Hattingen. Eine Infektwelle jagt die nächste. Kinderarztpraxen in Hattingen sind überlaufen. Was Eltern jetzt tun können und wo es auch noch Hilfe gibt.

Die beiden Hattinger Kinderarztpraxen arbeiten seit Wochen am Anschlag. Sie kommen mit den Behandlungen kaum noch hinterher. Eine Infektionswelle folgt auf die andere. Was nun Eltern tun können und welche Ärzte es in der Umgebung noch gibt.

In Hattinger Kinderarztpraxen sind Überstunden an der Tagesordnung

Unter welchem Druck die Praxen von Dr. Antje Erencin und Dr. Nina Brockhaus/Sabine Backendorf stehen, zeigt sich schon daran, dass keine der Medizinerinnen Zeit für ein Gespräch mit der Redaktion hat. Behandlungen gehen vor. Zudem wird in Mittagspausen durchgearbeitet, Überstunden sind üblich, heißt es. Es ist wohl auch eher ein Zufall, den Obmann für die Kinderärzte im Bezirk EN-Kreis/Hagen ans Telefon zu bekommen. Dr. Till Rümenapf aus Ennepetal weiß um die Belastung, erlebt sie selbst jeden Tag.

Die Ursache liegt für ihn klar auf der Hand: „Es kommt momentan vieles zusammen. Wir haben es mit einer Grippewelle zu tun. Zudem grassiert der gerade für Kleinkinder so gefährliche RS-Virus und auch Corona ist noch längst nicht vergessen“. Magen-Darm sei ebenfalls an der Tagesordnung. Da verwundere es wohl kaum, dass die Praxen massiv unter Druck stehen.

Beim Schnuppen nicht unbedingt zum Arzt

Eltern sollten sich allerdings überlegen, ob ein Arztbesuch auch wirklich erforderlich ist, erklärt der Obmann, beispielsweise im Fall eines Schnupfens. Seit Corona seien allerdings viele Familien alarmiert und wollten lieber auf Nummer sicher gehen. Dafür hätten natürlich die Ärzte grundsätzlich Verständnis.

Mangel an Kinderärzten

Die jetzige Überlastung der Praxen zeigt nach Ansicht von Rümenapf, dass es an Kinderärzten fehle. Im gesamten EN-Kreis gibt es … und damit besteht nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe sogar noch ein leichter Überhang.

Der Berechnungsschlüssel für die Anzahl der zugelassenen Kinderärzte, der sich auf Kreise und kreisfreie Städte bezieht, sei aber über Jahrzehnte nicht verändert worden, betont der Obmann. Die Aufgaben der Praxen hätten sich aber vervielfacht.

Die Zahl der vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen für jedes einzelne Kind habe sich beispielsweise mehr als verdoppelt, von sechs auf 13. „Viele Krankheitsbilder wie Übergewicht oder Entwicklungsstörungen bedürfen langwierigen und aufwendigen Behandlungen“. Das müsse entsprechend Beachtung finden sowohl in der Summe der Praxen als auch in deren Gesamtbudget.

Derweil meldet auch die eine oder andere Kita, dass die Zahl der kranken Kinder steigt. Angelika Arend vom Ev. Kita-Verbund hat da eine dringende Bitte: „Es wäre schön, wenn Eltern ihre kranken Kinder einfach nicht mehr in die Kita schicken – auch dann, wenn es kein Corona ist“. 24 bis 48 Stunden nach Abklingen der Symptome solle man sein Kind noch zu Hause lassen. Grundschulen erleben es, dass Eltern die Situation morgens nicht richtig einschätzen, das Kind losschicken und es dann im Laufe des Tages wieder abholen müssen.

