Hubert Jalowietzki hat das Abgangszeugnis seines Vaters Johann von 1916 aufgehoben. Die Familie lebte in Oberschlesien, im Dreikaisereck. Auch eigene Zeugnisse besitzt der 82-Jährige noch. In einem Dokument aus dem Jahr 1944 steht beispielsweise der Vermerk - „Er hat bei der Raupenzucht geholfen“.
Wollen wir mal sehen, wer im Geschichtsunterricht gut aufgepasst hat. Frage: Was ist unter Dreikaisereck zu verstehen? Na, wer weiß es?
Hubert Jalowietzki kennt die Antwort: Es war das Dreiländereck zwischen den Kaiserreichen Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland. Heutzutage handelt es sich um polnisches Gebiet. Hätten Sie’s gewusst? Der 82-Jährige hat diese Kenntnisse aus dem Effeff parat – weniger aus Schulbüchern als aus der eigenen Familienchronik. Myslowitz im Kreis Kattowitz war nämlich die Heimatstadt der Jalowietzkis.
„Wir wohnten damals in der ehemaligen deutschen Provinz Oberschlesien“, erzählt der 82-Jährige. Dort besuchte Vater Johann, der am 13. Dezember 1902 geboren wurde, die Volksschule. Und dessen Schulentlass-Zeugnis hat sein Sohn Hubert all die Jahre aufbewahrt und durch die Wirren der Krieges- und Nachkriegszeit gerettet.
Altmaterialsammlung dürftig
Auf dem mit feiner Ornamentik verzierten Entlass-Zeugnis ist nachzulesen, dass der junge Katholik Johann seit dem 1. April 1909 in die „hiesige 7-stufige Volksschule“ aufgenommen wurde. Der Schulbesuch war regelmäßig, sein Betragen gut. Die „geistigen Anlagen“ wurden als „ziemlich gut“ beurteilt. Religion, Raumlehre, Deutsch, Naturwissenschaften, Gesang, Turnen und was sonst noch so auf dem Lernplan stand – alles im grünen Bereich. Bei „weiblichen Handarbeiten“ ist lediglich ein kurzer Strich vermerkt. Mit diesen Zensuren verließ Johann Jalowietzki im Jahr 1916 die Schule, um eine berufliche Ausbildung zu beginnen. Der Sohn, Jahrgang 1932, berichtet: „Er wurde Justizangestellter und war Leiter einer Straf- und Zivilkammer im Amtsgericht in Myslowitz.“
Die WAZ sucht alte Schulzeugnisse
Manch einer ist froh, wenn er das Kapitel „Schulzeit“ schließen kann und lässt alte Dokumente dieser Ära auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Andere hingegen bewahren ihre Zeugnisse einer mehr oder minder erfolgreichen Phase auf.
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Wie der Vater, so der Sohn: Auch Hubert Jalowietzki lernte in Myslowitz das ABC, Rechnen und mehr. Die Lehranstalt war benannt nach einem berühmten Oberschlesier: Joseph von Eichendorff. Der Lehrer bemerkte 1942 im Zeugnisheft der „Deutschen Volksschule“, auf dem klein ein Adler samt Hakenkreuz abgedruckt ist: „Er ist einer der besten Schüler.“
„Ist fleißig und sauber in seinen schriftlichen Arbeiten“
Über den Drittklässler heißt es: „Ist fleißig und sauber in seinen schriftlichen Arbeiten.“ Deutsch sei sein Lieblingsfach gewesen, sagt Jalowietzki, der seit den 1970er Jahren in Gladbeck zu Hause ist. Doch in einem Punkte helfen dem jungen Hubert alle Bemühungen nicht. Unter „Führung und Haltung gut“ klingt zwischen den nüchternen Zeilen Tadel an: „Er sammelte 1,350 kg Altmaterial. – Geforderte Mindestmenge monatlich: 3 kg Altpapier, ½ kg Knochen, ¼ kg Lumpen“. Der 82-Jährige erinnert sich: „Ich habe die Pflicht nicht erfüllt.“ Da die Eltern Kaninchen und Hühner hielten und schlachteten, konnte die Mutter Hubert wenigstens Knochen mitgeben: „für Seife“.
„Er hat bei der Raupenzucht geholfen“
Im Jahr 1944 notiert Lehrerin Siegmund: „Er hat bei der Raupenzucht mitgeholfen.“ Der 82-Jährige erläutert: „Das war freiwillig. Wir haben den Raupen Blätter zu fressen gegeben.“ Wegen der Seidenproduktion seien die Tiere gezüchtet worden – „für Fallschirme!“
Nachdem Hubert Jalowietzki die Eichendorffschule absolviert hatte, wechselte er auf die Fridericus-Schule – „Oberschule für Mädchen und Jungen“ in Myslowitz. Man beachte: eine Lehranstalt ohne Geschlechtertrennung Anno 1944. Der 82-Jährige: „Das war das erste Jahr der Koedukation.“ Damals eine aufregende Neuerung.