Herne/Sao Paulo. Der gebürtige Herner Matthias Makowski leitet das Goethe-Institut in Sao Paulo. Im Interview schildert er, wie er die Krise in Brasilien erlebt.

Der gebürtige Herner Matthias Makowski arbeitet seit fast 30 Jahren für das Goethe-Institut. Nach verschiedenen Stationen in Europa - unter anderem erlebte er die Flüchtlingskrise 2015/2016 hautnah in Griechenland - leitet er seit etwa einem Jahr das Goethe-Institut in Sao Paulo und koordiniert die Arbeit des deutschen Kulturinstituts in Südamerika. Im Telefonat mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann schildert Makowski, wie er nun die Coronakrise in Brasilien erlebt.

Herr Makowski, zuerst die Frage. Wie geht es Ihnen?

Meine Familie und ich sind gesund. Ich bin im Homeoffice, und viele Dinge funktionieren erstaunlich gut. Ich führe regelmäßig mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus Südamerika Telefonkonferenzen durch, wir organisieren die digitalen Angebote der Kulturinstitute in Brasilien und den südamerikanischen Ländern. Ganz nebenbei ist das auch eine gute Zeit, meine noch unzureichenden Kenntnisse der portugiesischen Sprache zu vertiefen. Das geht digital sehr gut.

Wie gestaltet sich die Situation für das Goethe-Institut?

Die Lage der Goethe-Institute ist in dieser Krise generell schwierig. Zum Glück fördert das Auswärtige Amt die Kulturarbeit im Ausland, aber das Goethe-Institut finanziert sich zu einem Drittel durch Sprachkurse und Prüfungen. Da bricht gerade vieles weg. Aber das Problem hat jetzt jeder Unternehmer, und so sehe ich auch besorgt in die Zukunft. Unsere Kunden werden in der nächsten Zukunft weniger Geld für kostenpflichtige Bildungsangebote ausgeben können. Als offizielles Kulturinstitut der Bundesrepublik genießen aber die Goethe-Institute auch den besonderen Schutz des Auswärtigen Amts. Alle Mitarbeiter haben sich daher über die angekündigte Unterstützung des Außenministers gefreut.

Können Sie denn überhaupt noch Leistungen anbieten?

Ja, wir bieten unsere Deutschkurse jetzt auch digital an. Mit den modernen Plattformen sammeln wir gerade gute Erfahrungen. Was gut angenommen wird, ist die Onleihe unserer Bibliothek. Vermutlich haben jetzt doch mehr Menschen Zeit zu lesen. Auf ein vielleicht auch für Herner interessantes Projekt möchte ich hier hinweisen: In „Zeit zuzuhören“ erzählen international bekannte Autoren ihre Geschichte, um sich die Zeit während der Quarantäne zu vertreiben. Wer hier an Giovanni Boccaccios Decamerone denkt, liegt nicht falsch. Zum Beispiel erzählt die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in „Füchse gehen nicht in die Falle“ Geschichten aus ihrer rumänischen Heimat. Andere Autoren wie T.C. Boyle oder Sofi Oksanen haben Beiträge hochgeladen (https://www.goethe.de/de/kul/lit/dos/zzh.html).

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (l.), hat die Corona-Epidemie erst heruntergespielt. Seinen Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta (r.) hat er wegen Meinungsverschiedenheiten entlassen. Foto: Andre Borges/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (l.), hat die Corona-Epidemie erst heruntergespielt. Seinen Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta (r.) hat er wegen Meinungsverschiedenheiten entlassen. Foto: Andre Borges/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Andre Borges

Wie stellt sich die Lage in Brasilien selbst dar?

Beängstigend. Der Bundesstaat Sao Paulo ist der Hotspot der Corona-Pandemie in Brasilien. Hier gibt es die höchste Todesrate. Der Gouverneur Joao Doria reagiert mit Empfehlungen freiwilliger Quarantäne. Eigentlich sollen die Geschäfte geschlossen bleiben, doch manche halten sich nicht daran, weil sie jeden Real brauchen. Viele leben von der Hand in den Mund. Es gibt in Brasilien nicht so ein soziales Netz wie in Deutschland.

Es gibt Meldungen, dass es Proteste gegen den Lockdown gibt und sie von Präsident Jair Bolsonaro auch noch unterstützt werden.

