Hattingen. Als erste von 79 Industrie- und Handelskammern kündigt die für Hattingen zuständige IHK ihre Mitgliedschaft im Dachverband. Sie fordert Reformen.

Die IHK Mittleres Ruhrgebiet verlässt den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Schriftlich haben das Präsidium mit IHK-Chef Wilfried Neuhaus-Galladé an der Spitze und Hauptgeschäftsführer Eric Weik gegenüber dem bundesweiten Dachverband die Kündigung ausgesprochen. Diese wird Ende 2021 wirksam.

Einstimmig hatte zuvor das Präsidium und die Vollversammlung der IHK Mittleres Ruhrgebiet, die die Städte Bochum, Herne, Hattingen und Witten abdeckt, den Austritt aus dem DIHK beschlossen. Ihm wird mangelnder Reformwille und ein "Eigenleben" jenseits der Interessen der 79 Mitgliedskammern vorgeworfen. "Ich persönlich fühle mich nicht repräsentiert durch den DIHK", sagt Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Und so sehen es offenbar alle Mitglieder der Vollversammlung. Sie ist das höchste Gremium der Kammer und entscheidet in allen wichtigen Fragen.

Klage eines Windunternehmers

Angeregt hat den Austritt aus dem Bundesverband ein Kammermitglied. Dieses hatte den Antrag an die Vollversammlung gerichtet, den als Verein organisierten DIHK zu verlassen. Der Auslöser dafür ist das erzwungene Ausscheren eines der größten DIHK-Mitglieder, der IHK Nordwestfalen mit Sitz in Münster. "Diese Kammer ist siebenmal so groß wie unsere", so IHK-Chef Weik zur Erklärung. Ohne die Mitgliedsbeiträge aus Münster müssen alle anderen Mitglieder größere Beiträge an den DIHK abführen. Das ist ein Grund dafür, das nun auch Bochum austritt.

"Aber es ist nicht der wichtigste Grund", versichert Weik. "Wir haben uns bemüht, uns neu auszurichten und orientieren uns konsequent an den Wünschen unserer Mitglieder." Diese Haltung wünschen sie sich im mittleren Ruhrgebiet auch vom DIHK, der -- wie es heißt -- sich längst von seiner ursprünglichen Aufgabe als Sprachrohr der Wirtschaft entfernt und ein Eigenleben entwickelt habe.

Kaum ein Nachteil durch den Austritt

Als der Dachverband, konfrontiert mit der wachsenden Kritik, in einer Präsentation sein Aufgaben- und Leistungsspektrum vorgestellt habe, sei das Urteil in Präsidium und Vollversammlung der IHK eindeutig ausgefallen: "Durch einen Austritt haben wir so gut wie keine Nachteile", so Weik. Wohl aber hoffen sie in Bochum und Umgebung, dass ein Umdenken beim DIHK einsetzt und "dass er sich an Recht und Gesetz hält", so Weik.

An Gesetzestreue lässt es der DIHK -- so ein höchstrichterliches Urteil -- fehlen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat im Oktober entschieden, dass die IHK Nordwestfalen aus dem DIHK austreten muss, da dieser regelmäßig seine Kompetenzen überschritten habe und Wiederholungsgefahr bestehe. Erstritten hat dieses Urteil Thomas Siepelmeyer, Chef der Windenergie-Firma Davertwind in Münster-Hiltrup. Er hatte auch schon 2016 für ein Urteil des höchsten Verwaltungsgerichts gekämpft. Damals hieß es, ein IHK-Pflichtmitglied könne den Austritt seiner Kammer verlangen, wenn sich der DIHK allgemeinpolitisch betätigt und die Gefahr einer künftigen Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen bestehe. Der Windunternehmer hatte sich über unausgewogene politische Äußerungen des DIHK empört -- in Sachen Windkraft, aber auch wegen außenpolitischer Themen, die nach seiner Meinung nicht in den Kompetenzbereich eines Wirtschaftsverbandes fallen.

Lob von den freien Kammern

Münster muss also Ende 2021 den DIHK verlassen, Bochum wird ihn verlassen. Und nach Auskunft des Bundesverbandes für freie Kammern (BFFK), erwägen auch andere IHK's diesen Schritt. Für die Entscheidung zum Austritt zollt der BFFK der IHK Mittleres Ruhrgebiet, die sonst schon mehrfach hart von dem Verband kritisiert wurde, großes Lob. Die Rede ist von einem "mutigen Signal", so BFFK-Geschäftsführer Kai Böddinghaus. "Diese Entscheidung verdient Respekt, ist doch diese IHK die erste, die ohne konkreten Druck einer anhängigen Klage im Bemühen um eine selbstbestimmte Neuausrichtung diese Entscheidung getroffen hat."

Ein Hintertürchen lässt sich Bochum noch offen. Sollte beim DIHK ein echter Reformprozess einsetzen, könne die Kündigung revidiert werden, so Hauptgeschäftsführer Weik.

IHK manifestiert Reform in ihrer Satzung

Bedauerlich sei, so der IHK-Chef, dass durch diese Nachricht vom Austritt eine aus seiner Sicht viel wichtigere Botschaft in den Hintergrund rücke. Entschieden habe die Vollversammlung der IHK Mittleres Ruhrgebiet nämlich auch, die vor drei Jahren vorgenommene Reform der Kammer nun auch in der Satzung zu manifestieren. "Das ist ein Riesenschritt von grundlegender Bedeutung", frohlockt der Hauptgeschäftsführer, der die Modernisierung der Kammer initiiert und wesentlich vorangetrieben hat. Ins gleiche Horn stößt der Ende 2021 aus dem Amt scheidende IHK-Präsident Wilfried Neuhaus-Galladé. Die Neuausrichtung diene allein dem Zweck, einen Mehrwert für die Mitgliedsunternehmen zu schaffen.