Hattingen. Bei Al-Anon sprechen Betroffene anonym über ihre Erlebnisse mit der Sucht eines Familienmitgliedes. Und lernen, gegenüber dem Alkohol zu kapitulieren.

Jedes Treffen beginnt mit: Vorlesen. Satz für Satz tragen die Mitglieder der Selbsthilfegruppe Al-Anon ein-ander die Präambel vor, die sich ihre Gemeinschaft gegeben hat, danach das „Zwölf-Schritte-Programm“ und den „Spruch des Tages“. Gedanken, Leitsätze sind das, die Angehörigen von Alkoholkranken helfen sollen, ihr eigenes Leben besser bewältigen zu können.

Dies haben auch die sechs Frauen, die hier und heute im Café Sprungbrett zusammensitzen, mit der Zeit erst wieder lernen müssen. Denn wenngleich sie selbst nie ein Alkohol-Problem hatten, so hat die legale Droge doch ihrer aller Alltag lange Zeit maßgeblich mitbestimmt. Alkoholismus, betont Brigitte (65), sei eben „eine Familienkrankheit“; Angehörige von Alkoholikern seien co-abhängig.

Sie und die anderen in dieser Runde – die älteste ist inzwischen bereits 87 – kennen dabei alle das Gefühl, (mit)-schuldig zu sein daran, dass der Lebenspartner oder das eigene Kind irgendwann nicht mehr auskommen konnte ohne Alkohol. Und noch heute, da ihre alkoholkranken Angehörigen fast ausnahmslos und schon seit Jahren trocken sind, bestärken sie sich regelmäßig, dass nicht sie verantwortlich sind für die Sucht: „Ich brauche nicht die Schuld für unvernünftige Handlungen eines anderen auf mich zu nehmen . . .“ , so steht’s in ihrem Al-Anon-Büchlein.

Es gebe bei Al-Anon zwar „kein Rezept gegen die Sucht“, betont Brigitte (65). Aber im Laufe der Zeit könne mit Hilfe der Gruppe (die weder an eine Institution noch an irgendeine Konfession gebunden ist) die Erkenntnis reifen, dass eine veränderte Einstellung der Familienmitglieder zueinander eine Genesung von der Alkoholsucht oder zumindest eine Besserung dieser fördern kann. Das Zwölf-Punkte-Programm, an dem sich jede lokale arbeitende Gruppe der ursprünglich in den USA entstandenen Al-Anon-Gemeinschaft orientiert, gibt auf dem Weg dorthin die Richtung vor: Dass die Anonymität eines jeden Betroffenen in der Gemeinschaft gewahrt bleibt, ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Arbeit in der Gruppe, die Kapitulation vor dem Alkohol – also die Anerkennung, diesem gegenüber machtlos zu sein – ein weiterer.

In der Al-Anon könne sie stets „frei sprechen, hier fühle ich mich verstanden“, fasst Bärbel (66) in Worte, wie der Austausch darüber, was eine Alkoholerkrankung des (Ex)-Partners so alles mit sich bringt, einem Halt geben kann. „Und dies, ohne dass wir uns in unseren Gefühlen oder Handlungen bewerten oder gar Ratschläge erteilen“, fügt Christa (73) hinzu.

Zum Abschied fassen die sechs Frauen einander an den Händen und sprechen das bekannte Gelassenheitsgebet: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann . . .“ Und dann wünschen sie sich: „Schöne 24 Stunden!“

Jedes Mal von Neuem.