Herne. . Die Schuldnerberatung zieht Fazit. Die Einkommensarmut hat den Spitzenplatz der Verschuldungsursachen angenommen. Die Zahl der Klienten verdoppelte sich.
„Man kann den Angstschweiß riechen bei Klienten, über denen alles zusammenbricht“, sagt Susanne Wolf. Die Leiterin der Herner Schuldnerberatung zieht eine erschreckende Jahresbilanz zum Stand der Menschen in der Stadt, die völlig überschuldet zu ihr und ihren sieben Mitarbeitern kommen, weil sie Hilfe suchen, und zwar immer: schnell. Von 2005 bis 2015 habe sich die Gesamtverschuldung der betreuten Fälle mehr als verdoppelt, und auch die Anzahl der Gläubiger stieg rasant: Innerhalb von zehn Jahren hat sich diese sogar verfünffacht.
488 Insolvenzfälle betreute die Schuldnerberatung, die unter den Fittichen des Evangelischen Kirchenkreises arbeitet, im vergangenen Jahr, 2005 waren es 218 gewesen. Das Problem der Überschuldung treffe zwar alle Gesellschaftsschichten, die meisten Fälle seien jedoch von Einkommensarmut betroffen, berichtet Susanne Wolf. „Einkommensarmut hat den Spitzenplatz der Verschuldungsursachen angenommen, noch vor Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung. Einkommensarmut macht krank und zerstört die Familie“, verdeutlicht die Finanzexpertin. Fortgesetzt werde die Problematik im Alter, wenn analog dazu die Renten nicht ausreichten: „Auch Rentner geraten zunehmend in Not, so dass sie hilflos und verzweifelt ab Mitte des Monats um Unterstützung bitten.“ 35 Prozent der über 70-Jährigen seien laut Statistik landesweit überschuldet. Oftmals sei es schier unerträglich, die Wohnungen dieser Mitbürger zu betreten. „Die können sich oftmals nicht einmal mehr Hygieneartikel leisten, damit sie sich waschen können.“
Susanne Wolf bleibt mit Kritik an der Politik nicht hinter dem Berg und spricht das Thema Mindestlohn an: „Es reicht nicht, einen Arbeitsplatz zu haben, man muss auch davon leben können.“ Ein wachsendes Problem seien ebenso die steigenden Lebenshaltungskosten, die auch junge Erwachsene treffen. Hier betreibe die Schuldnerberatung in den Schulen Aufklärung und vermittele Schülern, wie man den Alltag bestreitet, ohne in die Schuldenfalle zu geraten. Sie rät klammen, jungen Menschen, beim Einkaufen mit Bargeld zu bezahlen, um die Übersicht über die finanzielle Situation nicht zu verlieren: „Ich habe junge Leute gesehen, die zahlen alles per Kreditkarte, weil sie Angst haben, am Geldautomaten nichts zu bekommen. 1,88 Euro an der Supermarktkasse per Karte, das sollte nicht sein.“
1000 Euro Schulden beim Energieversorger, auch das sei keine Seltenheit. „Ich treffe Frauen, die mit ihren Kindern auf dem Schoß in einer dunklen Wohnung sitzen, weil ihnen der Strom gesperrt wurde.“ Kinder dürften nicht im Dunkeln sitzen, „das muss sich die Politik einmal ins Gewissen rufen.“
Für einkommensschwache Bürger müsse deshalb dringend ein Sozialtarif für Energie eingeführt werden, fordert die Schuldnerberaterin: „Arme Mitbürger bei Stromsperren auf Energieberatung hinzuweisen, ist so zynisch, wie Hungernden eine Diätberatung anzubieten.“