Hattingen. Friedel Diergardt lebt Gastronomie. Das Restaurant „Kühler Grund“ in Hattingen ist seit mehr als 100 Jahren Familiensache – in vierter Generation
Auswärtige kommen gerne in den „Kühlen Grund“, Hattinger gehen zu Diergardt, Freunde besuchen Friedel – ganz gleich, wie man’s hält, Friedel Diergardt ist eine Gastronomie-Ikone in dieser Stadt.
„Ich bin hier der Hausmeister mit Kochkenntnissen“, beschreibt Friedel Diergardt im Jahr 2015 seine Rolle im Restaurant. Er lacht dabei, weiß, dass das charmant untertrieben ist. Denn er hat aus dem Lokal das gemacht, was es heute ist – gibt es Hattingerinnen und Hattinger, die noch nicht am Büchsenschütz eingekehrt sind? Ja, sicherlich, aber sie dürften in der Minderheit sein.
Die Geschichte von Friedel ist auch die von Julius, Emil und Philipp Diergardt
Die Geschichte von Friedel ist zweifelsohne auch die von Julius und Emil – und die von Philipp. Denn der Sohn von Friedel Diergardt hat die Familiengastronomie inzwischen in vierter Generation übernommen – er kann dabei aber jederzeit auf seinen Vater zählen. Doch drehen wir erst einmal alles zurück auf Anfang.
„1904 hat mein Großvater Julius das Haus gekauft“, erzählt Friedel Diergardt. Das 1869 errichtete Bruchsteinhaus ist eine Kombination aus Schnapscasino, Milchwirtschaft und Kolonialwarenladen. Gleich nebenan stehen in Sichtweite die Hochöfen der Hütte. Die Arbeiter spülen sich nach der Schicht mit einem Viertelliter den Arbeitsärger herunter, sie kaufen Milch und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Der Schnaps kommt aus der Kornbrennerei Weygand (woher sonst?) in 200-Liter-Fässern. Bier wird in Kannen verkauft.
Friedels Vater Emil übernimmt. In den 1950er-Jahren wird er mit dem größten Saal in der Umgebung zum Zentrum des Vereinswesens – Männergesangsvereine, Feuerwehrkapellen, Taubenzüchter, alle treffen sie sich hier. Am Wochenende zum Frühschoppen, später auch auf der Kegelbahn.
Der junge Friedel Diergardt geht nach den Lehrjahren auf Wanderschaft
Der junge Friedel Diergardt darf sich frei entfalten. Er wird Koch, geht nach seinen Lehrjahren auf Wanderschaft – und kehrt 1973 nach Welper zurück. Gemeinsam mit seiner Frau Gaby schreibt er die Erfolgsgeschichte später fort – und erweitert sie: Zunächst wird die „Zirbelstube“ angebaut, 1997 folgt ein weiterer Anbau („Szenario“).
„Marcellinos Restaurant Report“ kürt den „Kühlen Grund“ in der Rubrik „Genießen auf gut Deutsch“ zum besten Restaurant des Ruhrgebiets – gelobt werden saisonale Schlemmermenüs, Wildgerichte und die leichte westfälische Kost.
„Mein Leben ist die Gastronomie“, sagt Friedel Diergardt in einem WAZ-Interview. „Es gibt nicht viel Privates.“ Regelmäßige Skiurlaube in Österreich gehören schon dazu, Sylt-Reisen und das Golfspielen – die einzige Freizeitbeschäftigung, „bei der ich den Kopf frei kriege von der Arbeit“.
Diergardt gehört zu den Gründungsvätern des Kulinarischen Altstadtmarkts
Er gehört zu den Gründungsvätern des Kulinarischen Altstadtmarkts (KAM) auf dem Kirchplatz, auch zu denen von „Bochum Kulinarisch“. Er bildet aus – zum Beispiel Semi Hassine, der inzwischen das „Fachwerk“ führt; er ist in der ganzen Welt unterwegs – etwa in Paris, wo er vor rund zehn Jahren mit seinem Team auf der Luftfahrtmesse kocht. 200.000 Menschen sind vor Ort, auch der damalige Präsident Nicolas Sarkozy – im VIP-Zelt tischt Diergardt Menüs für 60 Gäste von Thyssen Krupp auf.
Was ihm am Herzen liegt, ist sein Weinkeller. Wie alt genau der ist, vermag Diergardt nicht zu sagen, auf jeden Fall älter als der Bau darüber. Denn der Keller wurde bei Bauarbeiten entdeckt – ein Jahr haben sie gegraben, bis er wieder frei war. Und hier lagern sie, die Schätze des Rebensafts, um die 2000 Flaschen. Eben Diergardts kühler Grund.
Es ist ruhiger geworden – ganz aufhören will und wird Friedel Diergardt aber nicht
Seit Philipp das Geschäft übernommen hat, ist es etwas ruhiger für ihn geworden, ganz aufhören will und wird Friedel Diergardt nicht. In seiner ihm eigenen Art, die irgendwas zwischen Augenzwinkern und Bartbrabbeln ist, verrät er in einem WAZ-Gespräch, dass „wenigstens ein bisschen Verantwortung“! behalten wolle. „Vielleicht arbeite ich bei uns später mal als Frühstücksdirektor – wobei das Frühstück bei mir abends wäre.“
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