Hattingen. WAZ öffnet Pforten auf Gut Flehinghaus: Volker Schumann zeigt seine Shire Horses, die größten Pferde der Welt. Und verrät viel über sein Hobby.
Für Freddy gibt’s sogar einen Kuss. Antje Brammann (44) liebkost den sechs Jahre alten Shire-Horse-Wallach in Besitz von Dr. Volker Schumann bei dessen Führung über sein Gestüt Gut Flehinghaus. Sie liebkost das Tier plötzlich voller Begeisterung auf die Stirn. Doch nicht nur ihr hat es Freddy angetan. Auch die übrigen WAZ-Leser, die an diesem Sonntagvormittag bei der Aktion „WAZ öffnet Pforten“ Freddy und weitere Exemplare der größten Pferderasse der Welt hautnah zu Gesicht bekommen, sind von deren Anblick begeistert. „Das sind wirklich wundervolle Tiere, sehr imposant“, sagen Eva (72) und Heinz-Jürgen (75) Dietz. „Und dabei strahlen sie eine unglaubliche Ruhe aus.“
Diese Mischung der in ihrer englischen Heimat auch liebevoll „Gentle Giants“ (Sanfte Riesen) genannten Vierbeiner hat irgendwann auch Volker Schumann (60), von Haus aus Nephrologe, fasziniert.
Sein erstes Shire Horse hieß Hugo
Seine Leidenschaft für diese Kaltblüter-Rasse entwickelte sich allerdings erst mit Mitte 40, angestoßen durch seine Partnerin, die über einen Zeitungsartikel auf die Tiere aufmerksam geworden war. Vor elf Jahren erzählt er, hätten sie dann bei Nachbarn, Heike und Rudolf Uebelgünn aus Sprockhövel, die ersten Shire Horses der Region gesehen – und anschließend eines aus den Niederlanden gekauft: Hugo.
Ein reiner Pferdezuchtbetrieb
Über die Jahre kamen etliche Shire Horses hinzu, heute hat Schumann auf seinem Gestüt – „einem reinen Pferdezuchtbetrieb, keiner Reitanlage im klassischen Sinn“ – 120 Pferde stehen. Neben den aus England stammenden Shire Horses von bis zu etwa zwei Metern Stockmaß züchtet Schumann auch deren Schwesternrasse aus Schottland, die etwas kleineren, sportlicheren Clydesdale Horses, die auch „etwas mehr Behang an den Beinen haben“, wie der 60-Jährige es nennt. Und American Miniature Horses, die kleinsten Pferde der Welt.
Die Geschichte der Shire Horses, sagt Volker Schumann, reiche bis in die Römerzeit zurück, damals trugen sie Reiter in Rüstung, später dienten sie als Treidelpferde zum Ziehen schwerer Lasten über kurze Strecken.
Die meisten fasziniert die Größe dieser Tiere
Die Abspaltung von Shire und Clydesdale Horses, so Schumann, erfolgte übrigens erst im Jahre 1870. In England wurden Shire Horses fortan vornehmlich „ohne Funktion um der Ehre willen und rein auf Größe gezüchtet“, in Schottland die Clydesdale Horses für die Landwirtschaft. „Die meisten in Deutschland fasziniert an diesen Tieren aber vor allem ihre Größe. Ein deutscher Käufer kauft das mit diesen Pferden verbundene Image.“
Was so ein Pferd, das eine Lebenserwartung von 24, 25 Jahren hat, denn koste, will daraufhin ein Leser wissen. „Ab 10.000 Euro aufwärts“, sagt Volker Schumann. Für ein Shire Horse allerdings habe er mal 85.000 Euro erhalten: Er hatte mit diesem 2016 die englische Zuchtmeisterschaft gewonnen – als bislang einziger nicht-englischer Shire-Horse-Züchter seit 1924.
Das Siegerpferd lebt heute in den Emiraten
50 Pfund habe das Preisgeld betragen, schmunzelt er. Und das Siegerpferd? „Steht heute in einem klimatisierten vergoldeten Stall in den Emiraten.“
Höchstens zu gemütlichen, kleineren Ausritten, nicht dagegen als Sportpferde seien Shire (wie auch Clydesdale) Horses aufgrund ihres Gewichtes geeignet, betont Schumann. Und ebensowenig seien sie in der freien Natur überlebensfähig.
Interessiert hören die WAZ-Leser den Ausführungen des Experten zu, stellen ihm ab und an Fragen, fotografieren Tiere und Gestüt. So auch die Geburtsklinik, die Schumann seinen Besuchern nun zeigt. Sechs Wochen vor der Geburt beziehen die trächtigen Stuten – eine jede von einem der Schumannschen Hengste übrigens per Natursprung gedeckt – dort ihre mit fünf mal sechs Metern recht geräumige Box bis zur Geburt.
Ein neugeborenes Fohlen wiegt schon 85 Kilogramm
„Ein neugeborenes Fohlen ist bereits 85 Kilogramm schwer“, verrät Schumann den staunenden WAZ-Lesern. Und fährt fort: 20 bis 30 Fohlen jährlich würden auf seinem Gestüt geboren, die Sterblichkeitsrate der höchst empfindlichen Tiere liege indes bei zehn Prozent.
Die aber, die durchkommen, werden früher oder später verkauft - 60 Prozent ins Ausland. Nach Pakistan etwa, nach Südkorea, Indien, in den Irak. Auf die Tiere aufmerksam werden die Käufer übrigens überwiegend übers Internet, so Schumann. Wo die Fotos, die auf der Website von den Tieren zu sehen sind, entstehen? Schumann zeigt auf einen Raum mit grüngestrichener Wand: „Und das hier ist unser Fotostudio...“
>>> ZAHLEN UND FAKTEN RUND UM GUT FLEHINGHAUS
Sein rund 65 Hektar großes Gestüt Gut Flehinghaus an der Felderbachstraße hat Volker Schumann im Jahre 2010 gegründet. Sechs Mitarbeiter beschäftigt der 60-Jährige heute dort: vier Pferdewirte, einen Landwirt und einen Mister.
Die kümmern sich um insgesamt 120 Pferde: die aus England stammenden Shire Horses, die mit bis zu etwa zwei Metern Stockmaß größten Pferde der Welt, die aus Schottland stammenden Clydesdale Horses sowie einige American Miniature Horses, die mit maximal 86,4 Zentimetern Widerrist-Höhe kleinsten Pferde der Welt, deren Vorfahren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Rocky Mountains als Bergbaupferde eingesetzt wurden.
Die Zucht der American Miniature Horses allerdings, sagt Schumann, wolle er aufgeben – mangels Kaufinteressenten. Aus demselben Grund habe er die Zucht von Poitou-Eseln, einer gefährdeten Großeselrasse aus dem französischen Gebiet Poitou, bereits vor einigen Monaten eingestellt, die Tiere an einen Tierpark abgegeben.