Hattingen. Nach ihrem Sturz von der Brücke ist Lea (20) aus Hattingen nur knapp dem Tod entkommen. Wie sie sich zurückkämpft und anderen Menschen Mut macht.

Sie wollte sich das Leben nehmen und ist dem Tod nur knapp entkommen. Jetzt hat Lea (20) neuen Mut gefasst, kämpft sich zurück. Die Geschichte von einer jungen Frau, die auf dem Oberarm ein Tattoo in EKG-ähnlicher Schrift trägt mit einem Wort: „unzerbrechlich“.

Die Depressionen der Hattingerin begannen schon im Alter von 13

Im jungen Alter von 13 hat die Hattingerin schon ihre ersten Depressionen. Sie beginnt mit Gesprächstherapien, doch die dunklen Gedanken wollten nicht weichen – jahrelang. Eine Beziehung machte alles nur noch schlimmer und erst recht die Psychopharmaka, die man ihr verschreibt.

Am Aschermittwoch 2019 stürzt sie sich von einer Brücke, nicht zum ersten Mal hatte sie dort gestanden, was auch ihre Eltern wussten. Die Mutter hatte schon eine Ahnung, als ihre Tochter nicht ans Handy ging und fand sie schließlich reglos, aber nicht leblos, vor. Das ließ die Familie hoffen – trotz der zig gebrochenen Knochen und des zertrümmerten Gesichts.

Eltern aus Hattingen erleben ein Wechselbad der Gefühle

Dann aber beginnt, wie der Vater es formuliert, „die Hölle“. Die Ärzte sagen, Lea werde nicht überleben, das Gehirn sei zu sehr geschädigt. „Wir haben schon von ihr am Krankenbett Abschied genommen“. Als eine MRT-Untersuchung zum Ergebnis hat, Lea habe sehr wohl Chancen, kann es die Familie kaum fassen. Von nun an geht’s bergauf, wenn auch in kleinen Schritten.

Blog und Videoclips

Physio- und Gesprächstherapien gehören weiterhin zum Alltag von Lea, die noch nicht ganz ohne Rollstuhl auskommt.

Ihr Blog hat die Adresse unzerbrechlich.me, auf Youtube findet man sie unter ihrem Namen Leas Scherer.

„Der Tag, der mein Leben veränderte“ von Tim Pröse ist im Heyne-Verlag erschienen, hat 256 Seiten und kostet 20 Euro.

Rund vier Monate verbringt sie in Krankenhäusern, eine OP folgt auf die nächste. Eine Reha schließt sich an. Lea muss das Gehen wieder lernen, wobei das rechte Bein für immer gelähmt bleiben wird. Ihren linken Unterarm musste man ihr abnehmen, um eine Blutvergiftung zu verhindern. Heute trägt sie eine Prothese. Auf die Handhabe ist sie ein wenig stolz.

Ihre ersten Worte rühren den Vater zu Tränen

Die häufig gestellte Frage, ob der künstliche Ersatz elektronisch gesteuert werde, beantwortet die junge Frau mit einem klaren Nein. Für den Betrieb ist zwar ein Stromakku erforderlich, aber die Prothese selbst funktioniert mit Impulsen der Muskeln. Tränen in den Augen hat der Vater, als seine Tochter erstmals wieder spricht, aber das längst nicht wie sonst. Weil die Ärzte einen Luftröhrenschnitt gesetzt haben, kommt nun – und vorübergehend- eine Sprechkanüle zum Einsatz. Ihr „Hallo“ sorgt bei der Familie für bewegende Momente.

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Vater, Mutter, Bruder, Großeltern, sie alle sind ihr fester Anker. Neue Energie tankt die Hattingerin, wenn sie singt. „Das war schon zu Kinderzeiten meine große Leidenschaft“. Gern ist sie dabei auch allein. Mittlerweile machen sich Tochter und Vater gern mal in ein Gemeindehaus auf, um mit Instrumenten Songs von Heinz Rudolf Kunze zu interpretieren, denn beide sind große Fans des Sängers und Liedermachers.

Die Familie steht fest an Leas Seite: Vater Ralf (53), Mutter Anna (52) und Bruder Lukas (24).
Die Familie steht fest an Leas Seite: Vater Ralf (53), Mutter Anna (52) und Bruder Lukas (24). © Scherer

Bestseller-Autor widmet Lea in seinem neuen Buch ein eigenes Kapitel

Spiegel-Bestseller-Autor Tim Pröse bei einer Lesung in Essen, als er sein Buch „Der Tag, der mein Leben veränderte“ vorstellte.
Spiegel-Bestseller-Autor Tim Pröse bei einer Lesung in Essen, als er sein Buch „Der Tag, der mein Leben veränderte“ vorstellte. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Was nach dem Besuch eines Konzertes des Musikers ins Dinslaken geschah, findet Lea auch heute noch überwältigend. Der Bestseller Autor Tim Pröse saß hinter ihr und sprach sie nachher an, was mit ihr, im Rollstuhl sitzend, geschehen sei. Nun gehört Lea gemeinsam mit Stars wie Mario Adorf, Udo Lindenberg oder Jan Fedder zu den Menschen, denen der Autor in seinem neuen Buch ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Der Titel lautet: „Der Tag, der mein Leben veränderte“.

Backstage-Treffen mit dem Sänger und Liedermacher Heinz Rudolf Kunze

Tim Pröse vermittelte ihr schließlich sogar eine Backstage-Begegnung mit ihrem Idol Heinz Rudolf Kunze. „Als ich davon erfuhr, konnte ich es kaum glauben“. Das Treffen hat sie tief beeindruckt, sie sprach mit dem Künstler eben nicht nur über Musik, sondern auch über Persönliches.

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Sie selbst besucht heute das Berufskolleg, will das Fachabi absolvieren im nächsten Sommer. Das Lernen bereitet ihr große Freude. Inzwischen hat die Schülerin nicht nur ein Berufsziel, sondern auch schon eine Ausbildungsstelle sicher, nämlich als Hotelfachfrau im Wittener Ardey-Hotel, einem Integrationsbetrieb.

Lea spricht im Blog und Videoclips offen über ihr Leben

Fast ebenso wichtig, beruflich Fuß zu fassen, ist es Lea, anderen Menschen Mut zu machen. Sie hat mit einem eigenen Blog begonnen und stellt regelmäßig auf dem Youtube-Kanal Videos ins Netz. In den Clips erzählt sie ihre Geschichte, aber nicht nur. Sie spricht auch über das, was ihr Freude macht und Halt gibt. In den Kommentaren kommt Lob und Bewunderung zum Ausdruck, wie offen sie über ihr Leben rede und dass sie sich nicht unterkriegen lassen soll. Jeder einzelne Post hilft ihr in Momenten, wenn Zweifel an dem Tattoo in ihr hochsteigen. Die Bedenken sind dann recht schnell beiseite gewischt.

Anmerkung der Redaktion

Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800 111-0-111 und 0800 111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.