Ja, es gibt in Brasilien eine ähnliche Diskussion wie in Deutschland, aber sie wird anders herum geführt. Brasilien hat eine föderale Struktur und besteht mit der Hauptstadt Brasilia aus 27 Bundesstaaten. Die Gouverneure der vor allem betroffenen Bundesstaaten wie Rio de Janeiro und Sao Paulo wollen die Maßnahmen nicht lockern, Präsident Bolsonaro ist dafür. Er möchte wegen der Auswirkungen auf die Wirtschaft so schnell wie möglich zu einem normalen Leben zurückkehren. Und in dieser Politik erfährt der Präsident auch große Unterstützung durch diejenigen, die durch die Einschränkungen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.

Zur Person

Matthias Makowski wurde 1960 in Herne geboren. Nach dem Abitur studierte er katholische Theologie, klassische Philologie und Germanistik.

Nach einer kurzen Zeit im Schuldienst folgte er 1987 einem Ruf an die Tongji-Universität in Shanghai. Seit 1991 arbeitet er beim Goethe-Institut mit Stationen in Rotterdam, Krakau, Riga, Prag, München und Athen.

Matthias Makowski ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Wie beurteilen Sie das Agieren des Präsidenten in der Krise?

Der brasilianische Präsident erinnert mich in seinem Verhalten an Donald Trump. Er hat lange Zeit die ernste Bedrohung durch die Viruserkrankung heruntergespielt, sprach von einer „Gripezinha“, einer leichten Grippe, die Brasilien nichts anhaben kann. In seinen öffentlichen Auftritten vermeidet er geradezu die Empfehlungen, gerade jetzt Abstand zu halten. Das ist für jemanden, der die Auswirkungen in Bergamo oder New York verfolgt hat, skurril. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Und Bolsonaros Agieren im Allgemeinen?

Gräber auf dem Friedhof von Vila Formosa in Sao Paulo: Sao Paulo ist der Hotspot der Epidemie in Brasilien. Foto: Paulo Lopes/ZUMA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Gräber auf dem Friedhof von Vila Formosa in Sao Paulo: Sao Paulo ist der Hotspot der Epidemie in Brasilien. Foto: Paulo Lopes/ZUMA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Paulo Lopes

Jair Messias Bolsonaro regiert das größte Land Südamerikas seit 2019. In dieser Zeit haben sich leider viele Befürchtungen bewahrheitet. Seine homophobe, frauenfeindliche und mitunter rassistische Polemik reizt viele Kritiker zu Protesten, aber erstaunlich viele Bürger Brasiliens unterstützen weiterhin seinen rechtspopulistischen Kurs. Manche Leser werden sich an die bedenklichen Reaktionen auf die außer Kontrolle geratene Brandrodung in Amazonien 2019 erinnern. Andererseits: Auch seine Versprechen, die brasilianische Wirtschaft aus der tiefen Krise zu führen, hat er bislang nicht erfüllt.

Wie sieht es in Brasilien mit der medizischen Versorgung aus?

Es gibt eine Zwei-Klassen-Medizin. Krankenhäuser in den Städten haben einen guten Standard, auch für die Intensivmedizin, aber die Kapazitäten sind wohl am Limit. Wer sich die hohen Kosten einer Privatbehandlung nicht leisten kann, muss auf Hilfe des staatlichen Gesundheitswesens oder die von NGOs hoffen. In der Corona-Krise wurden in Rio de Janeiro das weltberühmte Stadion Maracana oder das Estadio Pacaembu in Sao Paulo zu Lazaretten umgebaut. Doch ein großer Teil der rund 20 Millionen Menschen, die im Großraum Sao Paulo leben, wohnt in den Favelas. Mit vielen Menschen auf engsten Raum und ohne fließendes Wasser. Das erhöht die Gefahr der Ausbreitung ungemein.

Birgt das nicht die Gefahr vor sozialen Unruhen?

In Sao Paulo merkt man nichts, aber Rio ist es wohl schon unruhiger geworden. Ich muss gestehen, dass ich immer schaue, ob die Lufthansa weiter von Sao Paulo nach Deutschland fliegt und im Falle eines Falles noch Plätze frei hat.

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