Herne. . Seit Januar hat das LWL-Museum für Archäologie in Herne eine neue Chefin. Im Samstagsinterview sprach sie über Weichenstellungen und Visionen.

Seit Januar hat das LWL-Museum für Archäologie eine neue Leiterin: die Archäologin Doreen Mölders. Mit ihr sprach WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch über erste Weichenstellungen und Zukunftsideen.

Frau Mölders, starten wir mit Ostern: Wo haben Sie als Kind Ostereier gesucht?

Bei uns im Garten. Ich bin zwar in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt im Neubau groß geworden, meine Eltern hatten aber einen Garten mit Laube, und dort haben wir häufig Ostereier gesucht. Je nach Wetterlage auch mal in der 60-Quadratmeter-Neubauwohnung.

Vielleicht ist die Analogie etwas gewagt, aber: Das Suchen und Finden ist ja auch das Spannende an der Archäologie, oder?

Auf jeden Fall. Das Suchen und Finden hat generell etwas Reizvolles. Man denkt beim Ausgraben nicht zwangsläufig an Ostern, aber es ist als Metapher vergleichbar.

Aber die Zeiten des Grabens sind für Sie vorbei...

Das waren sie schon in Chemnitz. Im Prinzip war ich 2010 das letzte Mal auf einer Ausgrabung, auf dem Mont Beuvray im Burgund, auf dem sich das von Caesar erwähnte antike Bibracte befand.

Jetzt sind Sie hier um zu vermitteln, was andere ausgegraben haben. Wie waren die ersten drei Monate?

Ich habe viele unglaublich spannende Menschen kennengelernt. Ich habe mir sehr viel Zeit genommen, um die Menschen vor Ort sozusagen zu beschnuppern und mir ein Bild davon zu machen, wo die Interessenslagen sind. Inzwischen glaube ich, dass man die Interessen in Sachsen nicht mit denen im Ruhrgebiet vergleichen kann. Es gibt regionenspezifische Neugierden, auch im Bezug auf Geschichte, die hier durch den modernen Bergbau anders gelagert sind als in Dresden oder Leipzig.

Was genau haben Sie erfahren?

Mein Eindruck ist, dass die Menschen im Ruhrgebiet sehr stark im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart verhaftet sind. Das drückt sich sowohl in der Architektur vieler Städte aus als auch in der sozialen Lebenswirklichkeit. Die Industrielandschaft mit ihren Fördertürmen und Halden ist eine modern gestaltete Landschaft, die von jedem Standort aus auf die Menschen wirkt. Anders dagegen in Dresden, eine Stadt, in der man versucht, einen historischen Zustand zu rekonstruieren und damit viel stärker in der Vergangenheit verhaftet, fast stecken geblieben ist. Hier ist alles sehr stark auf Moderne, Gegenwart und durchaus auch auf Zukunft ausgerichtet.

Eine weit zurückreichende Vergangenheit haben wir ja nicht hier ...

Stonehenge
Stonehenge © Getty Images

Genau. Und für uns bedeutet das, wenn wir Ausstellungen machen, dass wir da andocken. Wenn ich Stonehenge als Beispiel nehme, so können wir mit dem Thema soziale Landschaft eine Klammer finden: Wie gestaltet der Mensch Landschaft und Raum, und zwar seit Jahrtausenden? Der Steinkreis von Stonehenge und die umliegenden Hügelgräber haben ja 3000 vor Christus genauso etwas mit den Menschen gemacht, wie die Halden und Fördertürme die Wahrnehmung der Menschen von Raum hier im Ruhrgebiet beeinflussen. Spannend ist es also, die Archäologie, die vergangene Gesellschaften zu rekonstruieren versucht, über solche Themen in die Gegenwart zu holen beziehungsweise Fragen aus der Gegenwart an die Archäologie zu stellen.

Das geschieht ja immer mehr auch mit Hilfe von Technik. Sie haben im Museum seit einigen Wochen zum Beispiel eine Hologramm-Vitrine.

Die erste „Holo-Vitrine“ im Herner Archäologiemuseum erzählt etwas über den Faustkeil.
Die erste „Holo-Vitrine“ im Herner Archäologiemuseum erzählt etwas über den Faustkeil.

Das ist ein digitales Medium, mit dem wir über virtuelle Technik vergangene Arbeitsweisen wie das Zuschlagen eines Faustkeils erklären, für die wir im Text mindestens zwei Seiten bräuchten. In der digitalen Rekonstruktion wird das durch Anschauung sehr viel plastischer. Das ist kein Hexenwerk, sondern ein Video einer 3D-Animation, das auf einen Spiegel projiziert wird. Auf diese Weise sieht es so aus, als würden wir eine Erscheinung sehen. Die Digitalisierung ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, das aber hier im Haus durchaus schon verankert ist. Wir können mit digitalen Mitteln Interpretationen in die Ausstellung bringen, die wir analog nicht einbringen können.

Das ist also mehr als eine Spielerei?

Es ist ein Vermittlungskonzept. Ein Mittel, komplexe Erzählungen bilderreich darzulegen und den Besuchern näher zu bringen.

Weil die Leute nicht mehr so gern lange Texte lesen?

Die Museen haben sich gewandelt. Von einem Ort für Menschen mit einem sehr hohen Bildungsstand, die es gewohnt sind, sich in Museen die Objekte zu erschließen, hin zu einem Museum für alle. Auch für Kinder, die die Texte noch gar nicht verstehen und nicht die Konzentrationsfähigkeit haben, aber auch für Menschen, die es nicht gewohnt sind, in Museen zu gehen.

