Hattingen. Das 49-Euro-Ticket schadet eher als es nutzt, findet der VER-Chef im Ennepe-Ruhr-Kreis. On-Demand-Busse haben Potenzial – zumindest vereinzelt.

„Könnten wir selbst über das Linienangebot entscheiden, würden nur vier Linien fahren.“ So drastisch formuliert Peter Bökenkötter, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr (VER) die aktuelle Nachfrage. Das Ziel ist aber natürlich das umgekehrte: Der ÖPNV soll attraktiver werden. Allein, die Bedingungen dafür sind derzeit so schlecht wie nie zuvor. Dennoch besteht zumindest für eine Stadt Hoffnung auf Besserung.

„Diese Plan- und Konzeptlosigkeit der Bundespolitik habe ich mir nicht vorstellen können“, sagt Bökenkötter, der seit 31 Jahren für Verkehrsunternehmen arbeitet. Der aktuelle Kurs führe zu großen Problemen, die auf andere noch oben drauf kommen.

Kaum echte Neukunden in Bussen im EN-Kreis

Vor allem die ungeklärte Finanzierung des Deutschlandtickets hängt wie ein Damoklesschwert über Verkehrsbetrieben und dem Kreis mit seinen Kommunen. Schon jetzt fehlen 3,2 Millionen Euro in der VER-Kasse, weil statt der Verbundtarife das 49-Euro-Ticket genutzt wird. Die Zahl echter Bus-Neukunden durch das günstigere Ticket sei aber „homöopathisch“, der Verwaltungsaufwand durch kurze Kündigungszeiten dagegen enorm. Der Bund verspricht zwar Ausgleichszahlungen, die werden aber bei weitem nicht ausreichen. Die Finanzlücke bedroht deshalb die ohnehin klammen Haushalte des Kreises und seiner Städte.

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„So können wir die Verkehrswende und Mobilitätswende nicht schaffen“, ist der VER-Geschäftsführer überzeugt. Dass günstigere Ticket sei richtig, die Herangehensweise aber komplett falsch. „Wir brauchen erst ein gutes Netz und danach ein günstiges Ticket.“ Jetzt aber fehlen wichtige Gelder für den Ausbau des ÖPNV.

Vor allem in ländlichen Bereichen können On-Demand-Busse sinnvoll sein, die nur auf Bestellung kommen.
Vor allem in ländlichen Bereichen können On-Demand-Busse sinnvoll sein, die nur auf Bestellung kommen. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Bis sich beim Öffentlichen Nahverkehr im Ennepe-Ruhr-Kreis grundlegend etwas ändern kann, wird es ohnehin noch Jahre dauern. Denn das ist eine politische Entscheidung, die im Nahverkehrsplan festgezurrt wird. Und der wird 2026 nach dann zehn Jahren erneuert. Dann legt die Politik fest, welche Linien in welcher Taktung bleiben, welche dazukommen, welche wegfallen.

Neue Schnellbus-Linie für Sprockhövel diskutiert

Eine einzelne Linie zu schaffen, sei allerdings nur einen Kreistagsbeschluss entfernt, weiß Bökenkötter. So werde zum Beispiel über eine Schnellbus-Verbindung zwischen Haßlinghausen und dem S-Bahnhof Hagen-Westerbauer diskutiert. Bisher fährt zum Beispiel der SB37 von Hattingen über Haßlinghausen.

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Auch bei einem anderen Modellversuch sieht er Sprockhövel als prädestiniert an: On-Demand-Busse. Heißt: Kleinbusse, die auf Bestellung fahren. „Bürgermeister Glaser fordert das auch immer für Hattingen“, sagt der VER-Chef. Er sieht aber Sprockhövel als geeigneter an. Die Entscheidung fällt auch hier die Politik im Kreis.

Der Versuchsballon für ein solches Modell an den Wochenenden in Ennepetal und Breckerfeld wird gut angenommen. Noch bis Juli läuft das Pilotprojekt. Allerdings sei es nicht für Massentransporte geeignet und spare auch kaum Geld.

Nachfrage nur bei wenigen Buslinien

Ginge es nach der tatsächlichen Nachfrage und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, blieben derzeit nur vier Linien im Kreis übrig, sagt Peter Bökenkötter. Der Nahverkehrsplan orientiere sich aber am Angebot und versuche, ein möglichst gutes zu schaffen. Die Verkehrsbetriebe, z.B. VER und Bogestra, müssen das dann umsetzen.

VER bietet Entlastungen für Fahrer

Die VER sucht händeringend neue Fahrer. Für die Ausbildung neuer Busfahrer dauert zwei Monate. Den nötigen Busführerschein bringen Bewerber bestenfalls bereits mit. Geeignet seien zum Beispiel LKW-Fahrer, die sich eine planbarere Arbeitszeit wünschen, erklärt Sandra Bruns, Sprecherin der VER.

Um die Fahrer und Fahrerinnen zu entlasten, hat die VER inzwischen sieben Gruppen erstellt, mit denen sie in den Dienstplänen persönliche Vorlieben berücksichtigen will – wer fährt lieber vormittags oder abends oder am Wochenende usw. Das soll bei der Vergabe der Schichtdienste berücksichtigt werden.

Auf besonders stressigen und stark frequentierten Linien werden die Fahrer zudem im häufigeren Wechsel eingesetzt und weniger lange am Stück.

Und das fällt aktuell schwer. Bis Ende des Jahres musste die VER die Reduzierung des Fahrplans verlängern. Händeringend sucht der Betrieb nach Personal und konkurriert dabei mit vielen anderen Anbietern, wie Lieferdiensten etc. Allein 180 Gespräche zur Wiedereingliederung nach Krankheit habe man in diesem Jahr geführt, nennt Bökenkötter eine Zahl und den Grund für die Einschränkung des Angebots.

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Zu Krankheitsausfällen – auch durch spürbare Belastungen aufgrund von Respektlosigkeit gegen Busfahrer – kommt eine hohe Zahl von Verrentungen. „Wir können gar nicht so schnell einstellen, wie die Babyboomer in Rente gehen.“ Um personelle Engpässe zu lösen, werden teilweise sogar Mitarbeiter aus der Rente zurückgeholt.

Zumindest sei langsam eine Entspannung in Sachen Krankenstand sichtbar. Im Januar erwartet der VER-Geschäftsführer die volle Besetzungszahl und will so schnell wie möglich zum vollen Fahrplanangebot zurückkehren.