Hattingen. Die Einschränkungen durch das Virus belasten die Psyche. Psychotherapeuten aus Hattingen erklären, was uns so stresst und was dagegen hilft.

Seit Wochen gilt: Abstand halten, soziale Kontakte einschränken. Das belastet die Psyche. Dazu, wie man trotz Corona glücklich bleiben kann, befragte Sabine Weidemann die Hattinger Psychotherapeuten Sven Hanning und Fabian Chmielewski im E-Mail-Interview.

Wie erleben Sie die Corona-Zeit in Ihrer Praxis?

Aufgrund der klaren Anweisung, alle Kontakte zu unterlassen, die nicht unbedingt nötig sind, haben wir unsere Therapiekontakte soweit wie möglich auf Videositzungen und Telefonkontakte umgestellt.

Wirkt sich Entschleunigung eher positiv oder Beschränkung negativ auf die Menschen aus?

Aus meiner Sicht gibt es gerade zwei ganz unterschiedliche Situationen: Einsamkeit und Langeweile auf der einen Seite, Überforderung auf der anderen Seite. Es macht einfach einen entscheidenden Unterschied, ob Kinder zu Hause zu betreuen sind oder nicht. Viele Patienten schaffen es aber tatsächlich, der Situation etwas Entschleunigendes, Erholsames abzugewinnen.

Warum stresst die aktuelle Situation trotzdem viele Menschen?

In unserer Arbeit gehen wir von fünf wichtigen psychischen Bedürfnissen aus, die es zu erfüllen gilt, um zufrieden zu sein: Bindung, Kompetenz, Selbstbestimmung, Sinn und Lebensfreude. Die Einschränkungen durch die Corona-Krise stellen einen Angriff auf alle dieser Lebensbereiche dar.

Wie schafft man es, trotzdem positiv zu bleiben?

Es kann helfen, bewusst auf diese Bedürfnisse zu achten und zu prüfen: Welche Bereiche sind trotz der Umstände ganz gut erfüllt? Und wo besteht ein Mangel? Dann gilt es, bewusst gegenzusteuern und mit Kreativität Möglichkeiten zu entdecken, auch in der Krise Erfahrungen von Bindung, Kompetenz, Selbstbestimmung, Sinn und Lebensfreude zu ermöglichen.

Können Sie Beispiele dafür nennen?

Bemühen Sie sich aktiv, Ihre Kontakte zu pflegen. Telefonische Kontakte und Videokonferenzen können helfen, der Einsamkeit vorzubeugen – auch wenn sie kein vollständiger Ersatz sein können für echte Nähe. Viele Familien rücken näher zusammen, weil Kinder betreut werden müssen. Hier steckt neben viel Anstrengung auch viel Potential für schöne Erfahrungen von Nähe und Verbundenheit.

Es gibt aber auch viele Menschen, die gerade jetzt kaum noch Zeit haben.

Überforderung steht der Erfahrung von Kompetenz und Erfolg entgegen. Es ist aktuell ganz wichtig, nur realistische Ansprüche an sich zu stellen und die Erschwernisse durch die Einschränkungen anzuerkennen: Sie können nicht so viel schaffen wie sonst, wenn Sie im Homeoffice gleichzeitig auf die Kinder aufpassen und für die älteren Nachbarn mit einkaufen gehen. Verlieren Sie nicht die Lebensfreude dadurch, dass Sie auch unter schwierigsten Bedingungen gute Leistungen von sich verlangen. Wenn Sie den Eindruck haben, Sie hätten gar nichts erreicht, kann es helfen, für ein paar Tage jede bewältigte Aufgabe auf eine „Geschafft-Liste“ zu notieren.

Um so Erfolgserlebnisse zu haben?

Menschen fühlen sich gut, wenn sie ihre Fähigkeiten anwenden können, Erfolge erreichen und dafür Anerkennung bekommen. Es ist deshalb gut, sich auch unter den Einschränkungen kleine Projekte zu suchen. Flexibilität ist aktuell ganz wichtig – vielleicht können Sie sich, abseits von Beruf oder Sport, erfolgreich fühlen, wenn Sie ein schwieriges Lied auf der Gitarre lernen, endlich das wackelige Bücherregal reparieren, den Keller aufräumen oder mit den Kindern basteln.

Durch die Einschränkungen fühlen sich manche Menschen auch bevormundet.

Die aktuellen Umstände stellen einen schweren Angriff auf unsere Selbstbestimmung dar. Hier lauern zwei Risiken: das Gefühl von Hilflosigkeit und Resignation einerseits und Wut auf die Einschränkungen und die Regelsetzer „da oben“, Trotz und Rebellion bis hin zu Corona-Partys, um die eigene Freiheit wiederherzustellen.

Was kann man dagegen tun?mailto:info@psychotherapie-hattingen.de

Es hilft, wenn man sich mit den aktuellen Maßnahmen innerlich einverstanden erklären kann. Sie sollen Ihre Gesundheit und die Ihrer Mitmenschen schützen. Wenn Sie für sich beschließen können, dass Ihnen dieses Ziel auch am Herzen liegt und dass Sie den Nutzen erkennen, dann sind die Einschränkungen in Ihrem Sinne und widersprechen der Selbstbestimmung weniger.

Wie kann man der Unsicherheit in diesen Zeiten begegnen?

Es ist gut, informiert zu sein, aber auch bei Nachrichten macht die Dosis das Gift. Wenn Sie sich überschwemmt fühlen von Horrormeldungen, dann probieren Sie eine Nachrichten-Diät: Lesen Sie nur einmal am Tag oder morgens und abends – aber nicht direkt vor dem Schlafengehen – Corona-Meldungen. Halten Sie sich an die seriösen Medien, um allzu reißerischen Darstellungen oder Fehlinformationen zu entgehen.

Und wie kann man trotz allem die Lebensfreude behalten?

Spaß, Genuss, Lust und Freude sind für unser psychisches Glück ebenso wichtig wie die anderen Bedürfnisse. Suchen Sie deshalb nach Möglichkeiten, auch in den eigenen vier Wänden Spaß zu haben. Kochen, Spielen, Filme ansehen, Musik machen, kreativ sein, Sex haben – das alles lässt sich zu Hause, allein oder gemeinsam, bewerkstelligen.

Können wir etwas aus der Corona-Krise lernen?

Schon jetzt haben wir viel darüber gelernt, wie unsere Gesellschaft funktioniert und wie flexibel, vernünftig und solidarisch Menschen sich verhalten, wenn die Umstände es verlangen. Möglicherweise wird die Krise nicht nur schädliche, sondern auch hilfreiche Spuren hinterlassen – vielleicht lehrt sie uns, wertzuschätzen, was wir haben, Anteilnahme mit Menschen in Not und einen besseren Blick dafür, was uns wirklich wichtig ist.

Über Fabian Chmielewski und Sven Hanning

Die beiden Psychotherapeuten haben eine Praxis an der Großen Weilstraße 8 in Hattingen.

Kontakt: 02324 / 3 44 44 16 (montags 12-13 Uhr) oder info@psychotherapie-hattingen.de.

Ein Protokoll zur Übersicht über die fünf Grundbedürfnisse und ein Arbeitsblatt zum Vorbereiten konkreter Pläne stellen die Therapeuten zum kostenlosen Download auf ihrer Internetseite psychotherapie-hattingen.de bereit.