Herne. Heinz-Peter Jäkel ist so etwas wie das Gesicht des Widerstands gegen den Deponie-Ausbau. Warum der Anwohner der Deponie auf die Barrikaden geht.
Vor 30 Jahren hatte Heinz-Peter Jäkel die Qual der Wahl: Sein Arbeitgeber Ruhrkohle AG machte ihm das Angebot, zu günstigen Konditionen ein Häuschen in Unser Fritz, Sodingen oder Gelsenkirchen-Buer zu erwerben. Jäkel entschied sich nach reiflicher Überlegung für Unser Fritz und bezog mit Frau und Tochter (4) ein Eigenheim an der Sternstraße, nahe der Zentraldeponie Emscherbruch. Er hat es längst bereut.
„Das war ein Fehler“, sagt der Sprecher der Bürgerinitiative Uns stinkt’s heute. Resignation schwingt in diesem Bekenntnis nicht mit. Im Gegenteil: Heinz-Peter Jäkel steht stellvertretend für viele Menschen in Herne und Gelsenkirchen, die nicht weiter ohnmächtig dabei zusehen wollen, wie die Müllhalde in ihrer Nachbarschaft wächst und ihre Lebensqualität gleichzeitig abnimmt.
Gute Gründe für einen Umzug nach Herne
Es habe 1989 gute Gründe gegeben, aus seiner Heimatstadt Gelsenkirchen nach Unser Fritz zu ziehen, erzählt der 68-Jährige. Die Nähe zur RAG am Shamrockring, die grüne Umgebung mit dem Resser Wäldchen, der Reiterhof auf Gut Steinhausen für die Tochter. Und auch die Herner Stadtverwaltung habe eine Rolle gespielt. „Als ich mich bei der Stadt über die Deponie erkundigt habe, hat man mir gesagt: Die Deponie schließt in zehn Jahren. Dann wird die Halde begrünt und dann kann man dort Drachen steigen lassen“, sagt Jäkel.
Vom Bergbau- zum Computerexperten
Heinz-Peter Jäkel (67) ist mit vier Brüdern in Gelsenkirchen-Ückendorf aufgewachsen. Sein Vater war Bergmann.
Nach dem Studium der Bergbau- und Vermessungstechnik heuerte er bei der Ruhrkohle AG an, die ihn zuvor schon über ein Stipendium unterstützt hatte. Bei der RAG landete er schließlich in der Informatik-Abteilung und schrieb dort u.a. Software für den Gesundheitsdienst in Schachtanlagen.
Nach Ausgliederung seiner Abteilung aus dem RAG-Konzern wechselte er 1996 nach Düsseldorf zur Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, wo er Leiter der IT-Abteilung wurde. 2016 ging er in den Ruhestand.
Jäkel hat eine Tochter und ist in zweiter Ehe verheiratet.
Im Laufe der Jahre sei ihm aufgefallen: „Die Halde wächst ja.“ Und irgendwann nach dem Jahrtausendwechsel habe er durch Zufall erfahren, dass dies auch so weitergeht, sprich: dass die Laufzeit erneut verlängert worden ist. Protestiert hat er zunächst nicht. Auf seine persönlichen Umstände führt Jäkel das zurück. Auf hohe Belastungen im Job inklusive eines Wechsel des Arbeitgebers, aber auch auf die familiäre Situation und den Tod seiner Frau. „Sie ist 2006 an Brustkrebs gestorben“, sagt er. Sie sei zwar familiär vorbelastet gewesen. Doch nach dem Studium wissenschaftlicher Arbeiten über den Zusammenhang von Krebserkrankungen und dem Wohnen an besonders belasteten Straßen - Stichwort: Feinstaub - ist er sich sicher: Auch der Schwerlastverkehr zur und von der Halde sei ein Faktor gewesen.
