Bochum. Schwere Vorwürfe erhebt der Bundesverband für freie Kammern gegen die IHK in Bochum. Von Betrug ist die Rede. Es geht um Beiträge und Rücklagen.

Zu hohe Rücklagen, zu hohe Beiträge. Alles in allem knöpft die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet mit Sitz in Bochum ihren mehr als 30.000 Mitgliedern seit Jahren zu viel Geld ab. Diesen Vorwurf erhebt der Bundesverband für freie Kammern (BffK), eine Vereinigung von Firmen, Handwerkern, Freiberuflern und Pflegekräften, die den Kammerzwang ablehnen. Bestätigt sieht er sich durch die Rechtsprechung.

4000 Euro habe ein IHK-Mitglied im Vorjahr erstritten, so die BffK. Damals habe die IHK Mittleres Ruhrgebiet bei einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch im Gerichtssaal einen Beitragsbescheid aufgehoben. „Von dieser Einzelfallentscheidung aber hat die Masse der IHK-Mitglieder nichts. Denn diese wurden und werden von einer offenkundig skrupellosen IHK-Führung weiter zur Kasse gebeten“, so der Vorwurf von BffK-Geschäftsführer Kai Boeddinghaus.

IHK-Chef Weik weist Kritik zurück

„Die Vorwürfe sind haltlos und unzutreffend“, kontert Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Der BffK stelle ein völlig falsches Bild dar und sei nicht an einer Kritik interessiert. „Der BffK will die Kammern zerstören“, so Weik. Im übrigen halte sich seine Kammer bei der Beitragsveranlagung und Bildung von Rücklagen an die gesetzlichen Bestimmungen.

Indes: Schon 2015 habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die IHK Mittleres Ruhrgebiet eine rechtswidrige Rücklagenbildung für die Jahre 2013 und 2016 vorgenommen habe und damit sei „auch die Festsetzung der Mitgliedsbeiträge für die Klägerin für diese Jahre rechtswidrig“, argumentiert der BffK. 2013 habe die Liquiditätsrücklage einen Beitrag von 14,2 Millionen Euro erreicht und mehr als 50 Prozent der geplanten Aufwendungen ausgemacht. Drei Jahre später hätten Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage trotz einer geplanten Entnahme immer noch etwa 43 Prozent der geplanten Aufwendungen erreicht. Ende 2019 hatte die IHK nach eigenen Angaben Rücklagen in Höhe von 7,05 Millionen Euro, davon knapp die Hälfte für die Instandhaltung von Gebäuden.

BffK verweist auf Bundesverwaltungsgericht

Geld, das in dieser Höhe nicht vorgehalten werden müsse und vor dem Hintergrund, dass die Mitglieder es über ihre Beiträge aufbringen, auch nicht vorgehalten werden dürfe, so Kritiker und Kläger aus den eigenen Reihen der IHK sowie die BffK. Etwa zwei Millionen Euro, so schätzt der BffK-Geschäftsführer, müsste die Kammer an ihre Mitglieder zurückzahlen.

Etwa die Hälfte aller Mitgliedsbetriebe bezahlt Beiträge

Durchschnittlich 462 Euro im Jahr (2018) als Mitgliedsbeitrag verlangt die IHK Mittleres Ruhrgebiet von den zahlenden Unternehmen. Damit steht es auf Platz 23 der insgesamt 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland. Die Spannweite reicht von 179 Euro (Hannover) bis 780 Euro (Bremen).

Der Mitgliedsbeitrag im Mittleren Ruhrgebiet ist damit zwar deutlich höher als noch 2013 (412 Euro). Damals aber waren aber nur zehn andere Kammern teurer für ihre Mitglieder. Nach einer deutlichen Beitragssenkung 2014 auf 351 Euro ist die Mitgliedschaft in der IHK danach wieder teurer geworden.

