Henre. . Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will Korrekturen an Hartz IV vornehmen. Herner Organisationen sehen die Agenda 2010 kritisch.

  • VdK registriert, dass die Menschen nicht genug Geld und Angst vor Jobverlust haben
  • Leiterin der Schuldnerberatung macht Hartz IV für Verelendung in der Gesellschaft verantwortlich
  • Verlängerung des Arbeitslosengeldes I verlagere Verarmung nur nach hinten

Es gibt bislang wenig Konkretes zu einem möglichen Programm des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Aber einen - womöglich zentraler Punkt - hat Schulz genannt: Er möchte Korrekturen an der sogenannten Agenda 2010 vornehmen, konkret an Hartz IV. Es sei nicht ehrenrührig Fehler zu machen, aber wenn Fehler erkannt würden, müssten sie korrigiert werden. Seitdem läuft eine Diskussion ob tatsächlich Korrekturen an Hartz IV notwendig sind oder nicht. Die WAZ hat sich bei Organisationen in Herne umgehört.

Susanne Wolf, Leiterin der Schuldnerberatung.
Susanne Wolf, Leiterin der Schuldnerberatung. © Olaf Ziegler

Bernd Pfeiffer, Vorsitzender des Sozialverbands VdK in Herne, sagt, er höre die Botschaft, aber es fehle ihm der Glaube. Dass nach den Vorstellungen von Schulz das Arbeitslosengeld I in Zukunft länger gezahlt werden soll, ehe die Empfänger in Hartz IV fallen, verlagere das Problem lediglich nach hinten.

Pfeiffer weist darauf hin, dass es trotz der boomenden Wirtschaft einen großen Niedriglohnsektor gebe. „Die Menschen kommen zu uns und sagen, dass sie zu wenig Geld haben“, so Pfeiffer. Manche Mitglieder müssten zur Tafel. Der Zusammenhang mit der Agenda 2010 mag vage sein, doch es kommen immer mehr Menschen zum VdK. Und sie werden immer jünger, etwa zwischen 40 und 50 Jahre. Lag der Zuwachs in den zurückliegenden Jahren immer bei etwa 40 bis 50 Neu-Mitgliedern, so stieg die Zahl 2016 um 123. In den Gesprächen stünden Schwerbehinderungen und die Rente - „Komme ich damit aus?“ - im Mittelpunkt. „Wir spüren in den Gesprächen die Unzufriedenheit.“

Steigende Wohnungslosigkeit

Wesentlich deutlicher formuliert es Susanne Wolf, Geschäftsführerin der Schuldnerberatung: „Hartz IV hat der Gesellschaft viel Leid zugefügt, was nicht zurücknehmbar ist. Die wirtschaftlich gute Situation in Deutschland geht auf Kosten einer breiten Bevölkerungsschicht“, so Wolf. Sie macht die Agenda 2010 dafür verantwortlich, dass es in der Gesellschaft eine zunehmende Verelendung, Verrohung und Kälte um sich gegriffen hätten.

Dazu nennt sie Zahlen: In den Jahren 2010 bis 2015 sei die Wohnungslosigkeit bundesweit um rund 35 Prozent gestiegen. Und viele Menschen, denen es noch selbst gut gehe, schauten weg, um das Elend nicht sehen zu müssen.

Bernd Pfeiffer, Vorsitzender des VdK Herne.
Bernd Pfeiffer, Vorsitzender des VdK Herne. © Ralph Bodemer

Hartz IV, so Wolf, sei der Auslöser, der Menschen in die Not treibe. „Wenn jemand eine Arbeit hat und trotzdem Hartz IV bekommt, dann läuft etwas falsch. Man muss von seiner Hände Arbeit leben können.“

Wolf: Wir sehen die Menschen verwelke

Die Einführung des Mindestlohns sieht Wolf ebenso kritisch. Man nehme einem Hungernden erst ein Stück Brot weg, um ihm dann drei Krümel zu überlassen. Dass Martin Schulz eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I vorschlägt, ist für Wolf nicht mehr als Kosmetik. „Dann wird man danach arm.“

Dass es nicht mehr Widerstand gegen Hartz IV gebe, liege daran, dass die Menschen still litten und zu Grunde gingen. „Wir sehen die Menschen verwelken.“

Wolf, die seit Jahren eine unbequeme Mahnerin ist, fragt sich, warum die SPD erst jetzt auf die Idee kommt, Hartz IV zu korrigieren. Doch Korrekturen gehen Wolf nicht weit genug: „Hartz IV muss abgeschafft werden.“