Es dauerte dann aber mehr als zehn Jahre und fünf Brände, bis Heinz-Peter Jäkel Widerstand leistete. Von Dezember 2017 bis Juli 2018, also innerhalb von nur acht Monaten stieg fünfmal Rauch von der Deponie auf: Jedes neue Feuer auf einem Zwischenlager der Müllhalde ließ Unbehagen und Ängste bei Anwohnern wachsen.
Das Aha-Erlebnis im Gemeindehaus
„Den entscheidenden Anstoß hat das hier gegeben“, sagt der Rentner und kramt einen Zettel aus der Schublade: „Hallo Guten Tag!“ steht auf dem von Klaudia Scholz mit rotem Filzstift handgeschriebenen Blatt. Die Linke-Ratsfrau und die Bürgerinitiative Dicke Luft – diese BI kämpft gegen den Ausbau der Verbrennungsanlage Suez – luden Anwohner der Deponie zu ihrem nächsten Treffen am 24. Juli ein, um mit ihnen über die Brände und die vom Betreiber AGR beantragte erneute Erweiterung der Anlage am Emscherbruch auch um gefährliche Stoffe zu sprechen.
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Nur knapp zwei Monate später wohnten mehr als 100 Bürger aus Herne und Gelsenkirchen im Gemeindehaus an der Unser-Fritz-Straße der ersten Veranstaltung der neuen Bürgerinitiative Uns stinkt’s bei. „Für uns war das ein Aha-Erlebnis, dass so viele Menschen kamen.“ Die zentralen Forderungen der neuen BI lauteten: keine Erweiterung und eine Schließung in absehbarer Zeit, um die Lasten bei der Abfalldeponierung gerechter zu verteilen.
Akten wälzen in Nachtschichten
Den Worten ließen der bis dato politisch nicht aktive Heinz-Peter Jäkel und seine Mitstreiter Taten folgen. Sie arbeiteten sich in die hochkomplexe Materie ein, um der AGR und der entscheidungsbefugten Bezirksregierung Münster auf Augenhöhe begegnen zu können. Für den Erörterungstermin im Genehmigungsverfahrens erarbeiteten sie unter Zeitdruck mehr als 30 Einwendungen, für die sie 1118 Unterschriften sammelten. Gleichzeitig gelang es Jäkel & Co., die Stadtverwaltungen von Herne und Gelsenkirchen, alle Parteien sowie die beiden großen Kirchen für ihr Anliegen zu gewinnen.
„Ich habe mehr als einmal gedacht: Das wächst mir über den Kopf“, bekennt er und verweist auf den Umfang des 2400-seitigen, inhaltlich hochkomplexen AGR-Antragpakets. In Vorbereitung auf den Erörterungstermin legte die BI noch eine Schüppe drauf: Über mehrere Wochen bereiteten sie sich auf die Diskussion über den Antrag der AGR und die Einwendungen vor: Im Schnitt acht Stunden täglich bzw. nachts habe er Vorlagen, Gutachten und Analysen gewälzt, berichtet Jäkel.
Initiative arbeitet an neuen Einwendungen
Das habe sich gelohnt, so sein Fazit nach der dreitägigen Erörterungstermin in Gelsenkirchen. Es habe ihn überrascht, wie schlecht die AGR-Vertreter vorbereitet gewesen seien. Fortsetzung folgt: Aufgrund eines Formfehlers der Bezirksregierung wird das Verfahren nun noch einmal komplett aufgerollt. Jäkel und die Bürgerinitiative arbeiten bereits an neuen Einwendungen, die in der ersten Runde aus Zeitmangel hinten runterfielen. Wie sind die Erfolgsaussichten? „Das kann man schlecht vorhersagen“, sagt Jäkel. Auch deshalb, weil die Bezirksregierung bisher industriefreundlich gewesen sei. Bei der Deponie sei „alles durchgewunken“ worden.
Doch egal wie die Behörde am Ende entscheidet - einen großen Erfolg habe die BI schon jetzt verbuchen können: „Wir haben der AGR und der Bezirksregierung gezeigt, dass wir uns wehren und nicht alles mit uns machen lassen.“