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Der Chef der auch für Hattingen zuständigen Kinderklinik in Witten, Dr. Bahman Gharavi, sagt wiederum klipp und klar: „Die Infektionen können verhindert werden, wenn auf soziale Kontakte verzichtet wird. Wo dies möglich ist, kann auch durch regelmäßige Desinfektion der Hände oder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko der Übertragung des Virus verringert werden.“

Mediziner kommen mit Vorsorgeuntersuchungen kaum nach

Die Fristen bei den Vorsorgeuntersuchungen einzuhalten, ist den meisten Kinderärzten derzeit kaum möglich.
Die Fristen bei den Vorsorgeuntersuchungen einzuhalten, ist den meisten Kinderärzten derzeit kaum möglich. © picture alliance / Frank May/dpa | Frank May

Viele Kinderärzte fragen sich momentan aber nicht nur, so Obmann Rümenapf, wie sie all die akuten Fälle behandeln sollen. Auch bei den Vorsorgeuntersuchungen geraten Praxen immer stärker ins Hintertreffen. Dabei habe doch gerade die Pandemie gezeigt, wohin es führe, wenn die Untersuchungen unter den Tisch fallen. Eltern haben monatelang den Besuch aus Angst vor einer Infektion gescheut. Da bestehe nämlich die Gefahr, dass die Vorsorge auf der Strecke bleibe, betont Rümenapf.

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Ein Verschieben der Vorsorgetermine sei unangebracht und wenig zielführend. Sie sollen nun mal aus medizinischen Gründen in einem bestimmten Zeitraum stattfinden, so der Mediziner. Überdies sei es angesichts des Ansturms auf die Praxen ohnehin kaum möglich, in absehbarer Zeit einen freien Termin zu finden.

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Der Kinderschutzbund in Hattingen weiß um die Engpässe in den Kinderarztpraxen, hört aber von Eltern, dass das gesamte Personal versuche, den Familien zu Situation zu erklären. Angesichts der geringen Anzahl von Medizinern würden Eltern verstärkt auch auf Praxen in den Nachbarstädten ausweichen.

Hier eine Auswahl aus umliegenden Städten, der Angaben des Portals der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und Rheinland zugrunde liegen.

Bochum: Tobias Englert, Kesterkamp 11, 0234/492521, Bettina Henschel/Roland Strodka, Hattinger Str. 777, 0234/9490333, Ayse Celik, Markstr. 406, 0234/43959, Gediz Taskaya, Hattinger Str. 393, 0234/37737, www.kinderarzt-taskaya.de.

Essen: Dirk Conrad/Jan Hellwig, Mölleneystr. 28 0201/585060, Mark David Arhelger, Hofstr. 0201/486026 oderm -27, Bozena Friedek-Chrobot, Kaiser-Otto-Platz 9, 0201/519393.

Velbert: Renata Schnering-Mkadmi, Hauptstr. 108, 02052/962137.

Gevelsberg: Ursula Wagner, Mittelstraße 64, 02332/2541, www.Kinderärztin-Gevelsberg.de

Sprockhövel: Dr. Lars Beck, Mittelstr. 11a, 02339/1219770 praxis-beck@web.de, Dr. Anke Zwilling, Kirchplatz 1, 02324/78947.

Schwelm: Swetlana und Waldemar Zeiser, Schulstr. 1, 02336/7900, w.zeiser@nexgo.de, Michael Lehr, Wilhelmstr. 2-4, 02336/16606.

Witten: Sigrid Jungbluth-Opota, Sabine Peters, Wittener Str. 4, 02302/973600, www.rathausdermedizin.de, Dörte Hilgard, Dimitrios Papadimitriou, Bahnhofstr. 54, 02302/56030, 0171/9582613, www.kiju-hilgard.de, Kyra Menz-von Studnitz, Bahnhofstr. 35, 02302/59234, www.kinderarztpraxis-menz.de, Lucyna Psonka, Wiesenstr. 12, 02302/52826, Dimitra Giannikopoulou, Marienplatz 2, www.kinderkardiologe.de, Theodora Polichronidou, Ardeystr. 105, 02302/53237, info@ka-witten.de