Der Herner Matthias Makowski leitet seit 2012 das Goethe-Institut in Athen. Im WAZ-Interview schildert er seine Perspektive auf ein Land in der Krise.

Gestrandete Flüchtlinge mitten in Athen - nach der Finanzkrise ist Griechenland wieder im Brennpunkt der Weltöffentlichkeit. Einer, der die Ereignisse hautnah miterlebt, ist Matthias Makowski. Der gebürtige Herner leitet seit 2012 das Goethe-Institut in Athen. Bei einem seiner Besuche in der Heimatstadt sprach er mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann über seine Perspektive.

Sie sind seit 2012 in Athen, zu dem Zeitpunkt war es in Griechenland ja schon. . .

Makowski: . . .heftig. Die Krise begann 2009, richtig gespürt haben sie die Griechen erst 2011. Die Situation war extrem gespannt. Viele erinnern sich an die Bilder junger Demonstranten, da ist viel kaputt gegangen, es sind ja auch Menschen zu Tode gekommen.

Mit welchem Gefühl sind Sie nach Athen gegangen?

2011 kam meine Versetzung nach Athen. Der Vorstand klopft im Vorfeld bei wichtigen Stellen ab, wer das machen könnte und wer „fällig“ ist. Nach etwa vier Jahren kommt die Versetzung, dann wechselt man an einen anderen Ort. Athen habe ich nicht abgelehnt. Dort ist es nicht gefährlich. Athen ist in vielem einfach traurig. Es gibt zum Glück immer noch viele Menschen, die nett und fröhlich sind, aber wenn wir fragen, ob es bald ein gutes Ende gibt, kann man das nicht mit einem guten Gewissen bejahen. Es war schon ein mulmiges Gefühl, als wir dort hingegangen sind. Es geht nicht um die persönliche Bedrohung, weil man als Deutscher vielleicht in Sippenhaft genommen wird, das ist mir nie passiert. Aber die Situation war damals sehr kritisch. Das hat man ja in der Berichterstattung gesehen. Das deutsch-griechische Verhältnis ist besonders exponiert. Das ist fast so, als ob eine alte Liebe zerbrochen ist.

Gibt es einen Unterschied in der Berichterstattung und im persönlichen Umgang miteinander?

Als wir 2012 dort angekommen waren, stand das 60-jährige Bestehen des Goethe-Instituts vor der Tür. Das Athener Institut ist das älteste deutsche Kulturinstitut. Wir hatten also ein Jubiläum mitten in der Krise und haben uns entschieden, trotzdem zu feiern. Wir wollten in dieser schwierigen Zeit zeigen: Bildung und Kultur können in Krisen helfen, aber das deutsch-griechische Verhältnis war extrem belastet. Aber: Auch wenn die Griechen auf die deutschen Politiker schimpfen, ist das persönliche Verhältnis meist ungetrübt. Man hat nichts gegen den Deutschen.

Kann man als Goethe-Institut in dieser Zeit seinem Auftrag in vollem Umfang nachkommen?

Warum nicht? Gerade jetzt brauchen wir das doch. Wir haben Aufträge zu erledigen: die deutsche Sprache im Ausland pflegen, die internationale kulturelle Zusammenarbeit fördern und über Deutschland authentisch informieren. Alle drei Bereiche sind die Brücken, über die man jetzt gehen muss. Die politische Situation ist ziemlich verfahren, da ist Deutschland in einer schwierigen Lage. Manche Griechen sind davon überzeugt, dass es Deutschlands feste Absicht war, Griechenland aus dem Euroraum für eine gewisse Zeit zu entfernen. Daher ist klar: Aktuell ist Deutschland nicht der bevorzugte Partner der griechischen Regierung. Umso wichtiger ist die Arbeit des Goethe-Instituts.

Erlebt man die Krise sozusagen auch am eigenen Leib?

Ich selbst erlebe das kaum. Ich sehe das aber bei meinen Mitarbeitern. In unserem Haus arbeiten etwa 80 Kolleginnen und Kollegen. Viele deutsche Mitarbeiter sind mit Griechen verheiratet und andersherum. Im vergangenen Jahr sind drei Kolleginnen zurück nach Deutschland gegangen, weil ihr griechischer Partner in Griechenland arbeitslos war, aber in Deutschland eine Stelle gefunden hat. Man spürt die Krise auch, wenn Kinder von Freunden keine Arbeit finden, obwohl sie hervorragend qualifiziert sind. Die junge Generation versucht, ihr Leben zu organisieren, nicht wenige suchen dann ihr Glück im Ausland. Jetzt kommt noch die Flüchtlingskrise dazu.

Was macht die Flüchtlingskrise mit Griechenland?

Sie überrollt das Land total. Einige hunderttausend oder sogar eine Million sind in Griechenland. Das ist natürlich ein riesiges Problem. Gerade hat Mazedonien die Grenze fast vollständig abgeriegelt, alles mit Hilfe unser europäischen Freunde. Das Resultat: Flüchtlinge, die es bis an die Grenze nach Idomeni geschafft haben, werden in Bussen zurück nach Athen gebracht. Die Neuankömmlinge von den Inseln können erst einmal nicht weiterreisen. Da braut sich eine humanitäre Katastrophe mitten im zivilisierten Europa zusammen.

Kann Griechenland unter der Belastung durch diese beiden Krisen zerbrechen?

Die Griechen würden sagen, wir sind seit 2500 Jahren nicht zerbrochen. Es ist doch eher so: Wenn wir keine europäischen Antworten auf die Eurokrise und die Flüchtlingsfrage finden, wird es für Europa eng. Und dann hat Griechenland ein besonderes Problem. Man darf aber nicht verschweigen, dass die griechische Politik auch dazu neigt, Krisen zu instrumentalisieren. Frei nach dem Motto: Ihr erlasst uns die Schulden und wir lösen euch das Flüchtlingsproblem.

Sehen Sie irgendwo einen Silberstreif für das Land?

Es gibt immense Probleme, aber es gibt auch enorme Chancen. Der Tourismus ist eine. Energiewirtschaft eine andere: Griechenland ist geradezu prädestiniert, erneuerbare Energien zu nutzen, Wind mehr noch als die Sonne. Es gibt ernsthafte Szenarien, dass Griechenland den Energiebedarf der Balkanländer vollständig aus erneuerbaren Energien decken kann. Darüber hinaus gibt es viele hoch qualifizierte Menschen, zum Beispiel in der Kreativwirtschaft. Junge griechische Spieleentwickler haben einen hervorragenden Leumund in der Szene. Wir brauchen ein griechisches Nokia, am besten mehrere.

Aber reicht das?

Ob die Chancen realisiert werden können, hängt davon ab, ob es langfristig einen Schuldenschnitt gibt. Man kann den nennen wie man will, aber ohne einen Schnitt kann das Land nicht auf die Beine kommen.

Weitere Stationen: Rotterdam, Krakau, Riga, Prag und München

Matthias Makowski wurde 1960 in Herne geboren. Nach dem Abitur studierte er katholische Theologie, klassische Philologie und Germanistik.

Nach einer kurzen Zeit im Schuldienst folgte er 1987 einem Ruf an die Tongji-Universität in Shanghai. Seit 1991 arbeitet er beim Goethe-Institut mit Stationen in Rotterdam, Krakau, Riga, Prag und zuletzt München, wo er in den vergangenen Jahren die Abteilung Sprache des Goethe-Instituts leitete.

Matthias Makowski ist verheiratet und hat zwei Kinder.