegin macht mit einem Präventionsprogramm an der Jugendkunstschule weiter, das durch Corona unterbrochen wurde. Das wurde sehr gut angenommen. In der Coronazeit sind die Mädchen in eine Lethargie verfallen, haben sich mehr im Zimmer aufgehalten und mit dem Smartphone beschäftigt. Durch die Übungen sind sie richtig wach geworden. Es gibt Planungen für die Arbeit mit Förderschulen und Termine mit einer Regelschule nach den Sommerferien.

Und in der Beratungsstelle?

Wir überlegen, ob wir persönliche Beratung unter Schutzmaßnahmen anbieten können. Das Problem ist: Wir müssen dann Namen und Telefonnummern aufnehmen, aber es gibt Frauen, die sich anonym an uns wenden. Und wir haben die Sorge, dass wir, wenn ein Coronafall auftritt, komplett in Quarantäne gehen müssen.