Hattingen/ Witten. Im Swingerclub an der Grenze Hattingen Witten entdecken Schauspieler ihre Scham. Wie der Erlebnisclub zum Theater wurde und welche Hüllen fielen.

„Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesem Event um keine Sexveranstaltung handelt.“ So stand es auf der Homepage des Steinenhaus Erlebnisclubs im Hammertal 2. Das musste mal gesagt werden. Denn ein Theaterstück in einem Swingerclub aufzuführen, ist doch eher außergewöhnlich.

„Creep – Eine Versuchsanordnung zum Phänomen Scham“ heißt das Stück des Theaters „Hausmarke“ und „Ausverkauft“ stand schon länger im Internet. Befremdlich ist diese Kombination nur auf den ersten Blick. Die Symbiose erschließt sich auf den zweiten ganz schnell.

Regisseurin Sandra Anklam nimmt es gerne mit Themen auf, die aufwühlen, nicht kalt lassen, berühren, zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung zwingen. Und das zum Teil so urkomisch, temperamentvoll und frivol, dass man sich nicht entziehen kann.

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„Schuhe tragen Pflicht“ – das Schild hängt im Eingangsbereich des Swingerclubs. „Keine Badelatschen, keine Flip-Flops, kein Barfuß“. Das wird gleich zu Anfang klargestellt. Allerdings haben an diesem Abend die Besucher auch gar keine Absicht, sich zu entblößen. Dicht gedrängt sitzen sie in kleinen Reihen nebeneinander. Nur Schals und Mäntel sind abgelegt. Zwar fallen auch an diesem Abend die Hüllen, aber ausschließlich bei dem einen, männlichen Schauspieler und den zwölf Schauspielerinnen.

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Spannung bringt das Stück gleich zu Beginn. Bei gedämpftem Licht und viel roter Farbe an Decke und Wänden, wie es sich für einen Swingerclub gehört, fliegen bei den Akteuren Jacken, Oberteile und Röcke in die Ecken. Dann stehen sie da, in enger, hautfarbener Kleidung und lassen wortlos die Szenen auf die Zuschauer wirken.

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Theater an ungewöhnlichen Orten

Sandra Anklam arbeitete von 2002 bis 2018 als Theaterpädagogin und Regisseurin am Jungen Schauspielhaus Bochum. Sie inszeniert für verschiedene Theaterhäuser und -festivals im Ruhrgebiet hauptsächlich Formate jenseits von klassischen Theaterräumen: Im Gefängnis Bochum oder in psychiatrischen Kliniken.

Sie wurde bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen mit dem Anti-Stigma-Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ausgezeichnet. Das (bereits ausverkaufte) Stück „Creep – eine Versuchsanordnung zum Phänomen Scham“ wird noch in einem Fitnessstudio und einer Schönheitsklinik aufgeführt.

In dem gesamten Stück geht es um die Suche nach den persönlichen und populären Scham-Momenten. Die 13 Akteure reflektieren, wo und warum ihre Scham anfängt, die aus so unterschiedlichen Gründen aufkommt. Weil sie in einem Lebensbereich versagt haben, zum Beispiel nicht lesen und nicht schreiben können. Was natürlich niemand erfahren darf. Weil wir alle zusehen, wie im Mittelmeer täglich Menschen auf der Flucht ertrinken und kaum jemand aktiv wird, dagegen etwas zu tun.

Weil wir Gedanken haben, die wir kaum zulassen dürfen, die sich aber dennoch nicht verdrängen lassen. Wenn man sich lustvoll vorstellt, dass der Chef einen Gletscher hinunterstürzt und sich im freien Fall zerlegt, wenn man darüber nachdenkt, was man im Leben verpasst hat: an Sexualität, an Höhepunkten jeder Art.

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Schämen kann man sich in vielen Lebensbereichen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Weil man mehr verdient als sein Gegenüber, obwohl man die gleiche Arbeit macht. Es ist ein weites Feld und ein großes Spektrum, das jeder für sich beleuchten kann und sollte. Denn es gibt Aufschluss über das eigene Ich und Anstöße, etwas zu ändern in seinem Leben. Vielleicht auch die eigenen Grenzen zu verschieben, andere als unumstößlich festzulegen.

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Es ist ein packendes, berührendes Stück, das mal laut, mal leise, mal frech, mal lustig die Mauern der Scham aufzeigt und oft einreißt. Ein Theaterabend von Sandra Anklam mit großem Nachklang in Kopf und Seele der Zuschauer.