Herne. . Die offizielle Zeitrechnung der Cranger Kirmes in Herne geht auf eine Propaganda-Aktion der Nazis zurück. Dagegen rührt sich nun Widerstand.
Die „584. Cranger Kirmes“ im Jahr 2019 bewirbt Stadtmarketing Herne unter anderem auf Facebook. Gegen diese Zählweise regt sich nun Widerstand – geht sie doch auf die NS-Zeit zurück.
„Die Nazis haben 1935 aus Propagandagründen die 500. Cranger Kirmes als Massenveranstaltung feiern wollen“, sagt der Wanne-Eickeler Mondritter Horst Schröder. Auch angesichts des aktuellen Rechtsrucks in der Gesellschaft sei es geboten, nicht länger an diesen ideologischen Akt anzuknüpfen.
Griff in die historische Trickkiste
Der bei der Stadt angestellte Historiker Ralf Piorr bestätigt diesen Hintergrund der Zeitrechnung, den er zuletzt in seinem 2013 veröffentlichtem „Historischen Stadtführer Herne und Wanne-Eickel 1933-1945“ und kurz darauf in einem WAZ-Interview öffentlich beschrieben hat. Die NSDAP-Kreisleitung und die Stadtverwaltung hätten damals „in die historische Trickkiste“ gegriffen. Bis heute gebe es keine eindeutige Quellenlage für den Ursprung der Kirmes, so Piorr. Alle gesetzten Daten seien willkürlich – also auch die des NS-Regimes im Jahr 1935.
An die NS-Zählweise habe die Stadt Herne als Kirmes-Veranstalter ab dem Jahr 1990 wieder angeknüpft, um mit der Schnapszahl „555. Cranger Kirmes“ offenbar eine Marke zu setzen, sagt Piorr. Die Zählweise sei anschließend weiterhin genutzt worden. Sie findet sich auch heute noch auf dem Cranger Tor.
Bewusster Verzicht durch die Stadt
Die Stadtverwaltung habe sich dann in den 2000er Jahren in dieser Frage eindeutig positioniert, berichtet Ralf Piorr. In den ausschließlich von ihr zu verantwortenden Publikationen und Aktionen zur Cranger Kirmes habe sie auf eine Zahl bewusst verzichtet.
Nicht so das inzwischen für die Kirmes zuständige Stadtmarketing (SMH). SMH-Mitarbeiter Alexander Christian erklärt, dass man die Jahreszahl weiterhin nutzen wolle. Sie unterstreiche die Geschichte und Tradition des Volksfestes.
Auch wenn klar sei, dass die Nationalsozialisten dieses Datum willkürlich gewählt hätten, sehe er hier keine direkte Anknüpfung an die NS-Zeit. Bei der Verwendung einer Jahreszahl stehe das Marketing im Vordergrund. Deshalb werde man weiter auf die aktuelle Zählweise zurückgreifen – „es sei denn, jemand kann uns eine plausibel hergeleitete Jahreszahl nennen, die auf eine neue historische Quelle zurückgeht“.
Auf das Jahr 1449 berufen
Das können weder Historiker noch Horst Schröder. Der Mondritter macht aber einen Vorschlag: Wenn Stadtmarketing an einer Zahl festhalten wolle, könne sie sich auch auf das Jahr 1449 berufen. In jenem Jahr sei laut einer historischen Urkunde die Cranger Schlosskapelle geweiht worden, die für Entstehung und Entwicklung der Kirmes und seiner Vorläufer eine entscheidendende Rolle gespielt haben solle, so Schröder unter Berufung auf historische Berichte. „Dann könnten wir 2019 den 570. Geburtstag feiern.“