Herne. . Susanne Wolf hat vor etwas mehr als einem Monat die Leitung der Herner Schuldnerberatung abgegeben. Das waren ihre Gründe für den Abschied.

Zwei Wochen war Susanne Wolf im Urlaub, zwei Wochen also, um auf andere, neue Gedanken zu kommen, Pläne für die Zukunft zu schmieden und Abstand von ihrer Aufgabe zu bekommen. Vor etwas mehr als einem Monat hat sich Susanne Wolf als Geschäftsführerin der Schuldnerberatung in den Ruhestand verabschiedet. Doch im Gespräch mit ihr offenbart sich: Diese Zeit reichte für sie bei weitem nicht, um Abstand zu gewinnen.

Das kann keine Überraschung sein. Seit Januar 1989 hat sie die Schuldnerberatung geleitet, seitdem hat sie Tausenden Menschen geholfen. Und manchen hilft sie eben immer noch. Sie habe Klienten, die sie seit Jahren betreut, die hätten sie gebeten, sich weiter zu kümmern. So stemmte sich Wolf noch in den vergangenen Wochen gegen eine Räumungsklage. Sie half und hilft immer noch, „weil mir die Arbeit immer Freude gemacht hat und weil ich sie immer aus tiefer Überzeugung getan habe“, sagt die 64-Jährige.

Blick zurück mit Besorgnis

Doch beim Blick auf Wolfs Alter und auf ihre Überzeugung drängt sich eine Frage auf: Warum geht sie früher als nötig in den Ruhestand? „Aus Selbstschutz.“ Weil sie sehe, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelt habe. Diese Richtung sei schwer für sie auszuhalten. Wenn sie einen Blick zurück werfe, geschehe dies nicht im Zorn, aber mit einer großen Portion Besorgnis.

Susanne Wolf bei der Aktion „Schulden machen Krankheit macht Schulden“.
Susanne Wolf bei der Aktion „Schulden machen Krankheit macht Schulden“. © Ralph Bodemer

„Die Arbeitswelt ist kaputt“, sagt Wolf sehr bestimmt. Die Arbeitsbedingungen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren rapide verschlechtert. Die Hälfte aller Menschen, die zur Schuldnerberatung kämen, hätten Arbeit, müssten aber aufstocken. Die Verschuldung der Menschen steige durch geringe Einkommen, aber steigende Lebenshaltungskosten. Die Wohnungslosigkeit sei um 60 Prozent gestiegen. „Es ist kälter in der Gesellschaft geworden.“ Jene Menschen, denen es gut gehe, spürten den Druck und die Angst, womöglich bald auf der Seite der Verlierer zu stehen, andere würden sich hinter Phrasen verstecken, um nicht helfen zu müssen. Genauso offen, wie sie diese Missstände im Gespräch mit der WAZ benennt, hat sich auch im Gespräch mit Verantwortlichen in Herne immer sehr vernehmlich die Stimme erhoben. Das hat längst nicht allen gefallen, manch einer mag aufatmen, dass er Wolfs offene Worte in Zukunft nicht mehr ertragen muss.

Keine Feiertagsstimmung

„Wenn ich nicht so wäre, wie ich bin, hätte ich den Menschen auch nicht helfen können“, sagt Wolf. „Ich gehe mit dem Kopf durch die Wand.“ Doch um im Bild zu bleiben: Diese Wand ist mit den Jahren offenbar immer dicker geworden. „Es ist deutlich schwerer geworden etwas zu erreichen.“ Auch das dürfte zu Wolfs Entscheidung beigetragen haben, sich zurück zu ziehen. Dass ihr der Abschied dennoch leicht gefallen sei, liege daran, dass sie die Schuldnerberatung bei ihrer Nachfolgerin Andrea Leyk in guten Händen sieht. Auch wenn sie noch langjährige Klienten betreut: Susanne Wolf versucht, sich aus der Beratungsstelle an der Overwegstraße zurückzuziehen. Die Kollegen sollen die Dinge nun so angehen, wie sie es für richtig halten.

Wenn es ihr bislang kaum gelungen ist, Abstand zu gewinnen, stellt sich die Frage nach dem Wann: Nach Weihnachten, hofft Wolf. Es dürfte eine trügerische Hoffnung sein. Denn Wolf gibt zu, dass sie die Feiertage wohl kaum wird genießen können, etwas Feines werde nicht auf den Tisch kommen. Die Situation der Menschen sei zu traurig, es gebe zu viele Menschen, die im Dunkeln und im Kalten - oder gleich auf der Straße sitzen.

Betrübliches Fazit aus der Arbeit

Das alles klingt nach einem betrüblichen Fazit ihrer jahrelangen Arbeit. Als ob sie gar keinen Erfolg gehabt habe. „Wann ist Schuldnerberatung erfolgreich?“, fragt Wolf zurück. Wenn jemand entschuldet ist? Wenn die Existenz gesichert ist und jemand mit seinem Einkommen leben kann? Ein Erfolg sei es auch schon, „wenn wir es schaffen, dass die Gläubiger jemanden in Ruhe lassen“. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann das: dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können, dass die Arbeitsbedingungen wieder menschlich werden und dass jeder den Blick für den anderen behält. Tief in ihrem Innern wird sie das Gefühl haben, dass sich dieser Wunsch kaum erfüllen lässt.

Wenn Susanne Wolf in ihre eigene Zukunft blickt, verrät sie wenig. Nur so viel: Sie werde des Öfteren an einem Ort sein, an dem sie von niemandem zu erreichen ist. Dort wird sie wohl Abstand gewinnen können.

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Susanne Wolf arbeitete zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn im Durchgangswohnheim Unna-Massen, 1979 eröffnete sie eine Beratungsstelle der Verbraucherzentrale in Rheine, später arbeitete sie in Münster.

1989 folgte der Wechsel nach Herne, 2006 gründete sie die „Oase - Mittagstisch für Kinder und mehr“. Wolfs Nachfolgerin ist Andrea Leyk, die bereits seit 1996 im Team der Schuldnerberatung arbeitet.