Hattingen. . Senioren tauschen sich sachlich und emotional in Hattingen aus und teilen Erinnerungen wie an den Chef, der Leiter bei der Treuhand wurde.
„Als die Mauer fiel, hatte ich zwei Tage frei. Ich habe Tag und Nacht vor dem Fernsehen gesessen – voller Tränen“, sagt Manfred Franzen (76). Er ist zum ersten Mal zum Erzählcafé des Vereins Seniorenzeithilfe gekommen. Weil ihn das Thema, der Mauerfall vor 30 Jahren, interessiert.
Schnell kommen Emotionen hoch. Zügig ist die Diskussion da – zum Beispiel über die Überheblichkeit der Westdeutschen, über die Fehler bei der Wiedervereinigung. Die Erinnerungen sprudeln.
Lebensleistung der DDR-Bürger missachtet
„Meine Eltern waren in Bochum, als die Mauer fiel. Mein Vater weinte glückliche Tränen. Er war nur traurig, dass er da nicht in Prag war“, erinnert sich Anna Himmel (71), die aus der Tschechoslowakei stammt, fünf Jahre in Prag studierte und 1971 nach Deutschland kam. Sie wie auch Franzen berichten, dass die DDR-Bürger in den anderen Ost-Staaten nicht gut angesehen und ängstlich waren. „Und nach dem Mauerfall ist die Lebensleistung dieser Menschen nicht anerkannt worden“, so Anna Himmel.
Verärgert erzählt Franzen, wie nach dem Mauerfall in der DDR Tausenden Mitarbeitern in Betrieben einfach mitgeteilt wurde, dass sie in 24 Stunden arbeitslos seien. „Wenn die Historiker mal die Akten der Treuhandanstalt aufarbeiten, gibt’s bestimmt lustige Erkenntnisse“, meint Rolf Potthoff (56), der – außer im Januar – immer jeden ersten Mittwoch im Monat zum Erzählcafé beim DRK, Talstraße 22, einlädt, den Kuchen besorgt und klug ins Thema einführt.
Verständnis für Schwierigkeiten der Treuhand
„Mein Chef, Detlev Karsten Rohwedder, wurde damals Leiter der Treuhand. In einem Interview wurde er nach den Schwierigkeiten gefragt. Er sagte, er sehe nur Schwierigkeiten“, sagt Karl Schriegel (84). „Er hat damals gehofft, dass die Erlöse aus den Firmenverkäufen an den Meistbietenden und die Subventionen sich zu einer Null ergänzen. Es hat nicht geklappt, aber es gab auch keine Vorbilder, keine Leitlinie. Darum kann man da keinen Stein werfen.“
Trennendes damals zwischen Ost und West kommt zur Sprache, aber auch Verbindendes: „Wir reden hier viel über Politik und Wirtschaft. Was mich reizte, war die Musik. 1983 begann in Ungarn der klassische Musikfrühling. Ich war oft da. Musikalisch und kulturell gab es keine so großen Differenzen. Musik war ein grenzenferner Bereich. Durch die Kultur haben wir uns nicht gänzlich voneinander entfernt“, meint Ulrich Tönnies (80).
Interessantes Thema fürs Erzählcafé gefunden
Hin- und her geht die Diskussion – und plötzlich sind alle bei einem aktuellen Thema: dem sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester, das Zölibat. Die Kirche mit allem Drum und Dran: Das wäre mal ein Thema fürs Erzählcafé, meinen die Teilnehmer. „Kommt“, verspricht Potthoff. Wiederkommen will Franzen zum Erzählcafé, wenn das Thema interessant ist“.
Seniorenzeithilfe ist seit 2005 in Hattingen aktiv
Der Verein Seniorenzeithilfe (SZH) ist seit 2005 in Hattingen für Senioren tätig. Alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich.
Die soziale Integration insbesondere älterer Menschen soll gefördert werden – besonders derer, denen es zunehmend schwer fällt, Alltagsprobleme zu bewältigen, zum Beispiel nach dem Verlust des Partner. Infos: 02324/ 50 60 49.