Von den mehr als 30.000 Mitgliedern waren im Jahr 2018 insgesamt 14.144 beitragspflichtig. Ein Jahr zuvor waren es noch 9783.

Die Gesamterträge der IHK Mittleres Ruhrgebiet 2018 beliefen sich auf etwa 12,5 Millionen Euro.

Stattdessen verlange sie ihnen – „in Kenntnis der Rechtslage“ – weiterhin zu hohe Beiträge ab. „Wir halten dieses Verhalten der IHK, das leider auch in vielen anderen IHK-Bezirken zu beobachten ist, für geradezu betrügerisch“, so Kai Boeddinghaus vom BffK. Nur in Einzelfällen würden Erstattungen geleistet oder auf Beiträge verzichtet, bei der „Masse der unwissenden IHK-Mitglieder aber weiter abkassiert“. So habe die IHK Anfang September schriftlich erklärt, im Verfahren gegen zwei klagende Mitgliedsunternehmen die Beitragserhebung bis einschließlich 2019 zurückzunehmen. Boeddinghaus: „Das ist das offizielle Eingeständnis, dass die Beitragserhebung mindestens der letzten zehn Jahr rechtswidrig war und ist.“ Die vom Bffk unterstützten Kläger sparten nun IHK-Beiträge im fünfstelligen Bereich.

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Knackpunkt ist die Vermögensbildung

Empört ist der Unternehmer, der selbst Mitglied der Vollversammlung der IHK Kassel-Marburg ist, über die vermeintliche Ignoranz der IHK Mittleres Ruhrgebiet gegenüber der Rechtsprechung. Schon vor Jahren habe der Landesrechnungshof in einem Prüfbericht die Missstände angesprochen.

Nun habe das Bundesverwaltungsgericht unmissverständlich erklärt: „Die Bildung von Vermögen ist den Kammern gesetzlich verboten. Rücklagen dürfen sie nur bilden, soweit sie hierfür einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit anführen können. Überhöhte Rücklagen und Nettopositionen müssen die Kammern baldmöglichst auf ein zulässiges Maß zurückführen.“

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40 von bundesweit 79 Kammern betroffen

In Bochum sieht man das anders. Das Gericht bestätige, dass es Kammern erlaubt sei, Rücklagen zu bilden, sofern ein sachlicher Grund für zulässige Kammertätigkeiten vorliege. Genau nach diesen Maßgaben bilde die IHK Mittleres Ruhrgebiet seit 2016 ihre Rücklagen. Neu sei nur, dass die Maßstäbe nicht nur für die Bildung von Rücklagen, sondern generell für jede Bildung von Vermögen gelten – also auch die Erhöhung der Nettoposition, des Eigenkapitals.

„Unsere Nettoposition werden wir nach den neuen durch das Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen überprüfen und im Wirtschaftsplan 2021 anpassen“, so der Bochumer IHK-Chef. „Es geht darum, dass wir in 2012 die Nettoposition um 600.000 Euro erhöht haben. Das ist damals auf der Grundlage der geltenden Rechtsvorschriften und mit Genehmigung unserer Rechnungsprüfungsstelle und Rechtsaufsicht erfolgt. Heute müssen wir nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes aus Juni 2020 diese Bilanzposition überprüfen und anpassen.“ Und das betreffe 40 von 79 Kammern in Deutschland.

IHK Kassel-Marburg zahlt 3,6 Millionen Euro zurück

Eine Kammer hat mittlerweile reagiert. Die IHK Kassel-Marburg hat bei ihrer jüngsten Vollversammlung beschlossen, insgesamt 3,6 Millionen Euro an ihre Mitgliedsunternehmen zurückzuzahlen. In Bochum wird das nicht passieren. Mit einem kategorischen „Nein“ beantwortet die IHK Mittleres Ruhrgebiet die Frage der WAZ, ob es zur Rückzahlung von Beiträgen an alle Mitgliedern kommen wird.

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