Herne. Die Coronakrise verursacht eine Schneise der Verwüstung im Wirtschaftsleben. Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath zur Lage in seiner Branche.
Die Coronakrise zieht mit dem erzwungenen fast vollständigen Stillstand des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens beinahe eine Schneise der Verwüstung durch Unternehmen. Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath erläutert im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann die Lage in seiner Branche.
Herr Drath, es gab Meldungen, dass es im Handwerk Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent gibt.
Drath: Ja, die Lage ist äußerst kritisch. Es gibt teilweise Einbußen von 100 Prozent. Das Handwerk hat viele unterschiedliche Facetten. Wenn man zum Beispiel das Handwerk betrachtet, das am Menschen arbeitet wie Friseure, Kosmetiker oder Augenoptiker. Die haben ihre Betriebe zu, die machen null Umsatz. Dann geht es weiter mit Bäckern und Fleischern. Die haben zwar ihre Betriebe auf und können an der Theke Brot oder Wurst verkaufen. Aber das, wovon sie leben, das ist dicht: die Cafés bei den Bäckern und das Catering bei den Fleischern. Die versorgen ja teilweise Schulen und Kindergärten mit Essen. Das liegt alles brach. Der Verkauf an der Theke ist nicht das, wovon sie leben können.
Ich nehme an, dass auch viele Handwerksbetriebe Kurzarbeit angemeldet haben.
Ja, das ist so. Aber nicht nur bei den genannten, sondern auch bei Schlossern oder Tischlern. Da gibt es auch viel weniger Aufträge. Bei Schulen oder Kommunen ist im Moment nichts mehr, und kein Privatkunde lässt sich doch im Moment einen neuen Tisch bauen. In der Geschäftsstelle der Kreishandwerkerschaft glühen angesichts der Krise die Telefone. Der Beratungsbedarf ist immens. Da spürt man die Sorge und Ängste bei den Betrieben.
Wer arbeitet denn überhaupt noch?
Das Bauhandwerk darf noch normal arbeiten, aber unter Einhaltung strengster Hygienevorschriften.
Geht das so einfach?
Nein. Die Vorschriften sind schwierig einzuhalten, weil wir die Materialien, die wir dafür bräuchten, nicht haben. Wir dürfen nur mit zwei Personen im Auto fahren. Da kann ein Logistikproblem auftauchen. Wo bekommt man die Autos her? Früher ist man mit vier oder fünf Leuten in einem Wagen gefahren. Die Desinfektionsmittel, mit denen wir Gegenstände desinfizieren können, sind ganz schwierig zu bekommen. Wenn wir als Handwerker in den Wohnungen arbeiten, erwarten die Menschen, dass sie Schutzmasken tragen. Aber wo bekommen die Handwerker noch Schutzmasken her? Manche Menschen lassen die Handwerker gar nicht in die Wohnungen rein, was ja auch verständlich ist.
Das heißt, es werden jede Menge Aufträge storniert?
Ja, Aufträge werden zum Teil zurückgestellt oder ganz storniert. Die Menschen wissen ja auch gar nicht, wie ihre Einkommenssituation sein wird. Wir machen uns gar keine Vorstellungen, wie viele Menschen mit 60 oder 67 Prozent ihres normalen Lohns in Kurzarbeit sind. Das ist Geld, was im Wirtschaftskreislauf fehlt, was vielleicht für eine neue Heizung oder ein neues Geländer fehlt. Und beim Bauhandwerk wird der Auftragsmangel später kommen. Ich kenne einen Herner Elektriker, der hat 50 Prozent seines Personals in Kurzarbeit geschickt. Hinzu kommt ja, dass der Einzelhandel dicht ist. Denken Sie an die elektrische Eingangstür, die gewartet werden muss. Daran sieht man diesen Dominoeffekt.
Wie groß ist die Gefahr, dass Betriebe die Krise nicht überleben?
Wir leben ja in einem Zahnradkreislauf. Wenn sich alle Räder drehen, ist es gut, doch wenn ein Rad kaputt ist, gibt es große Probleme. Je länger diese Krise dauert, desto größer wird das Betriebssterben sein. Angefangen beim Friseur mit zwei Mitarbeitern, der die nötigen Rücklagen gar nicht haben kann, bis zum Sanitärbetrieb mit 30 Mitarbeitern. Der schickt zwar seine Mitarbeiter in Kurzarbeit, aber die Kosten für die Immobilie und die Autos laufen ja weiter. Je länger es dauert, desto mehr werden gesunde Betriebe kleiner werden oder die Betriebe müssen schließen.
Wenn es wieder aufwärts geht, wann immer das auch sein wird, werden dann ab einem bestimmten Zeitpunkt doch wieder Fachkräfte fehlen?
Definitiv. Die Betriebe versuchen ja auch ihre Fachkräfte zu halten, so weit wie möglich. Wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat, werden die Fachkräfte genauso gesucht werden wie jetzt auch. Das Handwerk hatte bis zur Krise so gut zu tun, dass es gar nicht alle Aufträge abarbeiten konnte. Jeder Unternehmer ist gut beraten, zu versuchen, seine Mitarbeiter zu halten. Das wird aber schwierig.
Wie blicken Sie auf die diversen Hilfspakete, die geschnürt worden sind?
9000 Euro für einen Friseurbetrieb, der zwei Monate schließen muss. Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber das gilt selbstverständlich für alle, und das Geld für die Unternehmen muss ja auch irgendwo herkommen. Auch bei größeren Betrieben, die 25.000 Euro beantragen können, ist es prozentual nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und Kredite müssen zurückgezahlt werden...
Wie sieht es mit der Ausbildung aus? Wird es einen Knick geben, weil die Betriebe angesichts der Krise, das Geld zusammenhalten und auf die Einstellung eines Azubis verzichten?
Die Betriebe sollten auf jeden Fall ausbilden. Der Fachkräftemangel ist ja da. Einen Azubi stellt man ja jetzt für die Zukunft ein. Das Handwerk hat sowieso zu wenige Auszubildende. Und die wenigen, die noch da sind, werden sicherlich eingestellt. Ich glaube nicht, dass es einen Knick geben wird. Ausbildung muss weitergehen, um die Fachkräfte zu sichern.
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Wie stehen Sie zur Frage der Lockerung der Einschränkungen?
Ganz klar: Die Gesundheit steht an erster Stelle. Ich verlasse mich da voll auf die Fachleute aus der Forschung. Die Krise ist eine Situation, die uns alle mal ein wenig erdet. Vielleicht denken wir auch mal wieder darüber nach, wie gut es uns doch eigentlich geht.