Herne. In Herne sind zwei neue Gedenktafeln für Opfer des Nationalsozialismus aufgestellt worden. Sie erinnern an das Schicksal dieser beiden Familien.

In Herne sind in dieser Woche neue „Nahtstellen“ fertiggestellt worden. Zwei weitere Gedenktafeln erinnern an das Leben der jüdischen Familien Frank und Wertheim, von denen die meisten Mitglieder durch die Nazis ermordet wurden. Es sind die Nahtstellen Nummer elf und zwölf in dieser Stadt.

„Nahtstellen, fühlbar, hier. . .“ heißt ein Projekt der Stadt. Im Mittelpunkt stehen Gedenktafeln, die auf jüdisches Leben in Herne hinweisen, das von den Nazis vernichtet wurde. Unter der Regie des Herner Historikers Ralf Piorr wurden diese „dezentralen Erinnerungsorte“ in den vergangenen 15 Jahren geschaffen. Daran beteiligt waren nicht zuletzt auch viele Schüler.

Familie Frank öffnete in Sodingen ein Kaufhaus

Auf der Mont-Cenis-Straße betrieb die Familie Frank ein Kaufhaus für Textilwaren.
Auf der Mont-Cenis-Straße betrieb die Familie Frank ein Kaufhaus für Textilwaren. © Archiv Ralf Piorr

Die Geschichte der Familie Frank, der eine der beiden Erinnerungstafeln gewidmet ist, wurde von Schülern der Mont-Cenis-Gesamtschule im Unterricht mit Ralf Piorr und Lehrerin Céline Spieker für den jährlichen Holocaust-Gedenktag erarbeitet. Das Ehepaar Julie und Louis Frank kam 1910 nach Sodingen und eröffnete in der damals aufstrebenden Bergarbeiterstadt Herne ein Kaufhaus für Textilwaren, gibt die Tafel an der Ecke Mont-Cenis-Straße/Am Denkmal Auskunft.

Ab 1933 wurde das Geschäft auf der Mont-Cenis-Straße von den Nazis boykottiert. Nach der Pogromnacht am 9. November 1933 wollten Julie und Louis Frank mit ihrer Familie aus Deutschland fliehen. Vergeblich: Bis auf die beiden Söhne Werner und Kurt, die sich ins Ausland retten konnten, fiel die Familie Frank den Nationalsozialisten zum Opfer: Tochter Ruth Frank starb demnach im Konzentrationslager Stutthof, Julie im Ghetto Theresienstadt und Louis im Vernichtungslager Treblinka.

Dezentrale Erinnerungsorte

Zwölf Gedenktafeln in Herne verweisen als „Nahtstellen“ auf die Orte jüdischen Lebens in der Stadt, die durch die Shoah vernichtet wurden. Sie sind gedacht als „dezentrale Erinnerungsorte“.

„Nahtstellen“ gibt es an folgenden Orten: Bahnhofstraße 27-29 (Kaufhaus Gebrüder Rindskopf), Hauptstraße 234 (Familie Nussbaum), Hauptstraße II (Geschäfte auf der Hauptstraße), Bahnhof Herne (Kindertransporte), Edmund-Weber-Straße 173 (Familie Kaufmann), Robert-Brauner-Platz 1 (Moritz Gans), Eickeler Markt 6 (Sally Baum), Schulstraße (Jüdische Volksschule), Schaeferstraße (Synagoge Herne), Langekampstraße 48 (Synagoge Wanne-Eickel) und jetzt auch Ecke Mont-Cenis-Straße/Am Denkmal (Familie Frank) sowie auf der Heinrichstraße (Familie Wertheim).

Auf der Erinnerungstafel für die Familie findet sich ein eindrucksvolles Zitat von Werner Frank, der 1947 als US-Soldat das Haus an der Mont-Cenis-Straße besucht hat: „Ich stand am Denkmal und sah auf die Fenster unseres Wohnzimmers und des Schlafzimmers unserer Eltern. Und plötzlich sah ich unsere Mutter und unseren Vater und an dem anderen Fenster Ruth. Es schien mir, als ob sie mir zuwinkten. Ich wurde wie Stein. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich wusste nur eines, dass ich weg musste und nie mehr zurückkommen würde.“

Dr. Gustav Wertheim war Allgemeinmediziner in Herne-Mitte

Dr. Gustav Wertheim war Allgemeinmediziner in Herne-Mitte.
Dr. Gustav Wertheim war Allgemeinmediziner in Herne-Mitte. © Archiv Ralf Piorr

Die Geschichte der jüdischen Familie Wertheim wurde im Unterricht von Schülern des Gymnasiums Eickel mit dem Historiker Piorr und der Lehrerin Maja Geling für den Holocaust-Gedenktag aufgearbeitet: Der Arzt Dr. Gustav Wertheim arbeitete als Allgemeinmediziner auf der Heinrichstraße in Herne-Mitte, wo er auch mit seiner Frau Martha und seinen zwei Söhnen lebte. Dort wurde nun die Erinnerungstafel aufgestellt.

Der angesehene Arzt gehörte demnach zum Vorstand der jüdischen Gemeinde und wurde von den Nazis gezwungen, seine Praxis zu schließen. Seine beiden Söhne emigrierten ins Ausland, nach der Pogromnacht aber wurde Gustav Wertheim verhaftet und für drei Wochen ins KZ Sachsenhausen verschleppt.

Die dort herrschende Erniedrigung und die Gewalt waren für den ehemaligen Frontsoldaten eine zutiefst demütigende Erfahrung, so die Stadt. Am 18. November 1941 wurde Gustav Wertheim von zwei SA-Männern auf der Straße beleidigt und geschlagen. Der Arzt flüchtete in seine Wohnung und beging Selbstmord mit Zyankali. „Kein Leben schien ihm besser als dieses“, heißt es in dem historischen Stadtführer „Herne und Wanne-Eickel 1933 - 1945“, herausgegeben von Ralf Piorr. Gustavs Frau Martha wurde vermutlich im Vernichtungslager Sobibόr ermordet, gibt die Tafel Auskunft.

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