Hattingen. Jahrelang hat Alkohol das Leben von Roger Schenke aus Hattingen bestimmt, dann veränderte ein Tag vor zehn Jahren alles. Schenkes Geschichte:
Wie er geworden ist, was er war, das weiß Roger Schenke nicht mehr genau, nur, dass er zunehmend mehr angewiesen war auf Alkohol, zunehmend mehr getrunken hat. Bis ein Tag vor nunmehr zehn Jahren alles veränderte, der Hattinger den Weg von der Droge weg hin zu einem Leben als „zufriedener trockener Alkoholiker“ fand. Es ist dies eine Geschichte, mit der der Leiter einer Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes anderen Betroffenen Mut machen möchte auf ihrem Weg raus aus der Sucht; und warnen will vor einer Droge, die hierzulande vielfach unterschätzt wird.
Er nahm den Alkohol zunächst nicht ernst genug
Alkohol, das Suchtmittel Nummer eins
„Das Suchtmittel Nummer eins“ nennt Roger Schenke Alkohol. Zu kaufen sei es in Deutschland aber wie ein ganz gewöhnliches Lebensmittel - und noch nicht einmal ein besonders teures, kritisiert er. Auch ein Warnhinweis vor der großen Suchtgefahr fehle.Und Schenke fügt hinzu: Nicht nur, dass zwölf Prozent aller Menschen, die Alkohol trinken, ihren Konsum irgendwann nicht mehr steuern könnten, Alkoholkonsum habe auch wirtschaftlich milliardenteure Schäden zur Folge - etwa durch unter Alkoholkonsum verursachte Unfälle, Arbeitsausfälle infolge von Alkoholsucht, die Therapie Alkoholkranker.
Auch Roger Schenke nahm den Alkohol zunächst nicht ernst genug. Mal hier ein Bier, mal dort ein Jägermeister: Für den heute 64-Jährigen war Trinken über Jahre ein Stück weit verknüpft mit Entspannung, Abschalten von beruflichen und privaten Belastungen. Heute weiß der frühere Zahntechnikermeister: „Wenn man Alkohol als Mittel einsetzt, um runterzukommen, dann wird es schon kritisch.“ Er selbst habe seine Dosis dabei „über Jahre“ gesteigert, irgendwann, sagt er, sei er erst bei einem Pegel von 1,5 Promille im Normalmodus gewesen. „Ich habe mir dann viele Situationen geschaffen, um zu trinken“, sagt der Hattinger. „Ich wollte das Wohlgefühl, das der Alkohol mir verschafft hat, immer wieder haben.“
Sein Umfeld, die frühere Partnerin, die zwei inzwischen erwachsenen Kinder, die Arbeitskollegen: Sie alle bekamen von Roger Schenkes schleichendem Abrutschen in die Sucht zunächst nichts mit, zumal der Hattinger für seine Droge geschickt Verstecke fand, oft heimlich trank. Und dazu noch lange Zeit körperlich voll fit zu sein schien.
Im tiefsten Innern gemerkt, wie er körperlich durch den Alkohol verfiel
Irgendwann, sagt er, habe er dann Bluthochdruck bekommen, Betablocker einnehmen müssen und im tiefsten Innern gemerkt, wie er körperlich durch den Alkohol mehr und mehr verfiel. Doch erst, als er in der Nacht des 6. März 2011 plötzlich schweißgebadet in seinem Bett aufwachte und sich in diesem erbärmlichen Zustand im Spiegel sah, sei er derart erschrocken über sich selbst gewesen, „dass ich wusste: Wenn ich wirklich leben will, dann muss ich ab sofort etwas ändern.“
Am nächsten Morgen saß er einem Suchtberater der Caritas gegenüber, der ihm empfahl, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen und eine Langzeittherapie zu machen.
Auf den Rat jenes Experten hin und nach einer qualifizierten Entgiftung im Krankenhaus verbrachte er drei Monate in einer geschlossenen Einrichtung für Suchtkranke im Sauerland. „Das war eine der besten Zeiten meines Lebens“, sagt er heute, „weil ich drei Monate Zeit hatte, mich selbst kennenzulernen und mich erstmals ungeschönt gefragt habe, wer ich eigentlich bin und was für mich wirklich wichtig ist im Leben.“
Ehrlich mit sich sein
Derart ehrlich mit sich zu sein, anstatt Alkohol als Mittel zur Flucht aus der Realität einzusetzen, das vermittelt er heute auch Betroffenen, die den Weg in seine Hattinger Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes finden, eine Helfergemeinschaft der Caritas für Alkohol- und Medikamentenabhängige sowie deren Angehörige. Und Roger Schenke, heute Dozent bei einem Bildungsträger in der Region, sagt nicht nur Alkoholkranken, dass jeder, der den Weg aus der Sucht schafft, stolz darauf sein könne.
Für den 64-Jährigen ist Alkohol im Alltag ansonsten kein Thema mehr, trotz allem hat ihn seine Vergangenheit aber nicht per se zu einem Alkohol-Verteufler gemacht. So etwa hat er für Freunde bei Feiern bei sich zu Hause in Winz-Baak durchaus das ein oder andere Bier vorrätig, in Versuchung, dieses selbst zu trinken, bringe ihn das nicht. Jeder müsse hier indes seinen eigenen Weg finden, betont Schenke.
Das Suchtgedächtnis vergisst nie
Wobei eines klar sei: Als trockener Alkoholiker dürfe man nie auch nur einen winzigen Tropfen Alkohol trinken, die Gefahr eines Rückfalles sei viel zu groß. „Denn das Suchtgedächtnis vergisst nie.“