Herne. Das Zeitzeugen-Projekt für Schüler, die über die Nazi-Zeit aufgeklärt werden, erhält eine neue Organisatorin. Horst Spieckermann nimmt Abschied.

„Das war ein Flächenangriff – Hunderte Bomben fielen gleichzeitig“, erklärt Albert Buschmann einigen Schülern, die ihm gebannt lauschen. Der 91-Jährige ist einer der Zeitzeugen, die in der Erich-Fried-Gesamtschule in Herne den Schülern über den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus erzählen. Vor elf Jahren startete der Herner Horst Spieckermann dieses Zeitzeugen-Projekt – nun übergibt er es an Andrea Höhne.

Der Anstoß für die Initiative war ein Artikel, den Horst Spieckermann in der WAZ las. „Es war ein Bericht über einen französischen Soldaten, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hat“, erinnert er sich. Vor allem das Fazit des Soldaten beeindruckte ihn: „Er schrieb, dass er bis heute nicht weiß, warum sie eigentlich aufeinander geschossen haben.“ So keimte die Idee, in Herne Zeitzeugen zu suchen, die über ihre Erfahrungen sprechen. Der heute 78-Jährige sprach Altenkreise, Parteien und Seniorenheime an, schaltete einen Aufruf in der WAZ und stellte den Kontakt zu den Schulen her.

Seine Eltern haben nie über den Krieg gesprochen

Horst Spieckermann baute das Zeitzeugen-Projekt auf und sprach über die Jahre vor unzähligen Schülern, hier im vergangenen März an der Realschule Crange.
Horst Spieckermann baute das Zeitzeugen-Projekt auf und sprach über die Jahre vor unzähligen Schülern, hier im vergangenen März an der Realschule Crange. © Funke Foto Services GmbH | Rainer Raffalski

„Anfangs waren es zwei, drei – aber es wurde schnell zum Selbstläufer.“ Spieckermann selber war vier, als der Krieg endete. Seine einzige Erinnerung: „Wir wurden ins Sauerland evakuiert. Da stand eines Tages ein amerikanischer Panzer auf dem Hof. Das hat mich als Junge begeistert, schließlich hatte ich so etwas noch nie gesehen.“ Seine Eltern hätten nie über den Krieg gesprochen. „Viele Senioren wollen nicht über den Krieg sprechen“, weiß Spieckermann, der das Projekt bislang alleine koordinierte. Aufgrund seiner Erkrankung – COPD – falle ihm dies jedoch immer schwerer. Umso glücklicher ist er, in Andrea Höhne eine Nachfolgerin gefunden zu haben.

„Ich arbeite in der ambulanten Seniorenbetreuung. Meine Kunden sind eigentlich allesamt Zeitzeugen“, erklärt Höhne, die im letzten Jahr bei den Zeitzeugen hospitierte. Als sie hörte, dass Spieckermann einen Nachfolger suchte, war sie sofort bereit: „Es hätte mir sehr leidgetan, wenn das Projekt nicht fortgesetzt wird, denn kein Geschichtsbuch der Welt kann wiedergeben, was die Zeitzeugen erlebt haben.“ Deshalb will sie auch künftig dafür sorgen, dass die verbliebenen Zeitzeugen gehört werden. Dazu sollen künftig auch Hausbesuche ermöglicht werden, wenn die Fahrt zur Schule zu anstrengend für die Senioren ist: „Ich will ihnen die Möglichkeit geben, solange wie möglich zu erzählen.“

Zwischenstation im leeren Konzentrationslager

Wie deutlich vielen die Kriegsjahre noch sind, wird deutlich, wenn man Irmgard Gorke zuhört. „Wir musste während des Deutschlandlieds den Hitlergruß zeigen“, erklärt die 86-Jährige den Schülerinnen. „Das war ganz schön anstrengend, so lange den Arm hochzuhalten.“ Sie ist mit ihrer Familie aus Ostpreußen geflohen – und weiß noch alle Daten und Stationen. „Der Russe war uns schon auf den Fersen, und wir mussten auf offenen Soldaten-Lkw mitfahren, bei minus 20 Grad nachts und minus 15 tagsüber.“ Eindrücklich schildert sie ihre Fahrt ins Ungewisse, von der eine Zwischenstation sogar ein leeres Konzentrationslager war.

Vor elf Jahren gegründet

Das Zeitzeugen-Projekt wurde vor elf Jahren von Horst Spieckermann gegründet. Andrea Höhne übernimmt es nun.

Weitere Zeitzeugen werden gesucht. Ebenso Menschen, die das Projekt finanziell unterstützen möchten, um zum Beispiel die Fahrten der Senioren zu finanzieren. Interessierte wenden sich an Andrea Höhne unter 0177/64 67 316.

Mit dem Boot sei es schließlich nach Rügen gegangen, dann nach Schleswig-Holstein, wo sie auf einem Hof mithalf. Schließlich seien sie zunächst nach Hamm gekommen, dann nach Herne: „1947 war es am schlimmsten mit der Ernährung. Pro Lebensmittelkarte standen einem 1000 Kalorien am Tag zu – und die kriegte man noch nicht mal.“

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