Hattingen. . Acht Mitarbeiter des Emmy-Kruppke-Seniorenzentrums der Awo machten mit. Sie mussten erst einmal mühselig lernen, den Autopiloten auszuschalten.

  • Teilnehmern fiel das Entspannen anfangs schwer. Sie suchten nach dem Wissen zum Weitergeben
  • Die Stiftung Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen finanziert das Modellprojekt zu 90 Prozent
  • Den Rest zahlt der Awo-Bezirksverband. Fachhochschule begleitet Projekt wissenschaftlich

„Ich sollte in die Füße fühlen. In den Bauch atmen. Auf der Matte liegen und träumen. Ich dachte: Wann geht es los? Wo ist das Wissen, das ich den anderen weitergeben kann? Ich war gezwungen zu entspannen“, berichtet Nicole Westermann vom Sozialen Dienst im Emmy-Kruppke-Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt von ihrer ersten Erfahrung mit dem Modellprojekt „Förderung der Achtsamkeit in der stationären Pflege“. Dessen Ziel: Fachkräfte zu stärken, damit sie auch in schwierigen beruflichen Situationen achtsam handeln.

Mit sieben Kollegen aus dem Emmy-Kruppke-Zentrum besuchte Westermann im vergangenen halben Jahr sechs Seminare. Dafür gab es jetzt Zertifikate. Finanziert wird das Projekt zu 90 Prozent von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW. Den Rest zahlt der Awo-Bezirksverband Westliches Westfalen dazu. Wissenschaftlich begleitet die Evangelische Fachhochschule in Bochum die Maßnahme.

Hektischer Arbeitsalltag

Aufräumen, den Bewohnern etwas ins Zimmer bringen, schnell mit dem Hausarzt einer Bewohnerin telefonieren, und dann feststellen, dass sich die Prioritätenliste heute noch mal um zehn Punkte verlängert hat. „Wir versuchen, allen gerecht zu werden. Und achten dabei nicht auf uns“, beschreibt Nicole Westermann den Arbeitsalltag.

Einrichtungsleiterin Ursula Champignon und Nicole Westermann vom Sozialen Dienst berichten vom Modellprojekt im Emmy-Kruppke-Seniorenzentrum in Welper
Einrichtungsleiterin Ursula Champignon und Nicole Westermann vom Sozialen Dienst berichten vom Modellprojekt im Emmy-Kruppke-Seniorenzentrum in Welper © Volker Speckenwirth

„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen.“ Dieses Zitat des Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl hängt im Emmy-Kruppke-Zentrum. Ein Teilnehmer hat es mitgebracht. „Jeder hat einen Spruch hier aufgehängt, der für ihn sehr entscheidend ist, den er vielleicht auch an den Computer geklebt hat“, sagt Ursula Champignon, Leiterin des Awo-Seniorenzentrums in Welper.

Teilnahme war ein Kraftakt für das gesamte Team

„Achte auf Deinen Körper, es gibt ihn nur ein Mal“, ist ein anderer Merkspruch. Oder der: „Achtsamkeit heißt: gewöhnliche Dinge tun, aber auf nicht gewöhnliche Weise.“

Ein echter Kraftakt für das Team sei die Teilnahme am Projekt gewesen, sagt Champignon – wenngleich sich das Zentrum selbst darum beworben hatte. „Weil der Bedarf da ist. Wir blicken immer auf andere, wollen, dass es ihnen gut geht. Dabei vergisst man sich oft selbst“, weiß sie.

Der Autopilot muss manchmal ausgeschaltet werden

Zwar nahmen acht Fachkräfte teil, aber getragen habe das Projekt das ganze Team. „Den Dienstplan darauf abzustimmen, war nicht einfach.“ Aber das Entspannen eben auch nicht. „Ich bin ungeduldig. Weil ich ein Vorbild sein wollte, bin ich in die zweite Sitzung mit fast wütender Resignation gegangen: Dann fühle ich eben in meine Füße“, so Champignon.

Ein Schlüsselerlebnis gab es für Westermann und Champignon. Zwei Dozentinnen zeigten einen Kurzfilm. Zwei Teams – eines weiß, das andere schwarz gekleidet – spielen Ball. Gezählt werden sollten die Ballkontakte des weißen Teams. „Pflichtbewusst und verbissen haben wir gezählt. Danach wurden wir gefragt, ob wir den Gorilla gesehen hätten. Hatten wir nicht. Dabei war er mitten durch das Bild gelaufen“, erzählt Nicole Westermann. „Es geht darum, den Autopiloten mal auszuschalten. Ist er an, blendet man viel aus. Plötzlich machte die Atmerei Sinn“, sagt Champignon.

Erlernte Methoden an Kollegen weitergeben

Die erlernten Methoden und Strategien zur Entspannung, zum Erkennen von Belastungsgrenzen, um nicht in Grenzsituationen zu geraten, wollen die Teilnehmer jetzt nicht nur selbst umsetzen, sondern auch an ihre Kollegen weitergeben — damit auch sie sich im oft stressigen Pflegealltag ein wenig selbst entlasten. Das ist gut für sie – und damit auch für die Bewohner.