Hattingen. .

Neugierig stakst „Boddy“ auf die Besucher zu. Der Braune mit der weißen Schnauze ist erst ein paar Wochen alt, doch sich ängstlich hinter seiner Mama verstecken, das ist sein Ding nicht. Interessiert schnuppert er an der Hosentasche von Heike Uebelgünn, im nächsten Moment zwickt er ihrem Mann Rudolf ins Hemd. „Es ist gut, dass „Boddy“ noch keine Zähne hat“, sagt er lächelnd. Der kleine Hengst zeigt schon heute, dass er einmal ein ganz großer werden wird. Zierlich wirken weder Sprunggelenke noch Fesseln: „Boddy“ gehört zur Rasse der Shire Horses, den größten Pferden der Welt.

„Boddy“ fallen bereits die lustigen Fellpuschel über die Hufe, die typisch für Kaltblüter sind. Ausgeprägt zottelig hingegen sind sie bei „William“. Der fünfjährige Zuchthengst ist der Star im Stall von Heike Uebelgünn.

Zwischen Hattingen und Langenberg, in der hügeligen Elfringhauser Schweiz, lebt die 37-Jährige ihren Traum. Sie baut die größte Zuchtstation für die Kaltblüter aus England in Nordrhein-Westfalen auf. Knapp 50 dieser XXL-Ausgaben stehen bereits auf dem Gestüt Flehinghaus, Zuwachs ist nicht ausgeschlossen, sondern fest eingeplant. Bei den Uebelgünns fällt alles etwas größer aus: die Boxen, Hufeisen, Halfter. Nicht zu vergessen die quietschblaue Plastiktreppe, die Aufstiegs- und Putzhilfe.

Auf Augenhöhe mit William, der zurzeit mit einem Stockmaß von 1,85 Meter daherkommt, lässt sich die wuchtige schwarze Mähne viel besser in Form bringen. „Der wächst noch zwei Jahre“, erklärt Uebelgünn von ihrem Podest. Das größte Shire Horse sei im Guinness-Buch der Rekorde mit 2,19 Meter Widerrist-Höhe eingetragen. Während Uebelgünn über die 1066 von William dem Eroberer in England eingeführte Rasse schwärmt, gibt ihr „William“ den sanften Riesen. Der Strick am Halfter fällt lässig auf den Boden. Der Hengst ist nicht festgebunden. Er steht einfach, ganz dicht neben seinem Menschen. Nervenstärke zeichne die Tiere aus, Lernfähigkeit und Gelassenheit, erklärt Uebelgünn. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick, als sie vor ein paar Jahren ein Porträt über die Brauereipferde sah, die in früheren Zeiten auch schon mal eine Londoner Straßenbahn rund um Picadilly zogen. Für ihren Mann Rudolf eher eine auf den zweiten oder vielleicht auch vierten Blick. Schließlich hatte der ehemalige Landwirt seiner Frau einst rigoros erklärt: „Pferde und Hunde kommen mir nicht auf den Hof“. Das Urteil musste er revidieren. Heute betreiben die beiden die Zucht als gleichberechtigte Partner. Wobei Heike in Sachen Pferdeverstand ein paar Jahre Vorsprung hat. Schon als kleines Kind suchte sie dieses „einzige Glück der Erde, das auf dem Rücken der Pferde“ lag. Da das Geld daheim für ein eigenes Pferd nicht reichte, putzte sie in einem benachbarten Stall die Schulpferde, um im Gegenzug kostenlos reiten zu dürfen. Weil das Kind „etwas Vernünftiges lernen“ sollte, begann sie eine Banklehre. Bis im letzten Jahr verwaltete sie Geld. „Ich konnte mir nicht vorstellen, den Rest meines Lebens in geschlossenen Räumen zu verbringen“, sagt sie. Über die Liebe zu den Shires lernte sie einen ebenfalls von den Tieren begeisterten Arzt kennen. Der machte ihr das Angebot, die Zucht aufzubauen. Auch wenn neben den Pferden kaum Freizeit bleibt, nennt sie das „einen Glücksfall“.

Bald kommen die kleinsten Pferde dazu

Zwar sind die riesigen Tiere, die bis zu 1200 Kilogramm auf die Waage bringen, in Reitvereinen und bei Turnierreitern nicht gerade populär. Bei Freizeit- und Schaureitern, bei Gespannfahrern erobern sie sich allerdings eine immer größere Fangemeinde. „Durch ihre ruhige Art sind sie bei Späteinsteigern in den Sport und bei älteren Menschen sehr beliebt“, sagt Uebelgünn.

Und demnächst bekommt „William“ neue Mitbewohner auf dem Gestüt. In einigen Wochen reist Heike Uebelgünn nach Amerika. Dort soll sie „American Miniature Horses“ kaufen – die kleinsten Pferde der Welt.