Diese Menschen kommen zu Ihnen?

Viel Zulauf bei der „Phantastischen Museumsnacht“.
Viel Zulauf bei der „Phantastischen Museumsnacht“. © Klaus Pollkläsener

Sie kommen. Das sieht man vor allem bei Angeboten wie der Museumsnacht, wo wir eine große Spannbreite an Bevölkerungsgruppen haben. Und ich bin der Überzeugung, wenn die Menschen einmal das Museum betreten haben, dass sie dann auch häufiger kommen, vielleicht dann mit ihren Enkeln oder Kindern. Die größte Hürde ist das erste Mal.

Das Thema Digitalisierung haben Sie jetzt auch auf einem museumsinternen Strategietag behandelt, wie im Museumsblog zu lesen war. Worum ging es noch?

Da ist zum einen die Diversität. Das bedeutet, dass wir in unseren Ausstellungen und in der Personalstruktur die Bevölkerungsstruktur des Ruhrgebiets abbilden müssen. Wir erzählen westfälische Geschichte, aber in einem globalen Kontext. Wir möchten Kollegen und Kolleginnen haben mit Fremdheitserfahrungen, einer Migrationsgeschichte, und damit mit einem anderen Zugang zu unseren Ausstellungsthemen.

Ganz ähnlich hat sich ja auch der neue Intendant des Bochumer Schauspielhauses, Johan Simons, positioniert.

Das ist eine Strömung, weil die Lebenswirklichkeit eine andere geworden ist. In unseren Städten haben wir jetzt eine Mischung von kulturellen Hintergründen. Moslemisch, hinduistisch, jüdisch. Was bieten wir den Menschen, wenn das Interesse anders gelagert ist? „Museum für alle“ meint auch das. Ein weiteres Thema ist Nachhaltigkeit.

Das heißt im Museumskontext?

Dass wir weniger Ressourcen verschwenden. Wenn wir Sonderausstellungen machen, sollten wir uns bemühen, Architekturelemente wiederzuverwenden, so dass wir nicht für den Container produzieren, auch wenn man das Recycling dann sieht. Das ist ein Prozess, der ein gewisses Umdenken erfordert. Die Frage ist: Stellen wir die Ästhetik über die Ressourcenschonung oder machen wir es umgekehrt? Papierloses Büro ist auch ein Thema.

Finden die Strategietage regelmäßig statt?

Sie sind Teil meines Führungsstils. Einmal im Jahr ein Strategietag mit dem gesamten Team - Kassenpersonal, Technikpersonal, Vermittlungspersonal, wissenschaftliches Personal. Wir haben jetzt gemeinsam bei unserem ersten Strategietag definiert, wie wir uns das Museum der Zukunft vorstellen und Arbeitsgruppen eingerichtet.

Sehr partizipativ also.

Ja, und wir wollen auch Teilhabe von außen. Wir werden nach Ostern einen Workshop abhalten, zu dem wir öffentlich unsere Fans und Follower aus den sozialen Medien eingeladen haben. Man konnte sich bei uns melden, und jetzt machen wir den Workshop mit acht Externen, die an unserer digitalen Strategie mitarbeiten. Wir möchten ja auch wissen, was interessiert die Menschen, die uns folgen, überhaupt.

Die nächste Sonderausstellung dreht sich um die Pest. Wie geht es voran?

Sehr gut. Wir sind dabei, den Katalog fertigzustellen, wir arbeiten konzentriert an der Architekturplanung, der Szenografie und sind dabei, die ersten Texte zu schreiben. Alle Exponate stehen fest. Der Transport ist organisiert. Die Ausstellungseröffnung am 19. September kann kommen.

Haben Sie persönlich da noch Gestaltungsspielraum oder war das schon alles vor ihrer Zeit geplant?

Das Thema war gesetzt und die Exponate, aber ich kann immer noch eingreifen, zum Beispiel in einer gewissen Reihenfolge, also in der Erzählung, und dann natürlich auf der Textebene. Ich bin Verfechterin von kurzen, aber guten Texten. Wenn man es schafft auf 1000 Zeichen eine spannende Aussage zu formulieren, dann reichen 1000 Zeichen.

Warum ist das Thema Pest heute noch interessant?

Gerade an Krisen zeigt sich, wie beständig eine Gesellschaft sein kann oder eben nicht. Zum anderen wird in Krisen eine soziale Differenzierung einer Gesellschaft noch stärker sichtbar. So waren Menschen höherer sozialer Schichten immer in der Lage, sich besser zu schützen. Das ist bei der Pest auch so gewesen. Auch wenn natürlich Adelige gestorben sind. Aber die soziale Komponente spielt eine große Rolle. Und: Wir neigen immer wieder dazu, egal in welcher Gesellschaft, nach Schuld und Schuldigen zu suchen. Judenpogrome beispielsweise hat es zur Zeit der Pest massiv gegeben. Auch heute wird die Schuld möglichst einfach, nämlich an das vermeintlich Fremde, adressiert. Offensichtlich will man sich nicht mit der Komplexität beschäftigen, die Gesellschaft ausmacht. Aber genau das braucht es, um zukunftsfähig zu sein. Und dafür ist der Blick zurück in die Vergangenheit ebenso notwendig.