Hattingen. . Schulleiter in Hattingen steht voll hinter der Inklusion. Aber er bemängelt die Umsetzung. Es hapert auch beim Übergang von Schule zu Beruf.
Die Realschule Grünstraße ist ab dem kommenden Schuljahr Schwerpunktschule Inklusion: So hat es die Bezirksregierung entschieden. Kinder mit dem Förderbedarf Lernen und geistige Entwicklung, die inklusiv und zieldifferent beschult werden sollen, kommen in Hattingen automatisch an die Realschule. „Für andere Förderbereiche können Eltern die Schule weiter frei wählen“, sagt Schulleiter Jürgen Ernst.
2013 war die Realschule Grünstraße die erste weiterführende Schule in Hattingen, die integrativ unterrichtete. So kamen auch drei Kinder mit Down-Syndrom in eine fünfte Klasse.
Jürgen Ernst: „Die Werkstätten nehmen nur Volljährige.“
Sie haben allerdings die Schule am Ende der neunten Klasse 2018 verlassen. „Denn es gibt einfach ein Anschlussproblem“, erklärt der Schulleiter. „Es lohnt sich hinzuschauen, was danach passiert. Die Werkstätten nehmen nur Volljährige. Was soll mit den Schülern passieren, wenn sie nach der zehnten Klasse nicht volljährig sind“, gibt Jürgen Ernst zu bedenken. „Wegen genau solcher Probleme wechselten die Schüler zu einer Förderschule.“
Derzeit arbeitet er mit dem Kollegium das Inklusionskonzept weiter aus, Lehrer-Fortbildungen laufen. Denn: Sind in den Jahrgängen fünf bis zehn derzeit insgesamt acht Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen vertreten, so kommen im kommenden Schuljahr gleich acht neue dazu.
Differenzierungsräume und Personal fehlen
Außerdem wird je ein Kind mit dem Förderschwerpunkt Hören und emotionale und soziale Entwicklung an die Schule kommen. Macht insgesamt also zehn Schüler mit Förderbedarf, die auf die vier künftigen fünften Klassen verteilt werden. Bislang lernen insgesamt 24 Schülern mit Förderbedarf an der Realschule Grünstraße.
Ernst steht voll hinter der Inklusion. „Aber womit wir nicht zufrieden sein können, ist die Versorgung.“ Differenzierungsräume sind Mangelware. 2,5 Lehrerstellen für Sonderpädagogik gibt es. „Drei Wochenstunden landen bei jedem Schüler. Da kann man nicht sagen, das passt.“ Sieben, von Förderschulen abgeordnete Kollegen besetzen die Stellen. „Nur ein Kollege ist mit voller Stelle hier.“
Aussicht auf eine halbe Sonderpädagogen-Stelle mehr
Wohl eine halbe Sonderpädagogen-Stelle zusätzlich wird es ab Sommer geben. Zu wenig, sagt Ernst, der sich auch stark für die Förderung von Autisten engagiert. Die Realschule ist im Bezirksregierungs-Arbeitskreis Autismus. Das Kollegium sei willig und offen. „Aber wir kämpfen mit der Umsetzung.“
>>> INFO: Pläne des Ministeriums
Ab dem Schuljahr 2019/20 dürfen Haupt-, Real-, Gesamt-, Gemeinschafts- und Sekundar-schulen nur inklusiven Unterricht anbieten, wenn sie Qualitätsstandards erfüllen. Bis 2025 will das Ministerium an den „Schwerpunktschulen“ dann 5778 zusätzliche Stellenschaffen. Kosten: 1,4 Milliarden Euro.
>>> KOMMENTAR: Schulen brauchen Hilfe
Kompliment an die Realschule. Denn damit Inklusion irgendwie unter den gegebenen Voraussetzungen gelingt, bedarf es eines enormen, individuellen Einsatzes aller beteiligten Lehrer. Der Wille ist da, die Einsatzbereitschaft über das bezahlte Maß hinaus auch.
Doch Grenzen sind ebenfalls vorhanden. Nämlich da, wo es an einem Raum fehlt – möglichst von der Klasse aus einsehbar – für Differenzierungsstunden für Kinder mit Förderbedarf. Oder da, wo es an Sonderpädagogen fehlt, die entweder mit Tipps oder mit eigenem Stundeneinsatz in der Klasse zur Seite stehen.
Drei Stunden pro Kind in der Woche – das ist nicht mal ein Tropfen auf dem heißen Stein und weit entfernt von dem Ideal, dass zwei Lehrer im Team unterrichten. Und man darf sich nichts vormachen: Selbst wenn es zusätzliche Sonderpädagogen-Stunden gibt: Der Sonderpädagogen-Markt ist leergefegt. Schon an Förderschulen gibt es unbesetzte Stellen.
Die Schulen sind ganz unten in der Nahrungskette. Sie sollen den Mangel verwalten. Und viele geben sich reichlich Mühe. Ihnen wie den betroffenen Kindern mit ihren Eltern wäre es zu gönnen, wenn die Inklusion nicht nur wortreich gewollt, sondern auch entsprechend ausgestattet und zu Ende gedacht würde. Liliane Zuuring