Herne. . Der Fachkräftemangel wirkt sich auf Personal und Bewohner des Herner Else-Drenseck-Seniorenheims spürbar aus. Zusammenhalt hilft im Alltagsleben.
Hanna Groll hält der Dame mit den kurzen grauen Haaren die Hand. Mit der anderen Hand streicht sie ihr sanft über den Kopf, schaut ihr vertrauensvoll in die Augen und sagt: „Alles wird gut.“ Sie reicht ihr den Löffel mit Grießbrei an und fragt: „Schmeckt es heute?“
Es ist Mittagszeit im Else-Drenseck-Seniorenheim der Awo in Herne Sodingen. Hanna Groll überprüft in ihrem Wohnbereich, ob alle Mitbewohner mit Mittagessen versorgt wurden. Eine typische Routine im Arbeitsalltag der Altenpflegerin, die derzeit eine Weiterbildung zur Wohnbereichsleiterin macht.
Mit dem 1. Januar 2019 hat das Else-Drenseck-Seniorenheim 2,0 mehr Stellen erhalten, die über das Pflegegesetz finanziert werden, das teilt Leitern Heike Strauss mit. Für Strauss und ihre Mitarbeiter bedeutet das eine Erleichterung für den Arbeitsalltag. Denn der Fachkräftemangel in der Altenpflege ist für Mitarbeiter und Bewohner des Heims aufs Tägliche spürbar.
Kurzfristige Ausfälle durch Krankheiten oder längerfristige Ausfälle durch Schwangerschaft erfordern beim vorhandenen Personal gutes Organisieren und Strukturieren, um durch den Tag zu kommen: Denn bei dünnerer Besetzung muss die gleiche Arbeit geleistet werden, sagt Hanna Groll: „Die Bewohner haben immer den gleichen Pflegebedarf, und das muss verteilt werden.“ Entsprechend straff müsse der Dienstplan dann geplant werden. In diesen Situationen ist es wertvoll, wenn der Zusammenhalt unter den Arbeitskollegen vorhanden sei, so Groll.
Die Mitarbeiter versuchen, die Bewohner dann nichts merken zu lassen. Auch wenn Ausfälle für sie durchaus Auswirkungen haben: Statt früh am Morgen können die Pflegekräfte sie erst um 11 Uhr waschen, dann verpasst der oder die Betroffene vielleicht das Singen um 10 Uhr. „Die Bewohner reagieren oft verständnisvoll und sagen, dass sie nicht unbedingt zum Singen müssen“, sagt Hanna Groll.
Meistens spüren sie aber doch, was los ist, meint die Pflegerin. „Ich laufe schneller, und dann fragen sie immer scherzhaft, warum ich denn so jogge.“ Zu vielen der Bewohnern baut man schließlich eine Beziehung auf, so Groll. „Manche kenne ich schon seit acht Jahren, und die wissen auch, wie mein schlechtes Gesicht aussieht.“
Verständnis entwickeln gehört dazu
Während Hanna Groll die Tagesmedikamente der Bewohner in farblichen Döschen verteilt, rollt ein älterer Herr in einem Rollstuhl murmelnd in den Raum. Der Beruf erfordert auch Geduld bei dementiellen Veränderungen, sagt Groll. Manche Betroffene könnten auch aggressiv werden, auch damit müsse man umgehen, so Groll.
Der Kontakt und Umgang mit Menschen gehören selbstverständlich zum Beruf, meint Tanja Thiel. Die Arbeit bestünde aus weit mehr als nur der Pflege- und Inkontinenzversorgung: Es brauche Menschenkenntnis und Biografiearbeit, sagt die Auszubildende.
„Es ist wichtig ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie der Mensch früher war, was seine Geschichte ist und seine Bedürfnisse zu respektieren“, sagt Thiel. Hinter die Fassade zu schauen, helfe das Verhalten besser zu verstehen. „Darauf aufbauend gehört es dazu, die Menschen zu fördern und ihnen zu helfen.“ Die Dankbarkeit, die sie im Gegenzug zurückerhält, ist Thiel Gold wert – sei es nur in Form einer Berührung. „Den Beruf macht man nicht des Geldes wegen.“
Durch die seit Jahren stetig wachsenden bürokratischen Vorgaben kommt das Menschliche im Arbeitsalltag jedoch häufig zu kurz. Dazu tragen auch die Qualitäts- und Dokumentationsanforderungen des Medizinschen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei. Durch das Ausfüllen bürokratischer Formulare fehle die eigentliche Zeit bei den Pflegebedürftigen, sagt Heim-Leiterin Heike Strauss.
Das Menschliche geht verloren
Die Risikoeinschätzung bei der Neuaufnahme von Bewohnern sei ein Beispiel. Dabei sollen die Pfleger die Mobilität des neuen Bewohners hinsichtlich Sturzgefahr oder besondere Anforderungen bei der Ernährung einschätzen. „Wie soll das gehen, wenn ich den gerade erst kennenlerne“, fragt Hanna Groll.
Screenings prüfen, Risikoformulare ausfüllen: Vieles davon sei nichts anderes als das Abarbeiten einer Liste, wobei das Menschliche verloren gehe, meint Groll. „Die Dokumentation hat mit den Bewohnern an sich nichts zu tun.“
Nichtsdestotrotz bleibt Groll mit Hingabe bei ihrem Beruf. Wenn die Bewohner sich bei ihr bedanken mit Sätzen wie: „Du bist mein allerbester Freund, Heinrich“ – dann geht ihr das Herz auf, weil Hanna Groll weiß, wer gemeint ist.
Fachkräftemangel in der Altenpflege in Herne