Hattingen. Während Seniorenheime hoffnungsvoll auf die angekündigte dritte Impfung blicken, sind Mediziner skeptisch. So ist das Stimmungsbild in Hattingen.

Hochbetagte, Pflegebedürftige und Immungeschwächte sollen ab September eine dritte Corona-Impfung, eine sogenannten Booster-Impfung, bekommen. So hat es die Gesundheitsministerkonferenz Anfang August beschlossen. Betreffen wird das wohl in größten Teilen die Bewohner von Pflegeheimen. Und dort werden die Pikse zur Auffrischung auch sehnlichst erwartet.

Auch interessant

Keinen erneuten Ausbruch riskieren

„Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, die uns empfohlen werden, um die Bewohner zu schützen“, erläutert Hubert Röser, Pressesprecher der Theresia-Albers-Stiftung. In deren beiden Hattinger Heimen hatte das Coronavirus im Winter zu vielen Todesfällen geführt, am schlimmsten war der Ausbruch in St. Josef.

„Das war sehr belastend, natürlich für die Bewohner, aber auch für die Mitarbeiter“, führt Röser weiter aus. So etwas wolle niemand ein zweites Mal erleben. Auf die Drittimpfung blicken die Heime daher hoffnungsvoll, verheißt sie doch besseren Schutz für besonders gefährdete Personengruppen. „Wir sind keine Virologen, wir müssen auf den Rat der Wissenschaft hören“, betont Röser.

Kritischer Blick auf Nachimpfung ohne Antikörpermessung

Die allerdings streitet noch über die dritte Impfung. Bisher ist es lediglich ein politischer Wille, betont der Hattinger Hausarzt Dr. Willi Martmöller. „Es gibt ja nicht eine einzige Empfehlung der Ständigen Impfkommission“, gibt der Mediziner zu bedenken und bezweifelt auch die Sinnhaftigkeit einer pauschalen dritten Impfung, ohne dass Antikörper im Blut gemessen werden. „Einfach nachzuimpfen, ist eine merkwürdige Einstellung. Das ist Blindschießen.“

Zugleich ist Martmöller aber nicht grundsätzlich gegen die Auffrischungsimpfung: „Wir haben ja die Daten aus Israel“, verweist der Hausarzt auf das Land, in dem Drittimpfungen bereits angelaufen sind. Diese und weitere werde die Stiko wohl auswerten und irgendwann eine Empfehlung aussprechen: Ob geboostert wird, wer geboostert wird, wann geboostert wird.

Fraglich ist derzeit allerdings, inwieweit die Politik dies berücksichtigt. Auch die Impfungen der Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren laufen schließlich derzeit ohne Stiko-Empfehlung.

Pläne zur Umsetzung einer dritten Impfung fehlen noch

Ohnehin fehlen aktuell noch detailliertere Pläne zur dritten Impfung. Etwa darüber, welche Rolle die Impfzentren spielen werden. Zu Beginn der Impfungen in den Pflegeeinrichtungen wurden mobile Impfteams von dort aus entsandt, um die Bewohner zu impfen. Doch im Juni hatte das NRW-Gesundheitsministerium verkündet, dass sämtliche Impfzentren des Landes zum 30. September schließen sollen.

Auch interessant

Wie also wird das Impfen in den Heimen organisiert? „Wir warten auf nähere Informationen seitens der Behörde“, verrät Hubert Röser von der Theresia-Albers-Stiftung. Bislang aber sei in dieser Hinsicht nichts vom Gesundheitsamt gekommen.

Hausärzte sind bereit – Kapazitäten und Impfstoff sind da

Das bestätigt auch eine Rückfrage beim Ennepe-Ruhr-Kreis. Bislang gebe es keine Vorgaben vom Gesundheitsministerium, weder was den zeitlichen Ablauf betrifft, noch inwiefern der Kreis an der Organisation beteiligt sein wird.

Die beiden Kassenärztlichen Vereinigungen in NRW verweisen indes auf die niedergelassenen Ärzte, die für die dritte Impfung bereitstünden. In der Tat, erläutert auch Hausarzt Dr. Willi Martmöller, könnten die Hausärzte eine dritte Impfung stemmen – Kapazitäten und Impfstoff sind da.

Noch fehlen auch Zweitimpfungen

Während die besonders gefährdeten Personengruppen nun mit einer Drittimpfung vor einer neuen Corona-Welle geschützt werden sollen, sieht Hausarzt Dr. Willi Martmöller noch ein anderes Problem: Bislang haben noch gar nicht alle grundsätzlich Impfwilligen ihre zweite Impfung erhalten.

Die Bereitschaft dazu ist mit fallenden Inzidenzwerten gesunken. „Man hat sich doch sehr daran hochgezogen“, beobachtet der Mediziner mit Unbehagen. Zuletzt sei sogar Impfstoff verfallen, weil Patienten nicht zum Zweittermin erschienen waren.